Ghan Edhor hasste das Feldlager und noch mehr den unebenen Waldboden, in dem sein Rollstuhl immer wieder stecken blieb. Er war nicht dafür gemacht, über lockere Erde und holprige Steine zu fahren, und wenn er nicht so gut zusammengebaut gewesen wäre, wäre er wahrscheinlich schon lange auseinander gebrochen.
»Junger Herr Ghan.«
Die Stimme von Fah Zaromo riss ihn aus seinen Gedanken. Der ältere Erzwächter war einer derjenigen, die den Angriff auf die Gämsen-Pagode anführen würden. Und er war einer der wenigen, denen Ghan Edhor in die Geheimnisse seiner Erfindungen eingeweiht hatte. Wenn auch nicht alle. Er war ein guter Mann und Ghan Edhor verstand immer noch nicht, warum Ghan Shedor nicht ihn statt Ro Sabir und Dun Aurora zum Rothirsch-Turm geschickt hatte, um Rin Verran und Mahr Xero als Meister zu ersetzen.
»Es wäre besser, wenn Ihr Euch jetzt in Sicherheit bringt«, fuhr Fah Zaromo fort, als er sich sicher war, dass Ghan Edhor im zuhörte.
»Ja, danke.« Er drehte seinen Rollstuhl leicht, zögerte dann jedoch. »Ich werde vorher nur noch kurz etwas überprüfen.«
Fah Zaromo nickte und Ghan Edhor fuhr in den hinteren Teil des Feldlagers. Die Bresche, die die Arbeiter in den letzten Wochen und Monaten durch den Rotkiefer-Hain geschlagen hatten, war zwar ziemlich breit, aber an einer Stelle gab es an der Seite eine große Ausbuchtung, wo – verborgen vor neugierigen Blicken – das stand, was er nach den Plänen hatte zusammenbauen lassen, die man ihm gebracht hatte. Sein Vater hatte schon seit Langem versucht, solche Maschinen zu bauen, die riesige Steinbrocken ohne viel Mühe und über weite Entfernungen schleudern konnten. Viele hatten sich gewundert, wofür Ghan Kedron damals so viel Holz gebraucht hatte. Die Antwort war leicht: Einerseits, um genug Material für eine solche Maschine zu haben, und andererseits, um Brennholz für die Schmelzöfen zu haben, aus denen die verbindenden Metallteile kommen sollten. Doch erst nach seinem Tod und der Eroberung der Gämsen-Pagode hatte es echte Fortschritte gegeben. Ghan Idos hatte die obersten Stockwerke der Schriftensammlung durchstöbert, die normalerweise für alle außer die Meister verboten war, und dort alte Bücher und Pläne über solche Kriegsmaschinen gefunden. Sie waren zwar alle in der Runensprache verfasst, aber für Ghan Edhor war das kein Problem gewesen. Unter seiner Führung hatte man die Katapulte in einem entlegenen Teil des Silbermistels-Waldes gebaut und dann hierher gebracht, in die Bresche.
»Manchmal frage ich mich, ob mein Wissen ein Fluch oder ein Segen ist«, murmelte Ghan Edhor, während er die Plane zurückzog, die eines der Katapulte bedeckte. Zum Vorschein kam ein Hebel, der über mehrere Zahnräder und weitere Mechanismen mit dem Arm verbunden war, auf dem später die Steine platziert werden würden. Es wäre eine Leichtigkeit für ihn, eines der Zahnräder zu entfernen, denn er wusste genau, woran er dafür rütteln und ziehen musste, aber etwas hielt ihn zurück.
Es ist schon riskant genug, dass ich die Broschüre zu den Drachenklauen in Umlauf gebracht habe, dachte er und erinnerte sich an den Wutanfall, den Ghan Shedor gehabt hatte, als man ihm von den Broschüren berichtet hatte. Ich kann ihn nicht nochmal verraten.
Seufzend zog er die Plane wieder an ihren Platz, drehte sich um und fuhr die Bresche entlang, weg von der Gämsen-Pagode. Er wollte nicht sehen, was diese Maschinen anstellen würden. Oder wie viele der Krieger der Sonne sterben würden.
Auf seinem Weg begegnete er mehreren Erzwächtern, die ihm im Vorbeieilen respektvoll zunickten. Viele Gesichter, die er kannte. Als er am letzten Zelt – seinem eigenen – ankam, hatte er das Gefühl, gleich eine düstere Höhle zu betreten, die er nie mehr würde verlassen können. Unschlüssig hielt er vor dem Eingang an und sah zurück.
»Verzeiht mir«, sagte Ghan Edhor leise. »Ich wünschte, ich wäre als Dummkopf geboren worden.«
Als die Erzwächter der Ghan-Gilde sich in Bewegung setzten, schien beinahe die gesamte Welt zuzuschauen. Von der Mauer der Gämsen-Pagode aus beobachteten die Krieger der Sonne wachsam, wie sich eine Masse aus dunklem Grau am Ende der Brücke sammelte, die über den Knochenbrecher führte.
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Grüner Habicht und Roter Drache
AventuraBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...