Rin Verran hatte gerade mal einmal geklopft, als von innen schon etwas gegen die Tür geschleudert wurde und krachend entzwei brach. Er seufzte, holte tief Luft und sagte mit ruhiger Stimme: »Du kannst mich nicht ewig ignorieren und aussperren. Ich habe auch ein Recht darauf, Kahna zu sehen.«
Überrascht wich er ein Stück zurück, als die Tür tatsächlich geöffnet wurde. Rin Veyvey starrte ihn mit wütend funkelnden Augen an. In ihrer Hand hielt sie die goldene Spange, mit der sie normalerweise ihre Haare hoch steckte. Sie umklammerte sie so fest, dass ein Tropfen Blut zwischen ihren Fingern hervor quoll. Aber sie machte keine Anstalten, auf ihn los zu gehen wie sie es sonst manchmal getan hatte, wenn sie über alle Maßen wütend war.
»Darf ich reinkommen?«
Als Rin Veyvey nicht antwortete, sondern nur beiseite trat, nahm er das als Zustimmung und ging an ihr vorbei. Hinter ihm wurde die Tür mit einem Knall zugeschlagen. Dann spürte er plötzlich etwas Kaltes, Spitzes an seinem Hals. Er erstarrte. Jede noch so kleine Bewegung würde dazu führen, dass dieses Etwas sich in seine Schlagader bohrte und er elendig verblutete. Langsam hob er die Arme, um zu zeigen, dass er Habichtfeder nicht ziehen würde.
»Ich hasse dich«, hörte er Rin Veyvey hinter sich schluchzen. »Ich sollte dich hier und jetzt töten, um meine Eltern zu rächen! Du hast sie umgebracht! Du hast alle meine Freunde umgebracht! Dabei hättest du sie retten sollen!« Ihre Stimme bebte und auch ihre Hand, die die scharfe Waffe hielt, zitterte. Die Spitze schrammte an einer Stelle über seine Haut, ritzte sie ein Stück ein.
»Veyvey, du...«
»Nenn mich nicht so!« Bei ihrem Schrei fing Rin Kahna im Kinderbett an zu weinen, aber es gab niemanden, der sie trösten konnte. »Du bist Schuld! Ich... Ich...«
Rin Verran spürte, dass sie immer mehr zitterte. Es wurde immer gefährlicher für ihn. Als Rin Veyvey rasselnd Luft holte und die Spitze der Waffe sich etwas von seinem Hals entfernte, reagierte er blitzschnell. Er packte ihr Handgelenk, das den scharfen Gegenstand hielt, wirbelte herum und stieß sie gegen die nächste Wand, wo er sie mit den Armen fixierte. Rin Veyvey bäumte sich in seinem Griff auf und schrie wütend, konnte sich aber nicht befreien. Bei einem ihrer Versuche fiel ihr die goldene Haarspange aus der Hand. Aus einer Seite ragte jetzt eine spitze, dünne Nadel hervor, die zuvor anscheinend darin versteckt gewesen war.
»Es tut mir leid. Alles tut mir leid«, sagte Rin Verran, während er sie weiter festhielt. »Ich wollte das nicht, aber ich hatte keine Wahl. Es war Ghan Shedors Befehl und ich konnte mich nicht gegen ihn stellen. Für unsere eigene Sicherheit. Ich...«
»Lüge!« Rin Veyvey kämpfte immer noch gegen ihn an. »Du hast dich freiwillig gemeldet, um den Forellen-Pavillon anzugreifen! Wie konntest du! Wir haben dich aufgenommen! Wir haben dir vertraut! Und das ist dein Dank? Du niederträchtige Schlange! Ich hasse dich!«
Rin Verran verzog gequält das Gesicht und ließ sie endlich los, trat einige Schritte zurück. Er erwartete, dass Rin Veyvey die Haarspange aufheben und sich wieder auf ihn stürzen würde, aber sie glitt einfach nur an der Wand hinunter und weinte, vergrub das Gesicht in den Händen. Was soll ich machen? Ich kann mich so viel entschuldigen wie ich will, aber ich kann Tote nicht wieder zum Leben erwecken. So viele Fehler. So viel Schuld. Er konnte sich das nicht weiter ansehen. Auch er sank zu Boden. Die untere Hälfte von Habichtfeder schrammte über den Stein.
»Ich weiß, du kannst mir nicht verzeihen«, sagte er leise. »Darum werde ich auch nicht um Vergebung bitten. Ich möchte nur, dass du weißt, wie sehr es mich geschmerzt hat, das alles zu tun. Ich verspreche dir, dass wir den Krähen-Palast bald verlassen werden. Ghan Shedor hat mir angeboten, eine eigene Gilde zu gründen. Dann werde ich auch nicht mehr an seine Befehle gebunden sein. Kahna wird ein glückliches Leben haben.«
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Grüner Habicht und Roter Drache
AdventureBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...