Kapitel 82: Staub - Teil 1

104 16 18
                                    

»Wie geht es ihm?«, fragte Rin Verran und schloss die Tür hinter sich, damit die Wärme nicht aus dem Raum wich.

Wie versprochen war er zur Erntezeit hin wiedergekommen und hatte He Baltabek und He Kenje dabei geholfen, die Felder abzuernten. Alles war gut gelaufen, aber nachdem der Winter eingebrochen war, war es He Baltabek auf einmal immer schlechter gegangen. Er hatte nicht mehr so lange gehen können und irgendwann angefangen zu husten. Mittlerweile hustete er auch Blut. Jetzt lag er im Bett, nur halb bei Bewusstsein, während He Kenje voller Sorge neben ihrem Ehemann saß und seine Hand hielt.

»Es wird nicht besser«, sagte sie. Obwohl sie versuchte, es zu unterdrücken, hörte Rin Verran einen Hauch von Verzweiflung heraus. Er war schon fast zwei Jahre auf dem Hof und hatte He Kenje noch nie so besorgt gesehen.

»Ich fahre nochmal los und kaufe neue Medizin«, meinte er und wandte sich zum Gehen. He Kenje würde ihn nicht aufhalten und He Baltabek hatte ihn wahrscheinlich gar nicht gehört. Am Anfang hatte der alte Bauer sich noch gegen Medizin gewehrt. Sie sei zu teuer und sie würden dieses Geld noch für den restlichen Winter brauchen, aber gegen die Entschlossenheit seiner besorgten Ehefrau konnte er nichts tun.

Draußen war es furchtbar kalt. Rin Verran zog den Schal enger um seinen Hals und setzte die Kapuze auf, um wenigstens einen Teil des eisigen Windes nicht spüren zu müssen. Der Atem stand ihm in weißen Wolken vor dem Mund, während er das Pferd vor den Wagen spannte. Er würde zwar nichts transportieren, aber das Ehepaar hatte keinen Sattel. Zu teuer. Zumal der weiße Hengst sowieso nur ein Zugtier war. Die Räder knirschten über den gefrorenen Boden, der vor einigen Tagen noch mit Schnee bedeckt gewesen war. Die Landschaft sah traurig aus. Eine Einöde aus weiß und grau. Selbst der Himmel war so voller Wolken, dass er den Eindruck machte, er wäre schon immer weiß gewesen.

Auf dem Weg begegnete Rin Verran kein einziger Mensch. Bei dieser Eiseskälte blieben wahrscheinlich alle zu Hause, aber hätte ihm nicht wenigstens einer entgegenkommen müssen? Warum war die Straße wie leer gefegt? Sogar vor den Stadttoren von Dreme ließen die Feuerwächter sich nur kurz blicken, um ihn durchzuwinken, bevor sie zurück in ihre warme Wachhütte verschwanden. Rin Verran lenkte das Pferd die Hauptstraße entlang zu dem Laden, wo er schon zuvor die Medizin für He Baltabek gekauft hatte, und hielt an. In einiger Entfernung standen tatsächlich ein paar Menschen herum, die sich die kalten Hände rieben, um sich aufzuwärmen. Am Straßenrand hockte ein Bettler, der aber anscheinend eingeschlafen war. Vielleicht war er auch schon tot.

Rin Verran seufzte, stieg vom Wagen und betrat den Laden. Die Glocke an der Tür klingelte und kurz darauf tauchte Herr Sal aus dem Hinterzimmer auf. Seine Augen sahen hinter der Brille mit den runden Gläsern so klein aus, dass sie fast unnatürlich wirkten. Als er Rin Verran erblickte, erlosch das Lächeln auf seinem Gesicht.

»Es hat nicht geholfen?«, fragte er.

Rin Verran schüttelte den Kopf. »Er hustet immer noch. Blut. Und er ist kaum bei Bewusstsein.« Er legte ein paar Münzen auf die Theke. »Gibt es eine andere Medizin, die ihm helfen könnte?«

Herr Sal sah ihn bedauernd an. »Alles andere geht weit über das hinaus, was Ihr Euch leisten könnt, junger Mann. Selbst das doppelte von dem, was Ihr jetzt hingelegt habt, würde nicht reichen. Ihr könnt nur die Symptome bekämpfen und hoffen, dass es ihm zum Frühling hin besser geht.«

»Und wenn er nicht zum Frühling überleben wird?«

»Dann... ist das ein unglaublicher Verl...«

Bevor Herr Sal aussprechen konnte, schlug Rin Verran so heftig mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Münzen ein Stück hoch flogen. »Ein Verlust, ja? Ich verdanke He Baltabek mein Leben! Ich werde nicht zulassen, dass er einfach so stirbt! Es muss noch eine andere Medizin geben, die gegen diese Krankheit hilft!«

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt