Kapitel 21: Wiedersehen - Teil 1

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Vier Monate später veranstaltete die Ghan-Gilde eine Zatos-Meisterschaft. Die erste, an der Rin Verran teilnehmen würde. Schon Wochen vorher hatten er und Rin Raelin damit angefangen, ihre Kampf- und Bogenschusstechniken aufzufrischen, während Rin Jadna unnachgiebig auf ihrer Flöte Traumfänger geübt hatte. Letztes Jahr, als die beiden Brüder auf dem Weg zum Krähen-Palast gewesen waren, hatte es ebenfalls einen Zatos gegeben, auf dem sie beinahe den ersten Platz im Musik-Wettkampf gewonnen hatte. Nur eine junge Frau aus einer kleineren Gilde war besser als sie gewesen, doch wenn die Gerüchte stimmten, hatte sie ihr Instrument aufgegeben, sodass Rin Jadna nun alle Chancen hatte, den Wettkampf endlich zu gewinnen.

Rin Baleron und Rin Narema waren anfangs erneut dagegen gewesen, Rin Verran mitzunehmen. Wer sie letztendlich doch noch überzeugen konnte, war unbekannt. Vielleicht lag es ganz einfach daran, dass er bei dem Vorfall im Rotkiefer-Hain dabei gewesen war und viele Gilden ihn und Rin Raelin sehen wollten. So oder so, Rin Baleron hatte die Vorbereitungen seiner Söhne sorgsam überwacht, wobei jedoch unklar gewesen war, ob er gut fand, was er sah, oder nicht. Manchmal hatte er auch sein eigenes Schwert Feuerkranz gezogen und damit einige Bewegungen vorgeführt, die die beiden dann versucht hatten, nachzuahmen. Feuerkranz war nicht sein Herzstück – das hatte er vor vielen Jahren verloren –, aber trotzdem war Rin Baleron eins mit seiner Waffe und hatte seinen Söhnen vieles zeigen können.

Da der Zatos im Silbermistel-Wald stattfand, hatte die Rin-Gilde einen langen Weg vor sich und reiste deshalb mit einer kleinen Wagenkolonne, die von Pferden gezogen wurde. Rin Raelin war im ersten Moment überhaupt nicht begeistert gewesen, hatte aber keine andere Wahl gehabt. Wenigstens musste er nicht auf einem der Pferde reiten.

Je näher sie dem Territorium der Ghan-Gilde und besonders dem Krähen-Palast kamen, desto nervöser wurden die beiden Brüder. Zum Glück konnten sie es aber auf ihre Aufregung wegen des Zatos schieben. Insgeheim fragten sie sich jedoch, ob Ghan Kedron vielleicht darauf gekommen war, wer ihm in Wirklichkeit den Brief untergeschoben hatte. Vielleicht würde er sie öffentlich zur Rede stellen. Vielleicht...

»Ihr seht so nervös aus«, bemerkte Rin Jadna, die mit ihnen im Wagen reiste. »Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen. Alle Wettbewerbe sind fair und selbst wenn ihr nicht so gute Plätze belegt, wie ihr es euch erhofft habt, solltet ihr nicht traurig sein. Der erste Zatos ist immer etwas Aufregendes.«

»Es ist nicht mein erster Zatos«, brummte Rin Raelin.

»Aber der erste, an dem du teilnimmst.« Rin Jadna zwinkerte ihm aufmunternd zu. Im selben Moment blieb der Wagen stehen und sie schob die Vorhänge etwas zur Seite, um nach draußen schauen zu können. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Wir sind da!«

Die drei Geschwister stiegen aus und wurden sofort von einer Reihe von Dienern empfangen, die sie mit höflichen Worten und vielen Verbeugungen in Richtung des Krähen-Palastes führten. Rin Verran schaute sich neugierig um. Sie waren wirklich auf die andere Seite der Mauern gekommen, die jetzt hinter ihnen hoch ragten. Über den schwarzen Steinen waren die hellgrünen Baumkronen zu sehen, die leicht rauschten, sobald ein Windstoß über sie fuhr. Vor ihm erhob sich hingegen der Krähen-Palast in all seiner Pracht.

Rin Verran hätte nicht gedacht, dass Menschen so etwas Riesiges bauen könnten, das auch noch so respekteinflößend aussah. Die Mauern und Dächer waren vollkommen schwarz und wirkten wie direkt aus einem Albtraum in die wirkliche Welt geholt. Als sie durch das Eingangstor traten, war davon jedoch nichts mehr zu sehen. Überall funkelte und glitzerte es als wäre der ganze Palast ein unglaublich teures Kunstwerk. Vielleicht war er das ja auch.

»Hier entlang, Gilden-Anführer«, sagte einer der Diener weiter vorne zu Rin Baleron und führte sie durch einen weiten Flur, der kein Ende zu haben schien. Die drei Geschwister folgten gehorsam und bald erreichten sie ein großes Tor, das wieder nach draußen führte. Schon von Weitem war das laute Gelächter und die angeregten Gespräche der anderen Gäste zu hören. Sie standen alle auf einem riesigen Platz, der bis an die hinterste Mauer des Krähen-Palastes reichte. Die Ghan-Gilde hatte sich wirklich Mühe gegeben, alles so bequem und hübsch wie möglich einzurichten. In regelmäßigen Abständen waren Tische und Stühle aufgestellt und an den Rändern befand sich ein großes Buffet, bei dessen Köstlichkeiten Rin Verran das Wasser im Mund zusammenlief.

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt