Die Drachenklauen kamen eine Woche früher als erwartet. Rin Verran war gerade bei Ghan Reva und lauschte ihrem Flötenspiel, das sich stetig verbessert hatte, als Wen Irdan das Zimmer betrat und ihm mit einer Handgeste bedeutete, ihm nach draußen zu folgen. Er brauchte nicht nachzufragen, um zu wissen, worum es ging.
»Sie sind schon im Zelt von Meister Jhe«, erklärte Wen Irdan mit seiner tiefen Stimme. »Aber eine der Frauen wurde von Se Laf weggebracht.« Er öffnete nochmal den Mund, als wollte er etwas hinzufügen, ließ es dann aber sein und presste seine Lippen zusammen. Ein dunkler Ausdruck trat in seine Augen.
Rin Verran atmete tief durch. Wahrscheinlich Mehn Zairda. Warum hat Mehn Wudu sie überhaupt mitgenommen? Als er im geheimen Versteck der Drachenklauen gewesen war, hatte er sie nie gesehen, nur ihre Schreie gehört. Wie war sie unbeschadet durch den Tunnel geschwommen? Unter den teils finsteren und teils neugierigen Blicken der Krieger der Sonne, die sich vor dem Zelt versammelt hatten, aber nicht wagten, näher zu kommen, tauchte er unter der Plane hindurch und betrat den Innenraum.
Das erste, was ihm auffiel, war die zum Reißen gespannte Atmosphäre. Alle Anwesenden standen, obwohl um den Tisch herum eigentlich genug Stühle bereitgestellt waren. Meister Jhe wurde links von Kar Moora und rechts von seinem Neffen Jhe Zaushi flankiert. Ihm gegenüber hatten sich Mehn Wudu und Ghan Leddan aufgebaut, an dessen Gürtel immer noch die schwarze Maske von Yodha hing. Etwas abseits standen Dia Nemesis, Jin Gajin und Va Dalja. Letztere wirkte mit ihrem rot-weißen Kleid etwas fehl am Platz. Alle Drachenklauen waren von oben bis unten durchnässt und in den schwarzen Haaren von Dia Nemesis klebten sogar noch einige Kiefernnadeln.
Als Rin Verran das Zelt betrat, drehten sie sich zu ihm um. Auf den Lippen von Mehn Wudu erschien ein Lächeln, das mehr künstlich als echt wirkte.
»Mein Neffe, du hast dich wirklich an dein Versprechen gehalten«, sagte er.
»Wie hätte es auch anders sein können. Ich habe das Wasser der Wahrheit getrunken, bevor ich es ausgesprochen habe.«
»Das stimmt.« Mehn Wudus Aufmerksamkeit wanderte wieder zu Meister Jhe. »Also? Wie lautet Eure Antwort?«
»Wenn ich gewusst hätte, aus welchem Grund mein Schüler sich mit den Drachenklauen verbündet und ihnen auch noch den geheimen Zugang zur Gämsen-Pagode verrät, hätte ich ihn schon lange getötet«, erwiderte dieser scharf. Sein Blick wanderte zu Ghan Leddan. »Euer Handeln hat alle Gilden in einen Krieg gestürzt, der jetzt schon über drei Jahre andauert. Und Ihr erwartet, dass die Krieger der Sonne mit Euch zu einem Treffen mit Ghan Shedor kommen, auf dem Ihr nicht nur die gesamte Ghan-Gilde, sondern alle Gilden, in Flammen aufgehen lassen wollt.«
»Ich habe es Euch bereits erklärt«, sagte Mehn Wudu, als Ghan Leddan nicht antwortete. »Es geht um Gerechtigkeit. Wir werden zuvor nach Val Zirro verlangen und ihm das Wasser der Wahrheit geben, damit er die wahre Geschichte über die Auslöschung meiner Gilde erzählt. Damit alle wissen, dass der Niedergang der Gilden nichts als verdient ist.«
»Es läuft auf dasselbe hinaus!«, mischte Jhe Zaushi sich in das Gespräch ein und wollte noch etwas hinzufügen, doch sein Onkel warf ihm einen warnenden Blick zu, der ihn zum Schweigen brachte.
»Die Krieger der Sonne...«
»Die Krieger der Sonne werden ganz bestimmt auf unserer Seite sein«, unterbrach Mehn Wudu Meister Jhe. »Ich könnte jetzt gleich nach draußen gehen und verkünden, dass wir einen Weg gefunden haben, die Ghan-Gilde zu vernichten. Was sie wohl tun werden, wenn sie erfahren, dass Ihr Euch dagegen sträubt?« Er breitete die Arme aus. »Wir werden so oder so zu diesem Treffen gehen. Ihr könnt uns nicht aufhalten. Es geht nur darum, genug Krieger draußen zu haben, um die Fliehenden abzufangen.«
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Grüner Habicht und Roter Drache
AdventureBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...