5. Kapitel (Albus): Gold zu Rot

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Warum. Wa-rum? Ich war wohl mit Abstand der selbstzerstörerischste Mensch, den es gab. Gerade vor vier Wochen erst hatte ich doch in den Spiegel Nerhegeb gesehen und nun tat ich es schon wieder. Ich musste wirklich vollkommen verrückt sein, das zu tun, dachte ich und zog das Tuch weg.
Nerhegeb.
Kaum, dass ich den Blick hob und in den Spiegel sah, bereute ich es. Na ja, jedenfalls fast. Oh, nein ich bereute es überhaupt nicht. Nun, ich hätte es mir denken können, dass sich in diesen vier Wochen nichts geändert hatte. Nein. Niemand geringeres als Gellert Grindelwald sah mir entgegen.
Zweifarbige Augen.
Dunkle Haare mit einer hellen Strähne, die ihm in die Stirn hing.
Auch wenn es nicht mehr die blonden Haare waren, die ich kannte... Wie schaffte er es nur, so wunderschön zu sein? Ich verzog bitter die Lippen. Jede Wette, dass ihm seine Anhängerinnen in Scharen hinterherrannten.
Er zog sie an.
Wie ein Magnet Eisen.
Wie das Licht die Motten.
Mit einem Seufzen musterte ich sein Abbild.
Seine zweifarbigen Augen glitzerten, auf seinen Lippen lag ein kaum merkliches, halb belustigtes, halb spöttisches Lächeln. Nein, Albus, hör auf! Du darfst ihn nicht mehr lieben. Außerdem tust du's gar nicht mehr. Er ist dir egal. War er eben nicht. Und das war das Problem. Als er gestern das Ministerium angegriffen hatte... Es war schrecklich gewesen. Dennoch... in dem Moment, in welchem sich unsere Blicke getroffen hatten, war mir, als hätte er mir zum zweiten Mal das Herz rausgerissen.
Dann war da noch dieser Moment gewesen, kurz nachdem er mir seine Energie gegeben hatte. Ich konnte nicht vergessen, wie er mich angesehen hatte, mir so nah gekommen war, dass ich seine Wärme gespürt hatte. Und seine Worte...
'Still. Nicht jetzt, wo ich das größere Wohl einmal vergesse.'
Er das größere Wohl vergessen? Niemals. Dieser Satz völlig absurd. Nein, er hatte gelogen. Bestimmt hatte er das. Nichts anderes. Gelogen. Gelogen.

Zehn Minuten später tat ich das Gleiche, was ich in den vergangenen Tagen zu 80% meiner unterrichtsfreien Zeit getan hatte: Ich starrte den Blutpakt an. So kalt. So eisig. So gefühllos. Ohne Leben. Nichts. Nur eisige Leere. Wie auch bei Gellert. Keine Gefühle, nicht der Hauch von Emotionen. Nichts. Aber... stimmte das wirklich? Ja. Nein. Oh, wenn ich das wüsste! Wie viel konnte ein Mensch wie er, ein Schwarzmagier, überhaupt noch fühlen? Konnte er das noch? Wenn ja, was? Stolz, Hass, Wut, Gier, Größenwahn, Selbstsicherheit, Macht? Wenn nein, hatte er dann jemals Gefühle gehabt? Oder nicht? Hatte er noch nie etwas gefühlt? Halt. Meine eigenen Überlegungen ließen mich zusammenzucken. Diese Frage, sie war... so grausam. Hatte er noch nie etwas gefühlt? Nein, das war wirklich zu schlimm. Zu grausam. Außerdem war es gar nicht möglich, dass ein Mensch nichts fühlte. Aber andererseits hatte Gellert schon viele Dinge geschafft, die von den meisten Zauberern, auch von mir, für unmöglich gehalten wurden. Von daher sollte es mich doch theoretisch nicht wundern, wenn er einen Weg gefunden hatte, seine Gefühle völlig zu überwinden, völljg beiseite zu schieben, zur absoluten Bedeutungslosigkeit verblassen zu lassen? Nein, Albus! ermahnte ich mich. Hör auf, ständig etwas Besonderes in ihm zu sehen! Er ist nichts Besonderes! Wenn überhaupt ist er besonders leichtsinnig! Genau. Lügen. Gellert liebte Lügen. Zumindest tat er alles, um diesen Eindruck zu erwecken. Plötzlich, ohne dass ich ihn gereizt hätte, färbte sich der Blutpakt rot. Erschrocken starrte ich auf ihn hinab. In dem glitzernden Rot tauchten silberne Funken auf, die sich im Kreis an das Glas legten. Sein Zorn. Nein. Ich spürte, dass er ganz kurz vorm Durchdrehen war.
Warum? Was würde passieren, wenn wir uns erneut duellieren?
Dann würde mindestens einer von uns sterben.
Seine Worte fielen mir wieder ein. Während ich auf den Blutpakt sah, wurde mir klar, dass die silbernen Funken vermutlich das waren, was töten würde. Das war keine harmlose Magie. Dieses... Ding war ein Monster. Beunruhigt stellte ich fest, dass immer mehr silberne Funken in dem funkelnden Rot auftauchten. Nein. Nein. Nein. "Ruhig. Ganz ruhig. Wir kämpfen nicht. Ruhig.", flüsterte ich. Eigentlich war es albern, mit einer Phiole zu sprechen, aber in diesem Fall hing mein Leben davon ab. "Alles gut. Wir kämpfen nicht.", wiederholte ich. Ganz, ganz langsam wurde der Blutpakt wieder zu Gold. Ich wagte kaum zu atmen, bis auch der letzte Schimmer Rot verflogen und durch Gold ersetzt worden war. So unschuldig lag er da vor mir. Golden glitzernd mit den kreisenden Blutstropfen. Kein Rot. Kein silbernes Flirren. Zum Glück. Vermutlich wäre es gut, wenn ich gar nicht erst daran dachte. Ja. Aber so sehr ich es auch versuchte, diese eine Frage blieb, flüsterte unerbittlich: Warum hatte der Blutpakt sich rot gefärbt?
Warum?
Wäre es möglich, dass er spüren konnte, wenn Gellert, wo auch immer er gerade war, an ein Duell zwischen ihn und mir dachte? Möglich. Dann musste Gellert mich aber sehr hassen, wenn auf eine Entfernung von mehrer tausend Kilometer (ich nahm an, dass er in Nurmengard war), den Blutpakt so zum Ausrasten bringen konnte. Und das war es. Dieser Hass. Wenn er mich wirklich auf diese Weise hasste, warum hatte er dann vor fünf Tagen seine mentale Stärke für mich geopfert? Er hatte gesagt, um mich selbst töten zu können. Wenn das stimmte... Wo waren seine Mordversuche? Seit unserem letzten Treffen im Ministerium hatte er nichts von sich sehen lassen. Natürlich stand er immer noch als 'Gesucht' im Tagespropheten und auch der Ministeriums-Überfall hatte mal wieder für eine riesige Schlagzeile gesorgt, aber... Das war auch schon wieder drei Tage her. Seitdem war es auffallend still um ihn. Zu still. So still, wie es ein Massen- oder Serienmörder tut, um dann eine sehr, sehr, sehr blutige Rückkehr zu machen. Ich schauderte. In den nächsten Tagen würde Blut fließen. Viel Blut.
Auf einmal flatterte etwas durchs Fenster. Ein Phönix aus... Moment was?! Wie oft hatte ich dieses Tier schon gesehen. Wie oft. Damals. 1899. Und jetzt, 1939, vierzig Jahre später, sah ich ihn wieder. Vorsichtig nahm ich ihn aus der Luft.

Die Schatten kommen näher, Albus. Sieh dich vor. Travers ist auf Rache aus, weil er dich für den Tod der seinen verantwortlich macht. Du willst wissen, was genau ich meine? Ich werde es dir leider nicht hier rein schreiben. Dazu habe ich keine Lust. Denn es würde zu lange dauern und außerdem wäre dann eine ganze Legion an Papier-Phönixen zu dir unterwegs. Das wäre dann doch etwas auffällig, nicht wahr? Nun, da ich aber kein grundauf schlechter Mensch bin, erkläre ich mich bereit, deine Fragen zu beantworten. Komm heute, in der Mitte der Nacht, in den Wald von Hogsmeade. Dort werde ich dir drei deiner Fragen beantworten. Aber nur drei. Überlege gut und wähle weise, welche das sind.

Für das größere Wohl
GG

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt