6. Kapitel (Gellert): Die Mitte der Nacht

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Die Nacht war… dunkel. Wow. Gellert, was für eine überragende und weltverändernde Entdeckung! Aber es war die Wahrheit. Diese Nacht war dunkel. Keine kalte Dunkelheit, die einem mit eisigem Stechen bis ins Mark schmerzt. Es war eine sanfte, samtige Dunkelheit. Eher wie ein Schleier. Die Dunkelheit. Ich liebte sie. Sie flüsterte, hauchte mir Worte zu, die von Bedeutung sein könnten. Sie stachelte die Visionen an, ließ sie darüber toben, dass ich ihnen keine Freiheit gewährte. Nein. Nicht jetzt. Später vielleicht. Es war mein Glück, dass ich gelernt hatte, meine Visionen (zugegeben nur einigermaßen) unter Kontrolle zu halten. Zwar war ich nicht in der Lage, sie völlig zu unterbinden - aber das war auch gar nicht mein Ziel. Tatsächlich reichte es mir, sie soweit zu kontrollieren, dass sie nicht dann kamen, wenn sie es wollten. Sondern, dass ich sie nur dann sah, wenn ich es wollte. Ich ganz allein. Und niemand sonst.

Das leise Flüstern menschlicher Anwesenheit streifte mein Gespür wie eine warme Brise. Aufregung. Angst. Erwartung. Irritation. Sehr interessant. Ohne das er ein Wort gesagt hätte, wandte ich mich zu ihm um. Sofort registrierte ich, dass die Finger seiner rechten Hand den Zauberstab umschlossen. Ein unmerkliches Lächeln huschte über meine Lippen. Natürlich. Vorsicht war schließlich um einiges besser als Nachsicht. Auch die Spur Angst in seinen Augen entging mir keineswegs. “Albus. Du hast es also geschafft. Gratuliere.”, ich sprach nicht laut, nur ein Flüstern, das fast in dem Wispern meiner Visionen unterging. “Das habe ich, Gellert. Und ich habe mir, wie von dir gefordert, drei Fragen überlegt. Es war kompliziert.”
“Soso. War es das, Albus. Gut. Aber ich würde sagen, zu deinen drei wunderbaren Fragen kommen wir gleich.”, antwortete ich gelassen, mein Blick wanderte zu dem Tau auf den Blättern, wo sich das Mondlicht spiegelte und… noch etwas anderes. Interessiert legte ich den Kopf schräg. Ein Bild. Ah, eine Kurz-Vision. Alles klar. Na dann, immer her damit.

Albus und ich, direkt voreinander. Sein Kopf lag an meiner Schulter, er hatte die Augen geschlossen. Ich hatte die Arme zärtlich um ihn gelegt und zog ihn an mich.

“Ts, ts, ts.”, murmelte ich und schüttelte tadelnd den Kopf. Das war ja wohl die unrealistischste Vision, die ich jemals gesehen hatte. “Travers will dich umbringen.”, sagte ich nun. “Bitte?”, er sah mich erschrocken an. “Wirklich nur weil… weil er der Meinung ist, dass… dass ich nicht… ‘gut genug’ für ihn gekämpft habe?” “Du weißt, wie Travers ist.”, gab ich zurück. "Ja. Ich weiß, wie Travers ist. Er will dich unbedingt besiegen." Mir fiel natürlich sofort auf, dass er ungefähr die Hälfte der Wahrheit weggelassen hatte. Darum ergänzte ich seine Worte. "Dass er dich nicht ausstehen kann, ist nun wirklich nichts Neues. Wie sagte er noch letztens so schön zu dir... 'Sie sind der einzige Zauberer, der ihm ebenbürtig ist. Sie müssen gegen ihn kämpfen.' Und... Ach ja", ich tat, als wäre es mir gerade erst wieder eingefallen "auf deine Weigerung hin. Sagte er da nicht: 'Dann haben Sie Ihre Seite gewählt'? Tat er das nicht?" "Woher weißt du das?", fragte er erstickt. "Na ja", entgegnete ich leichthin. "Was soll ich sagen, Albus. Ich bin ein Meister der Okklumentik." Zorn blitzte in seinen blauen Augen auf. "Du hast... meine Erinnerungen und... meine Gedanken gelesen?!", stieß er schwer atmend hervor. Sein Zorn ließ mich völlig kalt. "Das habe ich.", antwortete ich darum gelassen. "Wie kannst du es wagen?", flüsterte Albus. "Wie kannst du es wagen, Gellert Grindelwald?" Ich seufzte. "Naja. Sagen wir mal so: Es war schließlich schon von gewissem Alamierungsgrad, dass dein wunderbarer, ehemaliger Schüler meinem Obscurus auf Schritt und Tritt folgte. Darum." Es war natürlich keine wirkliche Antwort gewesen. Und das wusste er genauso gut wie ich. Aber bevor er etwas dazu sagen konnte, fuhr ich fort: "Nun, anderes Thema. Du erinnerst dich doch hoffentlich noch an deine drei Fragen, Albus? Ich höre, sehe und staune." Er musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. "Also darf ich?", vergewisserte er sich. "Sprich.", gab ich kurz zurück. Nun war es an ihm, zu seufzen. "Gut. Dann... Erstens: Wie viele hast du getötet, um an ihn zu kommen?" Fragend legte ich den Kopf schräg und folgte seinem Blick. Natürlich. Der Elderstab. "Keinen.", erwiderte ich wahrheitsgemäß. "Keinen einzigen." Darauf sah er mich ungläubig an. "Nicht dein Ernst. Du bringst doch immer jemanden um, sobald du auch nur den Hauch einer Gelegenheit hast. Travers wolltest du schließlich auch töten." Travers. Ich schnaubte verächtlich und bedachte ihn mit einem Blick voller Verachtung. "Das ist etwas anderes. Travers hat den Tod verdient, Albus. Ich werde ihm nie vergeben, was er meinen Anhängern angetan hat." 'Und dir.', fügte ich stumm hinzu. Aber es stand ihm nicht zu, zu erfahren, dass es mir keineswegs gefiel, wie Travers ihm drohte. "Deine zweite Frage?", fuhr ich fort. Für einen Moment starrte er mich nur an, ich konnte sehen, dass er in meinen Augen nach der Wahrheit suchte. Doch dann schien er bereit, mir meine erste Antwort zu glauben. "Meine zweite Frage? Nun gut... Warum bist du gegangen?", Schmerz schwang in seiner Stimme mit. Gelassen sah ich ihn an, ließ mir Zeit mit meiner Antwort. "Warum hätte ich bleiben sollen? Gegenfrage, Albus. Dein Bruder hätte mir endlos die Verantwortung für den Tod deiner Schwester gegeben, du warst nicht in der Lage, das größere Wohl weiterhin an die erste Stelle zu setzen. Aber ich musste und wollte es tun. Unsere gemeinsame Zeit war unwiderbringlich vorbei, ich ging, sortierte meine Gedanken. Ich musste ohne dich weitermachen. Nun, ich gebe zu, es war nicht einfach. Schlussendlich hat es aber geklappt und du siehst, dass es funktioniert. Es läuft alles wunderbar.", für den letzten Satz verlieh ich meiner Stimme einen bedrohlich sanften Klang. "Beantwortet das deine Frage?", setzte ich hinzu. "Ja.", erwiderte er rau. "Hervorragend. Dritte und letzte Frage. Ich hoffe, es ist wenigstens eine spannende. Denn ganz ehrlich, bisher waren sie viel zu einfach." Auf diese herablassende Feststellung hin kassierte ich einen frostigen Blick aus seinen strahlend blauen Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte ich nichts lieber tun, als ihm sanft über die Wange zu streichen. Das war natürlich unmöglich, also riss ich mich blitzartig am Riemen und konzentrierte mich auf das, was er nun sagte: "Meine letzte Frage wäre folgende: Warum hast du mir deine mentale Stärke wirklich gegeben, Gellert? Und erzähl mir jetzt nicht, dass du's nur deswegen getan hast, um mich selber umbringen zu können. Das glaub ich dir nämlich nie im Leben." In der Dunkelheit fing sich ein Hauch des Mondlichts in diesen blauen Augen, die mich jetzt herausfordernd anfunkelten. Wie es meine Grindelwald-Art war, lächelte ich. Dann beschloss ich, die Wahrheit zu sagen. “Du hast tatsächlich Recht, Albus. Ich habe es wirklich nicht getan, nur um dich dann selber umzubringen. Naja, jedenfalls nicht nur. Wenn auch zu einem Teil. Aber ich tat es auch, weil…”, ich machte eine Pause. “Weil?”, hakte Albus nach. “Weil ich es nicht riskieren konnte, dass du stirbst.”, endete ich.
“Riskieren? Ernsthaft?”
“In der Tat. Riskieren. Denn es wäre doch äußerst… unpraktisch wenn du stirbst. Schließlich liebe ich dich. Da wäre dein Tod nun wirklich nicht das Tollste.” Die drei entscheidenden Worte kamen mir so gelassen, so beiläufig über die Lippen, dass er mich kurz nur anstarrte. Gerade setzte er zu einer Antwort an, da wurde das Flüstern der Dunkelheit eindringlicher, mein Gespür meldete mir elf, sich nähernde Personen, ich wandte den Blick von ihm ab. Zorn. Hass. Verrat. Enttäuschung. Natürlich. Travers. Nur Sekunden später: “Zauberstäbe weg. Nicht. Nicht bewegen.” Ha, nur in seinen Träumen! Während Albus noch erschrocken da stand, drehte ich mich blitzschnell um. Grün leuchtete es, der Blitz fuhr knisternd durch die Blätter und der Auror war tot. Kurze Stille. Dann stand Travers vor mir.
Er schrie auf: “Nein!”
Doch.
Ich lächelte kalt und rief die Macht des Elderstabs zu mir.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt