61. Kapitel (Albus): Wie Flamme und Feuer

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Als ich am nächsten Tag mit Gellert und Melissa neben mir den Tagespropheten studierte, sog ich im gleichen Moment die Luft ein, in dem Gellert die Augenbrauen hochzog und Melissa mehrfach blinzelte.
Weshalb?
Die Schlagzeile im Mittelteil lautete wie folgt:
GRINDELWALDS EHEMALIGE AKOLYTHEN RÄCHEN IHREN MEISTER
"Warum 'ehemaligen'? Weiß das Ministerium nicht, dass du nicht tot bist?", fragte ich ihn. Zu meiner Verwunderung schüttelte Gellert den Kopf. "Fünfzig Personen haben mich lebend gesehen. Und von denen kann es keiner mehr weitersagen, weil... Sie alle tot sind." "Oh.", murmelte ich. "Ah.", sagte Melissa. "Was steht noch da?, ich ließ den Blick zu dem Artikel unter der Schlagzeile wandern. "Soll ich lesen?", bot Melissa an. Ich hob den Kopf und sah zu Gellert. Seine zweifarbigen Augen spiegelten das Licht der Sonne, dass in Nurmengards Salon fiel. Er blinzelte, senkte leicht den Kopf. Es war eine Zustimmung. "Klar. Mach nur.", antwortete ich darum. "Okay. Gib mir das mal.", sie nickte und nahm mir die Zeitung aus der Hand. Sorgfältig strich sie das Papier glatt, fuhr sich mit einer Hand durch die dunkelbraunen Haare und begann zu lesen: "Am gestrigen Tag, dem 12. Juni 1939, ereignete sich im südlichen Wald rund um Hogsmeade ein, wie unsere Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung (Coral Irina Everdal), aufs Äußerste schockiert bestätigte, grauenhaftes Ereignis. Wie das Ministerium rund um unseren Zaubereiminister Andrew Wildblade bestätigte, waren 100 Auroren im besagten, südlichen Teil der Wälder von Hogsmeade unterwegs. Sie suchten dort nach Spuren des justizflüchtigen Albus Dumbledore. Leider ohne Erfolg aber das ist eine andere Sache (mehr dazu unter 'Albus Dumbledore - Grindelwalds Nachfolger?'). Nach einer erfolglosen Mission wollten die Auroren sich offenbar zur Lagebesprechung in das britische Zaubereiministerium zurückziehen, als auf einmal ungefähr einhundert von Grindelwalds ehemaligen Akolythen, beziehungsweise Akolythinnen, auftauchten. Diese eröffneten sofort den Kampf gegen die Auroren. Grindelwalds Rächer, wie seine ehemaligen Anhänger inzwischen des Öfteren genannt werden, handelten schnell, überlegt und skrupellos. Sie trafen die Auroren völlig überraschend und gewannen rasch die Oberhand in den Duellen. Die ehemaligen Anhänger Grindelwalds töteten jeden Auror, der ihnen vor die Zauberstäbe kam. Ein Rückzug für die Auroren war unmöglich, da Grindelwalds Rächer sie alle mit einem Anti-Disapparier-Zauber belegt hatten. Innerhalb weniger Minuten waren alle einhundert Auroren tot und Grindelwalds ehemalige Anhänger disapparierten wieder. Es ist unbekannt, woher sie wussten, dass die Auroren sich gestern in diesem Teil der Wälder von Hogsmeade aufhielten. Die Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung (Coral Irina Everdal) glaubt an einen Verräter in den Reihen des Ministeriums. Sie plädiert eindringlich an diesen, sich zu stellen. 'Wenn Sie sich stellen, werden Mr Wildblade und ich Milde walten lassen. Doch ich warne Sie, wenn wir Sie enttarnen müssen, so wird zwanzig Jahre Haft in Askaban Ihre Strafe sein! Mindestens!' (LdAfmS, Coral I. Everdal, Konferenz, 12. Juni 1939, 18:34). Im Ministerium wird ebenfalls spekuliert, ob Albus Dumbledore einen Verbündeten dort hat und den Rächern Grindelwalds womöglich diese Informationen zugespielt hat. Wir wissen es nicht. Doch die Sache bleibt gefährlich, da niemand weiß, wo Grindelwalds Rächer momentan residieren. Sie scheinen ihre Verstecke, neusten Erkenntnissen zufolge, regelmäßig zu wechseln."
Mit einem Schnauben ließ Melissa die Zeitung sinken und starrte mit grimmiger Miene aus dem Fenster. "Coral. Everdal.", zischte sie und es klang, als zerbeiße sie den Namen. Ich sah sie von der Seite an. Ihre Gesichtszüge waren verzerrt vor Abscheu und Anspannung. "Wenn ich diese Frau jemals alleine irgendwo treffen sollte, dann... kann sie was erleben!!" "Immer mit der Ruhe.", murmelte ich. Sie blinzelte. "Jaaaaah.", sie seufzte tief. "Weißt du eigentlich, was das mit deinen ehemaligen Anhängern auf sich hat?", fragte ich Gellert. "Nein.", er schüttelte den Kopf. Forschend zog ich die Augenbrauen zusammen und suchte seinen Blick. "Gellert?" Doch er schüttelte nur erneut den Kopf. "Nein, Al. Wirklich nicht. Ich weiß es nicht. Aber...", er biss sich auf die Lippe. "Aber was?", hakten Melissa und ich gleichzeitig nach. Gellerts Miene verdüsterte sich immer weiter, er rang nun gerade schon nach Atem, zitternd vor unterdrückter Wut. "Sie können. Das. Nicht. Tun.", seine Worte vibrierten vor Hass. Mit einem seltsamen Ausdruck im Blick hob er den Kopf höher, schloss die Augen. "Ich finde euch.", flüsterte er. Ein Zittern überlief ihn, jeder seiner Muskeln spannte sich an. Mehrere Sekunden lang stand er da wie versteinert, schließlich keuchte er leise und warf den Kopf herum. Dann endlich, blinzelte er.
Seine Augen standen in Flammen.
"Ich weiß, wo sie sind. Sie alle.", seine Stimme war dunkler als sonst.
"Wer? Deine 'Anhänger'?", fragte Melissa.
"Korrekt.", er nickte kurz. "Und... was wirst du jetzt tun?", wollte ich wissen, fürchtete mich aber zeitgleich vor der Antwort. Darauf sah er mich direkt an, der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde, wenn möglich, noch düsterer, er presste die Lippen so fest zusammen, dass sie blutleer wurden. "Ich bring sie alle um.", zischte er. "Jeden einzelnen, jede einzelne. Sie alle! Ich werde nicht zulassen, dass sie auf irgendeine Art und Weise das Ministerium vermuten lassen, du wärst auch nur einen Hauch so dunkel, wie ich es einst war." "Gellert-", begann ich, brach aber ab. Stattdessen zog ich ihn zu mir und küsste ihn. Nach kurzem Zögern erwiderte er den Kuss. Als er sich von mir löste, seufzte er tief und lehnte seine Stirn gegen meine. "Ich muss es tun. Ich werde es tun.", sagte er leise, wich von mir zurück und zog den Elderstab. "Pass auf dich auf. Komm wieder.", flüsterte ich. Ein leichtes Lächeln zuckte um seine Lippen. "Immer." Damit disapparierte er. Eine Weile lang schwiegen Melissa und ich. Sie stand da, an die Wand gelehnt, die Beine überkreuzt, ihre Hände spielten mit ihrem Zauberstab. "Als dein Bruder Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung wurde, war es seine erste Amtshandlung, mit einigen Auroren, darunter auch Sam, nach Hogwarts zu kommen und mir mit dem Tod zu drohen, sofern ich nicht Gellert umbringe.", sagte ich schließlich. Ich fand, es war an der Zeit, ihr zu gestehen, dass ich am Anfang keine besonders gute Meinung von ihr gehabt hatte. Melissa wandte mir ihre dunklen, waldgrünen Augen zu. "Ach? Hat er das? Spinner. Ja, sprich weiter?"
"Sam kam zu mir und hat mich gewarnt. Dass Starling mir feindselig gesinnt war. Und natürlich hat er mir erzählt, dieser Hass käme davon, dass du damals in mich verliebt warst und ich diese Liebe nicht erwidert habe.", fuhr ich fort. Sie schnaubte. "Ja, das. Ich erinner mich. Pah, Roran war mir, seit er nach Hogwarts gekommen war, nie mehr ein guter Bruder. Er hat mich ständig fühlen lassen, dass er nichts von mir hielt. Aber dann, als er davon hörte, dass ich dir gesagt habe, dass ich in dich verliebt war und du mir gesagt hast, dass du es aber nicht wärst... Da hat er sich plötzlich Sorgen gemacht!" Die Verachtung für ihren Bruder zeichnete sich klar auf ihren Gesichtszügen ab. "War's sehr schlimm für dich?", fragte ich sie. "Was? Dass du meine Liebe nicht erwidert hast? Jaein. Ungefähr einen Monat lang war ich ziemlich am Boden, aber... das ging wieder vorbei. Ich war schließlich in Hogwarts und hatte zum Glück immer genug um die Ohren. Wobei... das Verbotenste, was ich je getan habe, war mein Versuch, in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors einzubrechen.", sie grinste. "Jaaaah. Ich weiß es noch.", ich zog die Augenbrauen hoch und grinste ebenfalls. "Unser Schulleiter war absolut begeistert." "Aber total. Es war mein Meisterstück. Ich hab es übrigens sogar geschafft. Es ist ein Gerücht, dass mich ein Lehrer abgefangen bevor ich in euren Gemeinschaftsraum kam. Nein. Professor Silverstream hat mich erst danach erwischt. Als ich gerade rauskam. Tja. Und ihr Gryffindors habt schon geschlafen wie die Murmeltiere. So müde, vom Ritterlich sein?" "Ja doch.", ich spielte mit und nickte gewichtig. "Das ist schließlich eine große Bürde." Melissa lachte auf. "Sicher!" "In Hogwarts", gab ich zu "hab ich ehrlich gesagt immer gedacht du wärst... total empfindlich und hättest ziemlich nah am Wasser gebaut." Zu meiner Erleichterung schien sie mir nicht böse zu sein. "Hatte ich auch. Roran hat mich ständig runtergemacht, ich hatte nur eine Freundin, die dann auch noch begann für meinen Bruder zu schwärmen. Ich war empfindlich. Ich dachte, die ganze Welt der unseren wäre zu hart für mich. Ich hielt mich damals für ein Nichts. Naja, darum bin ich in die Muggelwelt gegangen. Dort hab ich dann gelernt, dass man nicht immer was drauf geben darf, was andere von einem denken. Manchmal besonders dann, wenn's die eigenen Verwandten sind." "Mein Bruder hasst mich dafür, dass ich Gellert liebe. Er hat es schon von dem Moment an getan, da er uns das erste Mal zusammen gesehen hat. Ich schätze, er wird die Theorie 'Dumbledore = Grindelwald 2.0' so ziemlich unterstützen.", meinte ich und seufzte. Sie zog die Augenbrauen zusammen. "Wie kann er das von dir denken?" Ich biss mir auf die Lippe. "Weil er mir die Schuld am Tod unserer Schwester gibt.", sagte ich leise. "Was? Wieso?", sie legte den Kopf schräg, ihre Frage war sanft. "Gellert und ich wollten zusammen weggehen. Wir wollten die Welt der Zauberer revolutionieren, die Heiligtümer des Todes finden. Mein Bruder war damit überhaupt nicht einverstanden. Er sagte, ich solle besser hierbleiben und mich um ihn - und vor allem - Ariana kümmern. Aber ich hörte nicht. Denn Gellert und ich, das war wie... Flamme und Feuer. Ich war die Flamme, er das Feuer. Wie Schatten und Licht. Ich war der Schatten, er das Licht. Er kam, als ich mir vollkommen unnötig vorkam. Mit seiner Leidenschaft, seiner Abenteuerlust, seiner Entschlossenheit. Er... Er gab mir das Gefühl, verstanden zu werden. Ein Gefühl, dass mir meine Familie, so sehr ich sie auch liebe, nie gegeben hat. Gellert tat es. Darum war ich von seinem Vorhaben, fortzugehen, mehr als begeistert. Es war 18. August 1899, als mein Bruder Gellert und mich mit seinen Vorbehalten konfrontiert hat. Er zog seinen Zauberstab, was rückblickend eine törichte Entscheidung war. Ich zog meinen, was noch törichter war. Gellert lachte. Er sagte zu meinem Bruder, er habe keine Ahnung was wir beide - er und ich - für das größere Wohl opfern würden. Jung und dumm, sagte er weiter zu meinem Bruder, wie er, mein Bruder, sei, könne er die Bedeutung unserer bald folgenden Taten gar nicht nachvollziehen. So ging es weiter, mit Worten, bis mein Bruder den ersten Zauber benutzt hat. Gellert wehrte ihn ab, auf diese elegante Weise, wie er es heute noch tut. Ein weiterer Zauber seitens meines Bruders, den dieses Mal ich für Gellert abwehrte. Damit waren die Fronten gezogen. Gellert und ich gegen meinen Bruder. Keiner von uns hörte, wie Ariana die Treppe herunterkam. Wir bemerkten sie erst, als sie links neben Gellert stand. Sie flehte uns an, aufzuhören. Immer wieder. Aber... es ging nicht. Mein Bruder hatte sich offenbar fest vorgenommen gehabt, Gellert zu töten. Er sprach den Todesfluch, ich reagierte mit Expelliarmus. Mein Zauber ließ ihn zwei Meter seitwärts taumeln. Darauf hat sich der Winkel für den Todesfluch verändert. Denn bevor ihm der Expelliarmus-Zauber den Zauberstab aus der Hand schlug, löste sich der Todesfluch von seiner Spitze. Nur dass... er statt Gellert Ariana getroffen hat. Sie war tot, sofort. Und Gellert ging. Auf der Stelle. Er wandte sich um und verschwand, disapparierte. Bis zum 3. März 1921 hab ich ihn nie wieder gesehen. Das erste, was er dann tat war, den Elderstab zu ziehen und zu flüstern: 'Wir sind jetzt Feinde, Liebling.' Als er das sagte... Kam es mir so vor, als würde mir meine Seele noch einmal zerreißen. Die Jahre, in denen wir Feinde sein mussten, waren die schlimmsten, die ich hatte.", ich seufzte abgrundtief. "Ich wusste nicht, wer Ariana getötet hatte. Bis Gellert es mir vor ungefähr vier Monaten gesagt hat. Er hatte es gesehen. Mein Bruder weiß es auch und doch sehe ich immer den stummen Vorwurf in seinen Augen. Er ist der Meinung, sie wäre nur gestorben, weil ich sie für Gellert im Stich gelassen hätte. Versteh mich nicht falsch, ich habe meine Schwester geliebt und meinen Bruder liebe ich auch. Aber Gellert... er hatte dieses gewisse Etwas, das niemand, den ich bisher getroffen habe, je hatte. Was heißt hatte? Er hat es immer noch. Diese Kombination aus Kälte, Zärtlichkeit und Entschlossenheit."
"Wow. Das nenn ich mal dramatisch.", Melissa verzog das Gesicht und sah mich verständnisvoll an. "Ja. Dramatisch trifft es ziemlich gut.", antwortete ich mit einem leeren Lachen. "Vielleicht wird mein Bruder irgendwann aufhören, mir vorzuhalten, ich wäre Schuld an Arianas Tod. Vielleicht."
"Ich wünsch's ihm mal. Jeder macht Fehler, Albus. Du auch, ich auch, Sam auch, Gellert auch. Jeder. Würdest du es wieder tun? Mit Gellert fortgehen wollen? Lassen wir das größere Wohl mal außen vor.", fragend sah sie mich an. Hui, das war kompliziert. Würde ich es wieder tun? Den Hass meines Bruders auf mich ziehen, um das Leuchten in Gellerts wunderschönen, zweifarbigen Augen jeden Tag zu sehen?
Ja.
"Natürlich. Nicht für das größere Wohl. Aber für uns.", erwiderte ich. Melissa nickte.
"Wunderbar. Es erfreut mich über alle Maßen, das von dir zu hören, Liebster.", sagte plötzlich Gellerts Stimme neben uns. Ich sog den Atem ein, Melissa verdrehte die Augen. "Hast du es geschafft? Mit deinen ehemaligen Anhängern?", fragte sie Gellert dann. "Ja.", gab er zurück, sah aber nur mich an. "Ich würde es nicht nochmal von dir verlangen.", sein Blick brannte sich in meinen. "Dass du deine Familie meinetwegen vernachlässigst." "Würdest du nicht?", hakte ich nach.
Er schüttelte den Kopf. "Nein. Nie wieder. Das ist nichts auf dieser Welt wert. Nicht die Heiligtümer, nicht ich, nicht das größere Wohl. Nichts, Albus." Ich liebte die Art, wie er meinen Namen aussprach. Vor allem dann, wenn, wie jetzt, eine Spur seines bulgarischen Akzents in seiner Stimme lag. "Ich glaub dir.", stellte ich klar. Darauf lächelte er.
Dieses eine Lächeln.
Das Lächeln von 1899.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt