Saresare war eine Stadt im Nordosten der Feuerkorn-Steppe. Mit den Jahren war sie immer größer und bei Reisenden beliebter geworden. Es wurde gesagt, dass Rin Narema vor ihrer Hochzeit mit Rin Baleron oft hierher gekommen und in alle möglichen Wirts- und Spielhäuser gegangen war. Warum sie damit aufgehört und mit ihrer Familie gebrochen hatte, wusste niemand so richtig, aber trotzdem waren alle Bewohner stolz darauf, dass die Anführerin der Rin-Gilde ihre Stadt einst sehr gemocht hatte. Eines der Gasthäuser war sogar nach ihr benannt worden.
Das Holzschild, das über der Tür dieses Hauses hing, war schon etwas schäbig und sah ziemlich alt aus, aber dennoch waren die Worte ›Naremas Schloss‹ deutlich zu erkennen. Drinnen waren fast alle Tische im untersten Stock, wo man essen konnte, besetzt und die Kellner gaben sich große Mühe, jeden Gast zu bedienen. Das Gasthaus war nicht nur für seinen Namen berühmt, sondern auch dafür, die Speisen am schnellsten zuzubereiten. Die Köche und allgemein alle Angestellten wurden nach strengen Verfahren ausgewählt. Nur die besten bekamen eine Stelle. Entsprechend gut wurden sie bezahlt und entsprechend hoch waren die Preise.
Als zum Abend hin ein Mann in schwarzer Reisekleidung und aufgesetzter Kapuze Naremas Schloss betrat, war der Kellner, der dafür verantwortlich war, den Gästen einen freien Tisch zu zeigen, mehr als verwirrt. Er sieht nicht aus, als hätte er viel Geld, dachte er. Hat er sich vielleicht geirrt und will eigentlich in den schäbigen Laden gegenüber?
Aber der Mann kam entschlossenen Schrittes auf ihn zu. »Ich hätte gerne einen Tisch«, sagte er ohne die Kapuze abzusetzen.
Das Herz des Kellners wäre vor Schreck fast stehen geblieben. Aus der Entfernung hatte er den muskulösen Körperbau nicht wirklich wahrgenommen und die Muskeln für Kleiderschichten oder Fett gehalten. Er ist ein Gilden-Anführer, der unerkannt bleiben möchte, schoss es ihm durch den Kopf. Er wusste selbst nicht, woher der Gedanke plötzlich kam. Alles an diesem Fremden schrie nur so nach respektvoller Behandlung.
»Natürlich!« Seine Stimme hörte sich höher an als er es gewollt hatte. Steif deutete er auf einen der letzten freien Tische, der in einer etwas abgelegeneren Ecke stand. »Dorthin, Herr.«
Während der Fremde sich an seinen Platz setzte, versuchte der Kellner verzweifelt, sich an das zu erinnern, was man ihm beigebracht hatte. Wenn ein Gilden-Anführer kommt, darf man ihn nicht verärgern. Das ist schlecht fürs Geschäft. Man sollte sich von seiner besten Seite zeigen. Habe ich ihn vielleicht schon beleidigt, indem ich ihn nicht sofort erkannt habe? Er beäugte den Mann aus dem Augenwinkel und knetete seine schwitzenden Hände. Warum ausgerechnet dann, wenn meine Schicht ist?
Der Kellner zuckte zusammen, als der Fremde ihn zu sich winkte. »Alles, was Ihr bestellt, geht aufs Haus!«, platzte er heraus und biss sich gleich darauf auf die Lippen. Habe ich ihn eben wirklich unterbrochen, als er etwas bestellen wollte? Ich bin so gut wie gefeuert...
»Danke«, sagte der Fremde zu seiner Erleichterung nur. »Dann hätte ich gerne ein Stück Fleisch.«
Der Kellner rang sich ein freundliches Lächeln ab. »Welches Fleisch? Wir haben Rind, Schwein, Lamm, Hirsch...«
»Rind ist vollkommen in Ordnung.«
»Welches Teil vom Rind?«
Es entstand eine unangenehme Pause, in der der Kellner um seinen Arbeitsplatz bangte. Hätte ich das nicht fragen sollen? Kommt er öfters hierher? Sollte ich dann wissen, was er normalerweise bestellt? Warum hat mir das niemand gesagt!
»Das, was Ihr selbst nehmen würdet«, kam schließlich die Antwort.
»Wird gemacht, Herr!« Der Kellner schoss so schnell wie möglich in Richtung Küche davon und kam wenig später schweißgebadet zum Tisch zurück. Er trug einen großen Teller mit einem Lendenstück vom Rind, perfekt durchgegart. Dazu Trüffel und Süßkartoffeln sowie eine einzelne Schüssel für die Soße. Alles zusammen stellte er vor dem Fremden auf den Tisch und verbeugte sich. »Ich wünsche Euch einen guten Appetit.«
DU LIEST GERADE
Grüner Habicht und Roter Drache
MaceraBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...