57. Kapitel (Albus): Die Dunkelheit

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Zwei Tage später…

Es war nicht zu glauben, wie nah Gellert und ich uns jetzt wieder waren. Es war fast wie damals, 1899. 
Nein. 
Wieso fast? 
Es war so.
Ohne wenn und ohne fast.
Es war, als könnte ich seine Gedanken sehen, allein wenn ich ihm in die Augen blickte.
Und doch vergaßen wir nie, dass unsere Welt zerbrechen würde.
Jedes Mal, wenn er den Arm um mich legte und mich an sich zog, dachte ich daran.
Jedes Mal, wenn er mich küsste, dachte ich daran.
Er genauso.
Ich sah es ihm an.
Trotzdem erwähnten wir es mit keinem Wort. Um genau zu sein, sprachen wir über alles, außer seine letzte Vision.
"Was meinst du, Al", erklang Gellerts Stimme hinter dem fünften Bücherregal in Nurmengards Bibliothek "und du natürlich auch, Melissa: Inferi oder der Stein der Auferstehung?" "Weder noch.", antwortete ich. "Es ist beides nicht das Wahre." "Da hat er absolut Recht.", pflichtete Melissa mir bei. "Jaaaaha. Ihr seid mal wieder so schrecklich vernünftig. Nicht ein bisschen risikofreudig.", sagte er und ich hörte an seiner Tonlage, dass er halb belustigt, halb genervt die Augen verdrehte. Im nächsten Moment tauchte er zwischen den Regalen auf und blieb vor Melissa und mir stehen, die Hände in die Seiten gestemmt, mit einer Miene, als wollte er uns eine Moralpredigt halten. Doch dann seufzte er und schüttelte den Kopf. "Ihr seid unverbesserlich. Genau wie ich.", er grinste. Jetzt war es an mir, die Augen zu verdrehen. "Du arrogantes Reinblut!", knurrte ich. Darauf grinste er nur noch mehr und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. "Ich habe dich auch lieb.", Gellert schenkte mir sein atemberaubendestes Lächeln. "Jaja.", ich nickte beiläufig, wohl wissend, dass ihm diese Antwort überhaupt nicht gefiel. Für den Moment aber verzichtete er auf eine Erwiderung und sah stattdessen zu Melissa, sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. "Glaubst du, Coral Everdal ahnt was?", fragte er sie. Melissa zuckte die Schultern. "Glaub nicht. Nicht mehr. Am Anfang war sie misstrauisch. Weil ich ja in enger Verbindung mit Sam stand, der ja jetzt seit... seit er tot ist, im Ruf steht, auf deiner Seite gewesen zu sein." Ihre grünen Augen durchbohrten seine zweifarbigen, doch er blinzelte nicht. "Dem war nie so, ich weiß.", fuhr sie entspannter fort. "Aber Coral Everdal dachte das eben. Naja, aber ich glaub, jetzt denkt sie, ich steh voll und ganz auf der Seite des Ministeriums. Im übrigen, Albus, lässt sie nach dir und Gellert suchen wie eine Irre." "Tut sie das?", Gellert lehnte sich an das nächstgelegene Bücherregal und zog die Augenbrauen hoch. In diesem Moment wirkte er wieder so herablassend und arrogant wie zu seinen finstersten Zeiten und würde ich nicht wissen, dass sich diese Arroganz, diese herablassende Art, allein gegen Coral Everdal richteten, so hätte ich nicht so gelassen reagiert, wie ich es jetzt tat. "Ja. Als wäre sie von Sinnen. Wobei", Melissa verzog verächtlich das Gesicht "wahrscheinlich ist sie das ja auch." Ein kurzer Blick flog zwischen mir und Gellert hin und her. Dann sagte ich: "Ist sie. Bestimmt." Darauf nickte Melissa und murmelte etwas davon, dass die Auroren besser 'die Everdal' statt Sam hätten ermorden sollen. Ich stimmte ihr stumm zu. Jedenfalls zur Hälfte. Generell war ich nämlich immer noch ein Gegner des Mordens, doch wäre mir Coral Everdal ebenfalls um einiges lieber gewesen als Sam.
Im nächsten Moment ging ein solcher Schlag durch die Luft, dass die Fensterscheiben wackelten. Melissa und ich sahen uns erschrocken um, Gellert hob erneut die Augenbrauen, verschränkte die Arme und pfiff durch die Zähne (ich hatte gar nicht gewusst, dass er das konnte). "Das dürfte der Schutzzauber gewesen sein.", stellte er fest und schob ein Buch, das zwei Millimeter zu weit aus dem Regal stand, wieder hinein. "Was?", fragte Melissa langsam. Er seufzte und richtete die zweifarbigen Augen in die Ferne. "Ich habe Nurmengard mit einem Zauber umgeben. Habe ich euch das nicht schon erzählt? Egal. Dieser Zauber lässt nur jene hindurch, die zu einhundert Prozent hinter dem stehen, was ich tue. Wobei sich der Zauber natürlich immer dem anpasst, was ich gerade tue. Bisher kam es noch nie vor, dass er jemanden abwehren musste, aber ich schätze, das war das gerade." "Oh.", ich blinzelte. "Ohh. Jaaaah. Wundert sich der, der disappariert ist denn dann nicht, dass er hier nicht hinkommt?" "Nein.", er schüttelte den Kopf. "Ich habe den Zauber so konzipiert, dass die Abwehrreaktion nur von uns, die wir hier in Nurmengard sind, wahrgenommen wird. Jene, die apparieren, spüren nicht mal einen Lufthauch." "Ach.", Melissa strich sich die braunen Strähnen aus dem Gesicht. "Soso. Du willst mir also beibringen, dass du ein Genie bist?" "Das weißt du doch längst.", gab er zurück und grinste. "Deine Arroganz", warf ich ein "ist unfassbar." "Ich weiß.", seine Augen glitzerten vor Belustigung. "Um nochmal zum Thema zurückzukommen: Kann der Zauber brechen?", wollte ich wissen. "Können die Zauber um Hogwarts brechen? Und ich meine nicht die, die ihr im Fall eines Gefechts heraufbeschwören würdet. Sondern die grundlegenden Schutzzauber.", er stellte mir eine Gegenfrage. "Nein. Natürlich nicht.", sagte ich. "Siehst du. Der hier auch nicht.", antwortete Gellert. "Wie beruhigend.", murmelte Melissa. War es Ironie? Vielleicht.
"Ihr wollt gar nicht wissen", fuhr sie plötzlich heftig fort "wie viel Selbstbeherrschung es mich kostet dieser... dieser... arroganten, ungebildeten, inkompetenten, besserwisserischen, dummen, ungehobelten, emotionskalten, ignoranten, überflüssigen... Person nicht auf der Stelle den Todesfluch aufzuhalsen!"
Oha. Das klang nach Rachegedanken.
"Doch.", ich sah sie an. "Ich glaub's dir." "Danke.", brummelte Melissa.
"Ich werde noch ein Adjektiv hinzugefügen.", ließ sich Gellert vernehmen. "Welches?", fragte ich. Er lächelte. Ein diabolisches Lächeln. "Kongenial.", sagte er. "Was?! Die?!", rief Melissa und blickte Gellert an, als hätte er den Verstand verloren. "Kongenial?! Zu wem?!"
"Travers natürlich. Und Starling.", erwiderte er. Bei dem Namen ihres Bruders zuckte Melissa mit keiner Wimper. "Ja.", sie seufzte, in ihrer Stimme lag plötzlich etwas beinah Trauriges. "Was ist?", ich legte den Kopf schräg. "Als wir noch Kinder waren", antwortete sie leise "da haben Roran und ich uns besser verstanden als zuletzt. Da war er noch nicht von Macht besessen. Aber... das hat angefangen, als er nach Hogwarts kam. Von da an war's rum. Pah! Er hat nur noch erzählt, wie großartig er doch wäre. Dass ich nicht lache. Wohin hat ihn sein Größenwahn gebracht? In den Tod."
Äußerlich sah ich Gellert nichts an, doch in den Tiefen seiner Augen blitzte ein seltsamer Funke auf.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt