Kapitel 41: Gefühle - Teil 3

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Rin Verran hob den Kopf. Er war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass er die Person, die das Rundhäuschchen betreten hatte, erst bemerkte, als ihr Schatten auf das Wasser fiel. In der Spiegelung sah es wegen der Wellen, die von den schwimmenden Enten ausgingen, so aus, als würden sich schwarze Linien durch ihr Gesicht ziehen. Das grüne Stoffband flatterte im Wind.

»Ich habe gehört, dass du zum Krähen-Palast reist«, sagte Dul Arcalla.

Rin Verran nickte. Es war ein Monat vergangen seit er Ghan Shedors Brief gelesen hatte. Mittlerweile musste der ganze Forellen-Pavillon davon wissen, dass er zum Wohnsitz der Ghan-Gilde aufbrechen würde.

»Du hast ihn beim Angriff der Drachenklauen anscheinend sehr beeindruckt«, fuhr Dul Arcalla fort. »Du hast ihm das Leben gerettet.«

»Ich habe einen Menschen getötet.«

»Du bist nicht der einzige.« Sie trat neben ihm. Im Spiegelbild trafen ihre Blicke sich. »Ich konnte Ghan Ilana auch nicht vor dem Tod retten, obwohl ich mein Bestes getan habe. Es hat nicht gereicht.«

»Das ist etwas Anderes. Scheitern, jemanden zu retten, oder gezielt jemanden töten. Das sind zwei verschiedene Sachen.«

»In beiden Fällen stirbt jemand. In beiden Fällen fühlt man sich gleich schlecht. Wenigstens ist das ein Zeichen dafür, dass man ein Herz hat.«

»Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich eines habe.«

Rin Verran versteifte sich, als Dul Arcalla seine Hand nahm, doch sie fühlte nur seinen Puls.

»Du hast ein Herz. Das kann ich dir als Heilerin garantieren. Es schlägt sogar sehr schnell.« Ein Lächeln huschte über ihre Lippen und war wieder verschwunden, als sie seinen gequälten Gesichtsausdruck sah. Er zwang sich dazu, sich ihrem lockeren Griff zu entwinden, obwohl alles in ihm sich dagegen sträubte.

»Tu nicht so, als wüsstest du den Grund dafür nicht«, flüsterte er und sah weg.

Er hörte Dul Arcalla seufzen. Sie lehnte sich neben ihm an das Geländer, sodass er mehr oder weniger dazu gezwungen war, sich ihr zuzuwenden. Die echte Dul Arcalla sah viel schöner aus als ihr Spiegelbild. Die Züge waren nicht so verzerrt und alles war farbiger. Das helle Rosa auf ihren Wangen, die blonden Haare, zusammengehalten von einem grünen Stoffband.

»Ich habe gehofft, du hättest verstanden, dass zwischen uns nichts sein kann und auch nichts sein wird«, sagte sie leise. Die blaugrünen Augen schienen direkt in sein tiefstes Inneres zu blicken. »Du hast jetzt Veyvey. Du musst mich vergessen.«

»Als ob das so leicht wäre.«

Darauf antwortete Dul Arcalla erstmal nichts.

»Glaub mir, ich habe versucht, mich von diesem Gefühl abzulenken«, fuhr er deshalb fort. »Aber jedes Mal, wenn ich dich treffe, kommt es zurück. Wie ein Schatten. Ein Schatten ist auch immer da und egal, wie sehr man versucht, ihn loszuwerden, er wird immer da sein. Man kann sich nur dem Gesicht der Sonne zuwenden, um ihn nicht mehr zu sehen. Aber ich habe keine Sonne. Rin Veyvey... Sie ist so viel anders als du. Sie ist schnell gereizt, regt sich über jede Kleinigkeit auf und nervt mich manchmal einfach nur noch. Ich weiß, sie ist deine Schwester und meine Ehefrau und ich sollte nicht so über sie reden, aber...« Er lachte auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Warum erzähle ich das alles eigentlich? Das macht alles nur noch schlimmer.«

»Ich habe nie mehr als einen Freund in dir gesehen«, sagte Dul Arcalla ungewöhnlich ernst. »Egal, was du jetzt sagst oder tust, nichts wird das ändern. Ich kann meinem Herz nicht befehlen, wen ich liebe. Und du auch nicht.«

»Ich versuche doch nicht...« Rin Verran brach mitten im Satz ab. Doch, genau das tue ich. Ich versuche, sie mit Worten dazu zu bringen, meine Gefühle wenigstens ein kleines Bisschen zu erwidern, obwohl ein Wir sowieso unmöglich ist. Er lächelte gequält. »Du hast recht. Es tut mir leid.« Er streckte die Hand aus und versuchte gleichzeitig das Zittern zu verhindern. »Freunde?«

Dul Arcalla schlug ein und nickte ihm zu. In ihren wunderschönen Augen meinte er, so etwas wie Respekt zu erkennen. Hatte er also erstmals etwas richtig gemacht?

»Ich wollte dir noch etwas sagen«, meinte sie, als sie ihre Hand zurückzog. »Mahr Xero hat mir einen Antrag geschickt. Der Zatos wurde zwar abgebrochen, aber Vater hat trotzdem einen von ihm erhalten. Ich dachte, du solltest es wissen.«

Rin Verran versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Er hat es wirklich getan! Er hat es wirklich getan, so wie er es angekündigt hat! Dieser... Dieser... Ihm fiel kein angemessenes Schimpfwort ein. Er starrte Dul Arcalla an. Sie wartete offenbar auf eine Reaktion, doch sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Müsste ich mich freuen? Was würde ein richtiger Freund tun? Er würde ihr bestimmt gratulieren. Es kostete ihn alle Kraft, seine Wut und Enttäuschung unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig den Schmerz nicht zu zeigen, aber er hatte geschworen, dass es ihm nur darum ging, Dul Arcalla glücklich zu sehen. Zudem hatten sie zuvor klargestellt, dass sie nur Freunde waren. Nichts mehr. Keine Hoffnung auf mehr. Keine Diskussionen mehr.

Irgendwie schaffte er es, sich ein Lächeln auf die Lippen zu zwingen. »Ich freue mich für dich. Mahr Xero und du, ihr habt euch schon in der Gämsen-Pagode gut verstanden. Er muss dich sehr lieben, wenn das all die Jahre gehalten hat.«

Aus irgendeinem Grund schwieg Dul Arcalla eine Weile, bis sie sich endlich das Stoffband zurückstrich, das ihr über die Schulter geweht war, und lächelte. »Danke.«

Rin Verran fürchtete, man könnte seiner Stimme die Aufgewühltheit anmerken, also nickte er ihr zum Abschied nur wortlos zu und ging davon. Erst als er schon in seinem Gebäudeteil war, fiel ihm ein, dass dieses Nicken eigentlich kein richtiger Abschied gewesen war. Dabei würde er schon morgen abreisen. Zusammen mit Rin Veyvey, die darauf bestanden hatte, mitzukommen, obwohl er nicht begeistert davon war. Allgemein war er ihr aus dem Weg gegangen so gut es ging, um nicht über die Nacht nach dem Zatos reden zu müssen, aber jetzt würde er wahrscheinlich nicht mehr drumherum kommen. Es ist besser so, redete er sich ein. Arcalla hat jetzt Mahr Xero und ich Rin Veyvey. Er presste die Augen fest zusammen in der Hoffnung, den Schmerz so ignorieren zu können, aber er ging einfach nicht weg.

Rin Verran stieß einen unterdrückten Schrei aus und schlug mit der Faust gegen die Wand neben der Tür. Dabei löste sich eines von Dul Caithas Gemälden, die im Eingangsbereich aufgehängt waren, und verschwand auf Nimmerwiedersehen hinter einer Kommode. Es hatte eine Landschaft mit Rehen gezeigt. Ähnlich dem, das Dul Arcalla in der Gämsen-Pagode über ihrem Bett aufgehängt hatte. Sollte es doch da bleiben, zusammen mit all seinen Hoffnungen. Zusammen mit all seinen Gefühlen. Er würde sie einfach ganz tief in sich einsperren, damit sie nie wieder das Tageslicht erblickten. Damit sie ihn nicht wieder und wieder aus der Bahn warfen und seine Gedanken in Chaos verwandelten.

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Das ist vermutlich das kürzeste Kapitel im ganzen Buch XD Es hält auch noch ein paar andere Rekorde: Das Kapitel, das ich am meisten überarbeitet habe. Das Kapitel, das ich am meisten gekürzt habe, um unnötiges Wischwasch-Blabla zu minimieren. Das Kapitel, mit dem ich am längsten unzufrieden war. Es ist irgendwie das problematischste Kapitel, aber ich hoffe, es ist trotzdem gut und verständlich rübergekommen :)

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt