Es kam Rin Verran wie eine Ewigkeit vor, bis der Heiler der Rin-Gilde, Dar Fobun, ihm endlich den unangenehmen Klumpen an seinem Arm abnahm. Trotzdem durfte er ihn noch nicht belasten, sodass er weder den Phönix-Hof verlassen noch trainieren durfte wie Rin Raelin es regelmäßig tat. Sein Bruder war mit jeder Woche, die vergangen war, frustrierter geworden. Zumal das Datum seiner Hochzeit mit Dul Veyvey immer näher rückte. Unter anderem deshalb hatte Rin Narema Rin Verran dazu verdonnert, sich um einen Teil ihrer Unterlagen und Dokumente zu kümmern, die sie täglich als Gilden-Anführerin abarbeiten musste, während sie selbst sich mit den Vorbereitungen für die Hochzeit beschäftigte.
Rin Jadna war die meiste Zeit in einer nahegelegenen Kleinstadt namens Ridike, wo sie ihre Musikschule eröffnet hatte. Weil sie einige Tagesreisen entfernt lag und Rin Jadna mittlerweile viele Schüler hatte, blieb sie also lieber dort und kam nur ab und zu vorbei, um nach ihren Brüdern zu sehen. Das letzte Mal war jedoch erst gestern gewesen, sodass Rin Verran nicht wusste, wann sie wiederkommen würde.
Was Yodha und seine Drohung anging... Es hatte weder Anschläge noch nächtliche Eindringlinge gegeben. Alles war ruhig und allmählich entspannte Rin Verran sich. Er wusste zwar nicht genau, was dieser seltsame Fremde mit seinem Besuch bezwecken wollte – es war wohl offensichtlich, dass er ihm nicht vertrauen würde –, aber anscheinend war das eine einmalige Sache gewesen.
Rin Verran fuhr aus seinen Gedanken auf, als ein weiterer Stapel aus chaotischen Zetteln, Schriften und Heften vor ihm auf dem Tisch landete. Seufzend schaute er hoch zu der Dienerin, die jedoch nur entschuldigend mit den Schultern zuckte und wegtrat. Es war wirklich eine Plage, sich um diese ganzen Dokumente zu kümmern. Zumal die meisten von ihnen von Rin Narema geschrieben oder kommentiert worden waren und ihre Schrift war einfach nur furchtbar. Es sah teilweise so aus, als hätte ein Vogel seine Krallen in ein Tintenfass getaucht und wäre dann über das Blatt gelaufen. Manchmal fragte Rin Verran sich, wo in aller Welt Rin Narema schreiben gelernt hatte, dass ihre Schrift so schrecklich war. Zum Glück hatte er sich mittlerweile aber schon daran gewöhnt.
Lustlos blätterte Rin Verran durch die Seiten des nächstbesten Heftes. Irgendwelche Rechnungen und Zählungen. Getreide, Mais, Gewürze, Viehfutter. Er spielte mit dem Gedanken, einfach auf alles einen Stempel zu setzen, um möglichst schnell fertig zu sein, aber er war sich bewusst, dass die persönliche Dienerin von Rin Narema, She Maja, die Aufgabe bekommen hatte, ihn strengstens zu überwachen. Sollte er sich auch nur einen Fehler erlauben, würde es also gehörig Ärger geben.
Gerade wollte er den Stapel vorerst beiseite schieben, um an den zu kommen, den er noch nicht beendet hatte, als sein Blick auf einen versiegelten Brief fiel. Nicht, weil er irgendwie besonders auffällig war, sondern weil Bao Jenkos Name darauf stand. Es war schon lange her, dass er das letzte Mal mit seinem früheren Freund gesprochen hatte. Bao Jenko wurde einerseits von Rin Baleron mit Arbeit zugeschüttet und andererseits gingen sie sich seit der Auseinandersetzung am Fuchsbaum aus dem Weg.
»Wohin?«, fragte She Maja sofort, als er mit dem Brief in der Hand aufstand. Ihre schrille Stimme war unausstehlich.
»Den Brief zu seinem Empfänger bringen«, antwortete Rin Verran. »Dauert nicht lange.«
She Maja kniff die Augen zusammen. »Du darfst nicht gehen, bevor du nicht alles abgearbeitet hast.«
»Es dauert wirklich nicht lange«, sagte er leicht genervt und ging einfach an ihr vorbei, verließ den Raum. Bao Jenko musste sich im Verwaltungshaus befinden, einem kleinen Anbau der Flammen-Halle, den man auch von außen betreten konnte. Wie erwartet fand Rin Verran seinen früheren Freund in Dokumenten versunken an einem der Tische sitzen. Er schaute nur kurz auf und fuhr dann fort, irgendwas aufzuschreiben.
»Ich habe einen Brief für dich«, verkündete Rin Verran und versuchte, so fröhlich wie früher zu klingen, was ihm aber nicht so recht gelang.
»Von wem?«
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Grüner Habicht und Roter Drache
AdventureBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...