21. Kapitel (Albus): Realitätsverlust

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Vor Schreck stand ich wie erstarrt da, als Gellert einen Arm um meine Schulter legte, mich an sich heranzog und nur Sekunden später küsste er mich. Seine Lippen waren rau, er strich mir sanft eine Haarsträhne zurück. Mir hatte es den Atem verschlagen, ich war nicht in der Lage mich von ihm loszureißen, aber genauso wenig war ich in der Lage, den Kuss zu erwidern. Schließlich zog er den Kopf wieder zurück, seine zweifarbigen Augen musterten mich, während er sich mit einem tiefen Atemzug die helle Strähne aus der Stirn strich. "Entschuldige. Ich hätte es mir denken sollen. Dass du mich nicht mehr liebst. Wie könntest du auch? Sag nichts, ich brauche deine Bestätigung nicht.", fast unhörbar setzte er hinzu: "Und einen Widerspruch wirst du mir so oder so nicht geben." Wortlos blickte ich ihn an, rang um eine Antwort, die nicht komplett dumm klang. "Nein, Gellert.", erwiderte ich schließlich heiser. "Nicht du musst mich um Verzeihung bitten, sondern... eher ich dich. Es war nicht fair von mir. Ich hab dich im Spiegel Nerhegeb gesehen, Gellert! Du... Du bist der verzweifelste Wunsch meines Herzens, und wenn ich jetzt behaupten würde, ich würde dich nicht länger lieben, wäre das nichts anderes als eine eiskalte Lüge." Schweigend, ohne ein einziges Wort, blickte er mich an. War es zu spät? Hatte ich den winzigen Hauch von uns, der noch da war, zerstört? Nein, bitte nicht! “Du würdest nicht mehr mich sehen. Sondern Ariana. Ist es nicht so?”, keine Spur von Vorwurf lag in Gellerts Stimme, sondern eher so etwas wie bittere Zärtlichkeit.
“Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wen oder was ich sehen würde. Und selbst wenn du es nicht mehr wärst, ändert das nichts daran, dass… dass…”, ich brachte die entscheidenden Worte nicht über mich. Er senkte den Kopf, blickte mich direkt an. “Dass was?” “Dass ich dich liebe und weder vergessen noch töten kann. Morgen läuft Starlings Frist von den vier Wochen ab, die ich hatte, um dich zu töten. Nein hör zu”, ich warf ihm einen warnenden Blick zu, als er dazu ansetzte, mich zu unterbrechen “ich weiß nicht, was er mit mir machen wird. Vermutlich wird er mich umbringen. Und… da wäre es doch äußerst schade, wenn das unser letzter Kuss gewesen sein sollte, oder?” Ein winziger Hauch Belustigung blitzte in diesen unglaublichen, zweifarbigen Augen auf. “Allerdings.”, murmelte er und sah mich abwartend an. Ich schluckte, hob den Kopf höher, verharrte einen Moment, und küsste ihn. Eigentlich war er nur zwei Zentimeter größer als ich, aber das machte, vor allem dann wenn er sein Charisma einsetzte, einen gewaltigen Unterschied. Kaum, dass unsere Lippen sich berührten, erwiderte er mit einer solchen Sehnsucht, dass es mich schüttelte. Eigentlich hatte ich immer gedacht, ich hätte ihm am meisten von uns beiden hinterhergetrauert. Aber das war nicht so, wurde mir nun klar. Nicht ich hatte ihn vermisst wie ein Sommer die Sonne. Nein, denn ich konnte ohne ihn sein - wenn ich das denn wollte (was ich aber nicht tat, nur mal am Rande erwähnt). Hingegen er selbst, Gellert Grindelwald, konnte das nicht. Er brauchte mich. Schließlich wich ich einen Schritt zurück. Schwer atmend starrten wir uns an, Worte waren nicht nötig. Noch nicht. Gleich. “Ohne dich bin ich nichts.”, flüsterte er. “Aber zusammen sind wir alles.”, ergänzte ich leise. Es war, als wäre dieser Satz schon immer da gewesen. “Du brauchst mich nicht. Weil du ohne mich alles bist. Frei. Geliebt. Aber ich bin ohne dich nur ein Schatten dessen, was ich eigentlich bin.”, er strich sich die helle Haarsträhne aus der Stirn. “Wie kommst du drauf? Du bist Schwarzmagier.”, ich blinzelte. Da lachte er freudlos auf. Ein bitteres, kaltes Lachen. “Meine Visionen sind in letzter Zeit gerne dazu bereit, sich in meine Träume oder gar in die Realität zu mischen. Das heißt, dass das, was ich dann sehe, eine Kreuzung aus Realität und Vision oder Traum und Vision ist. Und woher soll ich wissen, was was ist, Albus? Woher soll ich wissen, dass das hier”, mit einem kurzen Nicken wies er auf unsere Umgebung “nicht ein Traum, oder Teil einer meiner Visionen ist? Woher, Albus? Woher?” Nun war ich einigermaßen schockiert. Nein, falsch. Nicht einigermaßen. Um genau zu sein, war ich sehr schockiert. “Du… Du verlierst die… die Wirklichkeit?”, fragte ich flüsternd. Darauf nickte er, ein bitteres Lächeln legte sich auf seine Gesichtszüge. “Das tue ich. Und nichts kann und wird diesen Verlust aufhalten. Das ist der Fluch des Zweiten Gesichts, Albus. Es ging allen so, die diese… Fähigkeit hatten. Sie wussten nicht mehr, ob sie eine Vision empfingen, wach waren oder schliefen. Ich weiß es noch. Meistens. Aber es wird weniger werden. Wenn du es so willst…”, für einen Moment zögerte er. “Ich verliere den Verstand, ja.” “Oh.”, sagte ich. Ziemlich blöd, aber mir fiel nichts anderes dazu ein. “Und… was hat das mit mir zu tun?”, wagte ich dann nachzuhaken. “Mit dir? Das ist einfach. Du hältst meine Visionen ab, sich zu vermischen. Egal ob mit Traum oder Wirklichkeit.”, antwortete Gellert sofort und in einem Tonfall, als wäre das doch total logisch. Mhm. “Ich? Deine Visionen… abhalten? So groß ist doch meine Macht nie im Leben!”, protestierte ich. Ein kleines Lächeln zuckte um seine Lippen. “Magie kann das nicht. Nun, zumindest nicht die herkömmliche. Nein, es ist nicht deine Magie, Liebster.” Auf dem letzten Wort lag eine seltsame Betonung, als wollte er mir so einen Hinweis geben. Mir dämmerte etwas. “Nein. Du meinst doch nicht etwa…?”, ich sprach den Satz nicht zu Ende. Das musste ich auch nicht. Er hatte es auch so verstanden. “Doch, Al. Solange wir uns lieben - solange du mich liebst - und vor allem sobald wir ohne Kampf zusammen sind, schwächt sich der Fluch ab.” Fluch. Ob es wohl wirklich ein Fluch war? Ich beschloss, ihn gleich danach zu fragen. “Wirklich? So mächtig ist unsere Liebe?”, jetzt hatte diese Frage Vorrang. “Na hör mal! Sie hatte zwei Monate um so stark zu werden und dann habe ich mit den Tiefschlägen für sie losgelegt. Und sie ist immer noch da. Wenn das nicht stark ist, weiß ich auch nicht weiter.”, gab er zurück, zog eine Augenbraue hoch und grinste leicht. “Mhmmm. Könntest Recht haben.”, erwiderte ich gedehnt, wurde dann aber wieder ernst. “Sag, Gellert: Gibt es wirklich einen Fluch?” Auf meine Frage hin schwieg er einige Sekunden lang, seufzte tief und nickte dann. “Ja. Den gibt es und ich kann dir auch sagen, warum.”

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt