89. Kapitel (Albus): Das Duell

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Es war die Nacht vor dem Duell.
Die letzte Nacht in Nurmengard.
Konnte ich schlafen?
Natürlich nicht.
So stand ich, seit mindestens einer halben Stunde, in Nurmengards Innenhof. Die Mai-Nächte waren noch kühl und so fröstelte es mich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Eher weniger. Mit ausdrucksloser Miene starrte ich ins Nichts. Morgen. Morgen würde der Tag sein, an dem ich der Meister des Elderstabes werden, an dem Gellert bis in alle Ewigkeit in Nurmengards Turmverlies gesperrt werden würde. Das durfte nicht geschehen! Hätte ich die Macht, die Zeit anzuhalten, so würde ich es allerspätestens jetzt tun. Aber das konnte ich nicht. Also blieb mir nichts anderes übrig, als hier zu stehen und zu wissen, dass morgen ein Teil meiner Seele erneut in Fetzen gerissen werden würde. In diesem Moment konnte ich nicht anders, als mich dafür zu hassen. Wie sehr ich das Schicksal doch hasste! Wie sehr! Warum durfte es zwischen mir und Gellert nicht gut ausgehen? Warum? Hoffte irgendein geheimnissvoller Drahtzieher etwa, ich würde mir einen anderen suchen? Niemals!, dachte ich bitter. Niemals! Niemals würde ich mir einen anderen suchen, niemals würde ich einen anderen finden, niemals würde ich mich in einen anderen verlieben. So sehr es mir in der Vergangenheit auch widerstrebt hatte: Gellert hatte mein Herz. Jetzt und immer. Daran konnte nichts und niemand etwas ändern. Nicht das Schicksal. Nicht Andrew Wildblade. Nicht Gellerts Eltern. Nicht das gesamte Ministerium. 
Niemand. 
Schweigend blieb Gellert an meiner Seite stehen. Nach kurzem Zögern wandte ich ihm den Blick zu und blaue Augen trafen auf zweifarbige. Ich zog ihn zu mir und küsste ihn und im selben Moment brach der Vollmond zwischen den Wolken hervor und warf sein silbernes Licht auf Nurmengard hinab. Stillschweigend lösten wir uns voneinander und ich lehnte den Kopf gegen seine Schulter, er legte einen Arm um mich. Worte brauchten wir nicht. Noch nicht. Erneut wandten wir uns die Köpfe zu, unsere Lippen verschmolzen ein weiteres Mal. Seufzend wich ich von ihm zurück und lehnte meine Stirn an seine. Noch immer brauchten wir keine Worte, seine rechte Hand wanderte zu meiner Wange, fuhr zu meiner Kehle hinab, dann zu meinen Lippen. Wir küssten uns noch einmal, noch einmal. Immer wieder und es war das, was ich brauchte. Seine Liebe. Schließlich wagte ich es, das Schweigen zu brechen: "Ich kann das nicht." Gellerts linke Augenbraue wanderte in die Höhe. "Was kannst du nicht?", fragte er genauso leise und küsste sanft meinen Hals. Bevor ich antwortete, legte ich den Kopf schräg, um es ihm leichter zu machen. "Mich mit dir duellieren." Zur Antwort zog er sich von mir zurück und sah mich an. "Doch, Al.", wisperte er. "Du kannst. Ich weiß es." Ich schluckte und seufzte. "Ja. Ich... Ich weiß. Können...", ich lächelte bitter. "Natürlich kann ich es." Er schenkte mir ein ebenso bitteres Lächeln. "Nur ob du es willst.... Das ist etwas anderes." "Stimmt.", bebend sog ich den Atem ein. "Aber wir müssen." Darauf blickte er mich mit einem Gesichtsausdruck an, als hätte er Schmerzen. Hatte er vermutlich auch. Seelische. "Müssen wir.", seine Stimme war rau vor Schmerz. "Und weil wir es tun müssen, werden wir es auch." Jaaaaah. Damit hatte er leider Recht. "Nur mal theoretisch", begann ich und ließ mich gegen ihn sinken "was hätten wir tun müssen, um dieses Duell morgen zu verhindern?" "Meine klassische Antwort wäre: 'Andrew Wildblade töten'. Aber... das wäre falsch. Denn dann hätte ein anderer oder eine andere uns dazu gezwungen.", antwortete er, schwieg kurz, bevor er fortfuhr. "Um genau zu sein, liegt der Kern der Ursache dessen, dass wir uns duellieren müssen, siebenundvierzig Jahre zurück. Im Jahr 1898." "Als Gina starb.", ergänzte ich leise und hörte, wie er schluckte.
"Ja. Denn das war der Moment, in dem ich beschloss, die Muggel zu hassen, mon amour. Das war der Moment, in dem ich beschloss, das größere Wohl durchzusetzen. Das war der Moment, in dem ich beschloss, die Gesetze zu brechen. Der Moment, in dem ich mich vom Licht abwandte. Wäre das niemals geschehen, so wäre ich niemals zum Schwarzmagier geworden. Ich hätte einfach weiter nach den Heiligtümern gesucht, aber nicht wegen Gina, sondern weil sie mich faszinierten und faszinieren. Natürlich wäre ich dennoch von Durmstrang geflogen und nach Godric's Hollow gekommen, darum mache dir keine Sorgen. Aber vielleicht wäre ich nach dem Drei-Wege-Duell nicht aus Godric's Hollow verschwunden. Vielleicht. Und wenn doch, so würde die Möglichkeit bestehen, dass ich wieder zurückgekommen wäre." "Also", fasste ich zusammen "können wir sagen, dass die Tatsache, dass wir uns duellieren müssen, ihren Ursprung darin hat, dass Gina von den Muggeln getötet wurde." "Absolut richtig. Wäre ich immer noch darauf gedrillt, alles verquer zu sehen - dass die Muggel an allem, was schiefgegangen ist und schiefgehen wird, Schuld seien - so könnte ich ihnen, zusätzlich zu Ginas Tod, auch noch das Ende unserer Wiedervereinung vorwerfen. Da ich das", er bedachte mich mit einem beruhigenden Blick "aber nicht tue, ist es nicht weiter relevant." Wortlos sah ich ihn an. Was sollte ich dazu auch sagen? Es war nur die Theorie, was hätte sein können, wäre Gellert niemals ein Schwarzmagier geworden. "Hasst du die Muggel noch?", flüsterte ich. Er biss die Zähne zusammen. "Natürlich! Aber... ich bin nicht mehr der Meinung, sie töten zu müssen. Ich hatte meine Rache. Mehr, als das." Das stimmte. "Viel mehr.", ich blinzelte, sah ihn nicht an. Jetzt war es an ihm, nichts mehr zu diesem Thema zu sagen. 
Morgen. 
Das Wort durchfuhr mich mit voller Verzweiflung, wie ein Blitz. Ich hatte das Gefühl, gleich nicht mehr stehen zu können. Nicht mehr stehen. Nicht mehr atmen. Nichts. "Halt mich fest.", stieß ich flüsternd hervor. Gellert legte den Kopf schief und betrachtete mich im bleichen Mondlicht. Mir kam es so vor, als würde der Boden sich auflösen. 
Morgen. 
Im nächsten Moment stieß ich einen Schreckenslaut aus. Denn Gellert hielt mich nicht einfach fest, nein. Er trug mich, eine Hand an meinem Rücken, die andere an meinen Kniekehlen. Keuchend legte ich eine Hand an seine Brust und ließ den Kopf gegen seine Schulter fallen. Er legte den Kopf noch ein bisschen schräger und schmiegte seine Wange an meine. "Wenn dir der Boden zu unsicher wird, trage ich dich, Liebster.", flüsterte er, seine Worte, seine Atemzüge, waren gelassen wie immer. Verzweifelt sah ich ihn an und schlang die Arme um seinen Nacken. "Ich will mich nicht mit dir duellieren, Gellert! Aber wir müssen und... und das... es zerreißt mich!" "Denkst du, mich nicht? Sechs Jahre hatten wir nun, Al. Länger als 1899. Aber denkst du, diese sechs Jahre haben mir gereicht? Nein. Haben sie nicht." Sanft setzte er mich wieder ab und blickte mich an, mit seinen zweifarbigen Augen, die funkelten wie Feuer. "Keine Zeit würde mir reichen, denn selbst fünfzig oder was weiß ich wie viele Jahre könnten nicht wettmachen, was ich vergeudet habe, weil ich meinte, dass Rache über allem steht.", er schüttelte den Kopf. "Ich habe einmal über Aurelius gesagt 'Sein Schmerz ist seine Kraft'. Doch eigentlich trifft dieser Satz genauso gut auf mich zu - wenn nicht noch viel besser." "Du meinst...", ich zögerte, wusste nicht, ob ich zu weit ging "dein... dein Schmerz um Gina ist, beziehungsweise war, deine Kraft für das größere Wohl." Darauf nickte er, ohne etwas zu sagen. Musste er nicht. Eine Weile lang schwiegen wir, ich musterte gedankenverloren den Mond. "Kennst du dieses Gefühl?", fragte ich schließlich. "Welches?", fragte Gellert zurück und sah mich mit diesen ungleichen Augen an. "Wenn du eigentlich zum Sterben müde bist, aber keine Minute Schlaf bekommst.", sagte ich leise. Er lachte daraufhin ein Lachen, das nur halb eines war. "Natürlich kenne ich das. Genauso gut, wie du, mon amour." "So ging's mir vorhin.", setzte ich hinzu, als er mich fragend anblickte. "Mir auch.", er senkte den Kopf und musterte den Abgrund, der sich hinter der Mauer auftat. "Dreihundertfünfzehn.", murmelte er und strich sich durch seine aschblonde Strähne, die im Mondlicht silber aussah. "Was?", ich blinzelte. "Da", er nickte zu den schwarzen Tiefen "geht es dreihundertfünfzehn Meter runter." "Wow.", ich war beeindruckt. "Und wie viel geht's in Bhutan, am Eyrie, runter?" "Schätzungsweise... Zweihunderfünfzig bis dreihundert. Ein bisschen weniger als hier.", lautete seine Antwort. Ich verdrehte gespielt genervt die Augen, so gut das eben ging, wenn die Nerven zum Zerreißen gespannt sind. "Und natürlich musstest du da Klippenspringen machen.", zog ich ihn auf. "Selbstverständlich!", er wandte mir den Blick zu und schenkte mir sein strahlenstes Grinsen, das aber nicht bis zu seinen Augen reichte. "Ich liebe Herausforderungen." "Na, das war mir sowas von klar.", murmelte ich. Sein Grinsen verblasste. "Denkst du", flüsterte er und rückte näher an mich heran, so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte "du kannst, selbst in dieser letzten Nacht die wir haben, schlafen, sofern ich dir Gesellschaft leiste?" "Das", erwiderte ich ebenso verführerisch "sollte kein Problem sein, Liebling." Ein kurzes Lächeln erhellte seine Gesichtszüge. "Ich liebe es, wenn du mich so nennst." "Tust du?", hauchte ich und ließ eine Hand unter sein Hemd wandern. Ich fuhr sanft mit dem Finger jede einzelne seiner Narben nach. Jene von seiner Mutter, die sich quer über seinen Rücken zog, die Vielzahl, die er dem Ministerium verdankte, anschließend jene, die sein Vater ihm zugefügt hatte. Blinzelnd sah ich ihn an. "Wie viele sind es?" Gellert zog offenbar nachdenklich eine Augenbraue hoch. "Die, für die ich meinen Eltern danken kann, nicht mitgezählt... Sechsunddreißig. Plus die drei großen sind neununddreißig und dann noch die mindestens zwanzig an meinen Fingern, ergibt insgesamt neunundfünfzig." "So. Viele.", ich antwortete ihm ausdruckslos, war zu erschrocken. Er grinste schief. "Jaaaah." "Na super. Aber ich schätze, du hast die seelischen weggelassen, wie ich es auch tun würde?" "Ja. Denn sonst...", er zuckte die Schultern. "-würden wir so schnell nicht fertig werden.", beendete ich seinen Satz. "Ja. Stimmt. Nun, mein liebster Liebling... Was ist? Kommst du?", er bedachte mich mit einem verführerischen Augenaufschlag. "Wie könnte ich dir denn widerstehen?", gab ich zurück und grinste ein bisschen. "Gar nicht.", schnurrte er seidenweich. Dann gingen wir. Ein letztes Mal, in der letzten Nacht.  

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt