Ich disapparierte gerade noch rechtzeitig. Wieso gerade noch rechtzeitig? Weil ich, wenn ich auch nur zehn Sekunden länger in Nurmengard stehen geblieben wäre, vermutlich wahnsinnig geworden wäre. Deshalb. Egal. Das spielte jetzt überhaupt keine Rolle mehr. Ich war disappariert und nur darauf kam es an.
Nach mehr als einem Jahr, das ich beinah durchgehend in Nurmengard verbracht hatte, war es geradzu paradiesisch, noch einmal irgendwo hin zu apparieren. Wobei... irgendwo hin war falsch. Nach Hogwarts. Nach Hause. Endlich.
Der Wind fuhr fauchend um die Klippe, auf der Hogwarts stand. Unten zeigte das Meer sich heute in einem dunklen grau und peitschte mit Gischt besetzte Wellen gegen die Felsen. Hogwarts. Nach mehr als einem Jahr. Endlich. Kurz blieb ich stehen und lächelte. Der Wind strich mir die Haare aus dem Gesicht. Die Sonne brach zwischen den Wolken hervor und warf ihre goldenen Strahlen hinab. Wunderschön sah das aus.
Da ich offiziell vom Ministerium gesucht wurde, war es mir natürlich verboten, auch nur Hogwarts' Außenanlagen zu betreten, aber... Um ehrlich zu sein, würde mir ein Blick darauf schon ausreichen. Wie ein Verdurstender, der eine Oase in der Ferne erblickte, machte ich mich auf den Weg. Dorthin, wo Hogwarts stand.
Das Wort 'Freude' reichte nicht einmal ansatzweise aus, um das Gefühl zu beschreiben, das ich gerade empfand. Euphorie traf es schon eher. Aber immer noch nicht ganz. Während ich mich Hogwarts näherte, wurde mir klar, wie sehr ich mich danach gesehnt hatte. Nach diesem Schloss mit seinen Türmen, der Großen Halle, dem Schwarzen See und... Hogwarts eben. Allerdings... nicht nach Nerhegeb. Bei dem Gedanken verlangsamte ich meine Schritte.
Der Spiegel Nerhegeb.
Nein.
Er gehörte zu einem der wenigen Dinge, die ich nicht vermisst hatte. Denn... es war wirklich unheimlich, was er tat. Zweimal hatte ich hineingesehen und wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich nicht vor, es noch ein drittes Mal zu tun. Da gab es zwar dieses Sprichwort 'Aller guten Dinge sind drei', doch im Bezug auf den Spiegel Nerhegeb hegte ich starke Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Worte. Denn man durfte niemals vergessen, dass der Spiegel gefährlich war. Es hatte Menschen gegeben, die vor ihm dahin geschmolzen waren und Tag und Nacht nichts anderes mehr getan hatten, außer in diesem Spiegel zu sehen. Wieder andere waren wahnsinnig vor unerfüllbarer Sehnsucht nach dem geworden, was sie da sahen. Ganz ähnlich wie der zweite Bruder in der Sage der Heiligtümer des Todes.
Darum war ich froh, den Beschluss gefasst zu haben, nie, nie, nie wieder einen Blick in dieses Ding zu werfen. Besser so. Wirklich besser so. Ich wandte meine Gedanken dem nächsten Thema zu. Ob Coral Everdal, alias Irena Flary, die anderen Lehrer, und vielleicht auch Schüler über mich befragt hatte? Gut möglich, so, wie ich sie inzwischen einschätzte. Ihr war auch durchaus zuzutrauen, dass sie vielleicht sogar einige Dementoren, Auroren, Dämonen oder sonst irgendwas um Hogwarts herum stationiert hatte, damit ich ja nicht hereinkam. Tarnzauber und Tarnumhänge nutzten bei Dementoren natürlich nichts und bestimmt auch bei Dämonen nicht. Dementoren waren schließlich in der Lage, die Gefühle einer Person zu spüren. Bei den Dämonen war ich mir ziemlich sicher, dass sie das Blut einer Person riechen konnten. Egal ob mit oder ohne Tarnzauber oder sonst etwas in dieser Richtung. Dämonen... Rasch rief ich mir in Erinnerung, wie sie entstanden waren. Vor vielen tausend Jahren. Soweit ich wusste, waren Dämonen eine Verschmelzung von Tier- und Menschenseele. Da das aber nicht funktionierte - die Seelen zweier verschiedenen Arten miteinander zu verschmelzen - war das Ergebnis entsprechend grässlich, grausam und skrupellos. Natürlich wollte ich nicht bestreiten, dass wir Menschen auch Tiere waren. Doch wir hatten uns nunmal ziemlich weit von unseren natürlichen Wurzeln entfernt und eine Verschmelzung unserer Seele mit der einer anderen Tierart ging einfach nicht mehr gut. Das hatten die Dämonen ja eindrucksvoll bewiesen. Mit ihrem schwarzen, zotteligen Fell, den massigen Pranken, den scharfen Krallen und den großen, weißen Fängen. Aber das bei weitem Unheimlichste an ihnen waren wohl ihre Augen. So rot wie Blut. Nein, wie Rubine. Eine Mischung. Nein... Roter als das roteste Rot das bekannt war. Dämonaugen-rot? Ziemlich lang, ziemlich umständlich, aber passend. Dämonaugen-rot. Ein Rot, wie es kein anderes gab. So tief, so böse, so hasserfüllt, so grausam, so kalt. Und das, obwohl rot eigentlich zu den warmen Farben zählte. Tja. Dämonen waren eben wirklich eine Hausnummer für sich und was für eine. Definitiv keine kleine. Eher eine große. Die Seele, sinnierte ich weiter während ich Hogwarts immer näher kam, war schon seltsam. So empfindlich und gleichzeitig doch zu unendlich stabil und in der Lage, sich von fast allem wieder rückstandslos zu erholen - sofern man, zum Beispiel beim 'Brechen', schnell genug war. Ja. Erstaunlich. Umso erstaunlicher, dass selbst die hellste Seele in der Lage war, zu einem Dämon zu werden. Denn eigentlich konnte ich mir kaum vorstellen, dass alle damaligen Menschenopfer böse gewesen waren. Bestimmt nicht. Dennoch waren sie nun Dämonen und damit das abgrundtiefe Böse in unserer Welt. Schade eigentlich. Ob es eine Möglichkeit gab, sie zu erlösen? Und überhaupt, was passierte mit den Dämonen, sobald sie sich auflösten? Es war wirklich absurd. In der letzten Zeit hatte ich zwei große Schlachten gegen Dämonen geführt und ausgerechnet jetzt kam mir in den Sinn, was wohl mit ihnen passierte, wenn sie verschwanden und ob man sie eventuell irgendwie erlösen konnte. Albus, darüber hättest du dir vielleicht schon ein Jahr früher Gedanken machen sollen!, tadelte meine innere Stimme mich. Ja, ja schon klar. Hätte ich vielleicht wirklich. Naja. Gerade war sowieso der falsche Zeitpunkt, um über mögliche Dämonenerlösungen, Dämonenverschwinden oder sonst etwas in dieser Richtung nachzudenken. Denn immerhin war ich jetzt kurz davor, Hogwarts zu sehen. Das war nun wirklich wichtiger als alles andere.
Nach mehr als eine Jahr Hogwarts wiedersehen... in all seiner Pracht, in all seiner Schönheit und Eleganz. Hogwarts, wurde mir klar, war vollkommen anders als Nurmengard. Nurmengard hatte zwar auch einen gewissen Grad an Schönheit, doch anders als Hogwarts. Kälter, arroganter. Hogwarts dagegen war ein warmer, fröhlicher Ort. Ganz anders als Nurmengard. Was für ein Gegensatz. Hogwarts war warm und sanft, hatte etwas von einem Versteck. Es war... ein wirkliches Zuhause. Zumindest für mich. Für eine gewisse andere Person zählte allein Nurmengard als Zuhause. Blitzschnell verscheuchte ich den Gedanken, ehe ich ihn weiter vertiefen konnte. Besser so.
Meine Stimmung besserte sich wieder, denn mir wurde nun klar, dass es nur noch einige Meter waren, bis ich Hogwarts wieder sehen konnte. Nach mehr als einem Jahr. Endlich. Für einen Moment musste ich stehen bleiben, weil meine Gefühle mich überschwemmten wie ein Tsunami. Nach einigen tiefen, beruhigenden Atemzügen setzte ich meinen Weg fort. Gleich., dachte ich. Gleich. Gleich. Gleich. Der Wind frischte auf und wirbelte einige Flocken durch die Gegend. Moment... Flocken? Es war doch viel zu warm für Schnee. Ja, wir hatten November, aber es waren zehn Grad! Verwirrt verharrte ich und ließ zu, dass sich eine der Flocken auf meinem Finger absetzte. Dann begutachtete ich sie.
Es war eine Ascheflocke.
Eine Flocke aus Asche.
Erneut kam ein etwas heftigerer Windstoß, zahllose Ascheflocken wirbelten durch die Luft.
Ein eiskaltes Gefühl stieg in mir auf. Irgendwas stimmt hier so ganz und gar nicht. Warum war mir das nicht schon früher aufgefallen? Denn... es war eindeutig zu still. So nah, wie ich jetzt bereits an Hogwarts dran war, müsste ich schon längst etwas hören. Denn Hogwarts war nur in der Nacht so still wie jetzt. Aber es war keine Nacht! Es war erst Nachmittag. Was war hier also los? Noch drei Schritte, dann würde ich es wissen. Eigentlich wollte ich es jetzt schnell hinter mich bringen, doch ich konnte mich nicht rühren. Zu groß war wie Angst vor dem, was ich nun gleich sehen würde. Mit jeder Sekunde wurde die Ahnung, das irgendetwas hier so überhaupt nicht stimmte, stärker. "Irgendwas", sagte ich zu mir selbst um mich zu beruhigen "stimmt hier überhaupt nicht." Wachsam warf ich einen Blick um mich herum (keine Dämonen, Auroren oder Coral Everdal zu sehen) und zog meinen Zauberstab. Dann atmete ich mehrmals tief durch und überwand die letzten Schritte. Jedenfalls hatte ich das vor. Als jedoch der letzte Schritt noch fehlte, blockten meine Gedanken den Befehl 'Laufen' schlichtweg ab. Jetzt stand ich also da, mit aufgerissenen Augen und dem immer deutlicher werdenden Gefühl, dass irgendwas hier so ganz und gar nicht stimmte. Entschlossen sammelte ich jedes bisschen Willenskraft zusammen, das ich gerade fand und... tat es. Den letzten Schritt, sodass ich nun das Schloss sehen konnte. Kaum, dass ich das getan hatte, blieb ich wie vom Blitz getroffen stehen.
Nein.
Oh nein.
Das, was ich da sah, konnte nicht wahr sein. Es konnte nicht! Es... Es durfte nicht wahr sein.
Denn... es gab kein Hogwarts mehr. Alles, was ich sah, war ein Feld aus Steinen, die schwarz waren vor Ruß und Asche, die zwischen verbrannten Holzbalken am Boden lag oder davon abfiel. Kein Hogwarts mehr. Nur ein einziges... Trümmerfeld. Ein Feld der Verwüstung. Ich schluckte heftig und disapparierte.
Auf diese Weise stand ich nun inmitten der Überreste dessen, was einmal ein stolzes Schloss gewesen war. Einige Sekunden lang stand ich wie erstarrt da, dann musterte ich den Boden um mich herum. Zu meiner Linken entdeckte ich in geringer Entfernung die traurigen Überreste eines Gryffindor-Banners. Das rot-gold war so verbrannt, dass es nur noch schwach zu erkennen war. Nein. Mit einem zitternden Seufzen schloss ich die Augen. Die Tränen kamen mir, doch ich hielt sie nicht zurück. Mühsam blinzelte ich und beobachtete mit ausdrucksloser Miene, wie meine Tränen in die grau-schwarze Asche fielen und dort versickerten. "Nein!", stieß ich schließlich hervor. Auch, wenn dieses Wort nichts daran ändern würde, dass Hogwarts nichts anderes mehr war als Schutt und Asche. Ha, wortwörtlich! Wer hat das getan?, überlegte ich, wischte mir die Tränen ab und besah mir die Trümmer genauer. Bestimmt Coral Everdal. Natürlich sie und ihre Auroren. Wer denn sonst? Roran Starling? Dem war das zu Lebzeiten zwar durchaus auch zuzutrauen gewesen, aber... er war nunmal tot. Deswegen kam nur Coral Everdal in Frage. Sie war die einzige Person, die ich kannte, die zu wenig Skrupel und die nötige Kälte besaß, um ein ganzes Schloss, das noch dazu eine Schule war, in Schutt und Asche zu legen. Ob es den anderen Lehrern gut ging? Und vor allem den Schülern? Waren sie gesund? Hatten sie Schmerzen? Waren sie gefangen genommen worden, weil sie mit mir Kontakt gehabt hatten? Hatte Coral Everdal ihnen wehgetan? Hatte sie womöglich welche getötet? Gefoltert? Nein!! Bitte nicht! Das konnte sie nicht tun! Denn weder die anderen Lehrer noch die Schüler, erstrecht nicht die Schüler, hatten gewusst, dass ich einmal eine Liebesbeziehung mit Gellert Grindelwald gehabt hatte. Aber eigentlich, wurde mir klar, ging es Coral Everdal nicht um ihn. Es ging ihr allein um mich. Weil sie mir die Schuld an Roran Jake Starlings Tod gab. Der Mann, den sie vergöttert hatte wie sonst nichts und niemanden.
Wie zu Eis erstarrt stand ich inmitten der Trümmer dessen, was einmal mein Zuhause gewesen war. "Warum?", fragte ich den Wind, der die Asche durch die Luft wirbelte und das verbrannte Holz knarzen ließ. "Warum?!" Warum Hogwarts? Warum? Warum dieses wunderbare Schloss? Warum mein Zuhause? Warum? Natürlich gab der Wind mir keine Antwort.
Denn er war nunmal der Wind.
Zitternd holte ich Luft und schloss die Augen.
Ich war allein.
'Wer wird dich jetzt lieben, Dumbledore? Du bist ganz allein!'
Wer hätte gedacht, dass sich seine Worte so bewahrheiten würden? Nun, ich jedenfalls nicht. Der Boden unter mir schien zu schwanken, als mir die ganze Tragweite dessen klar wurde, was Coral Everdal getan hatte. Hogwarts war zerstört. Damit... war mein Zuhause ebenso fort wie der Ort, an dem ich bisher unterrichtet hatte. Tja. Jetzt hatte ich nichts mehr. Absolut nichts. Weil Nurmengard... das konnte ich vergessen. Es war Zeit, der Tatsache ins Auge zu sehen: Hogwarts war fort, ich war allein und hatte nichts mehr. Nichts. Nichts und niemanden.
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Only once more || Grindeldore FF
FanfictionDON'T LIKE IT, DON'T READ IT! GrindelwaldxDumbledore FanFiction | Deutsch | German NOCH NICHT ÜBERARBEITET... (Enthält Blut, Tod, Gewalt und eindeutig angedeutete sexuelle Handlungen.) ~"Ich habe vierzig verdammte Jahre auf dich gewartet! Nenn mir e...