66. Kapitel (Gellert): Die Schleier der Nacht

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Die Nacht hatte bereits ihre ersten Schleier in das Rot des Abendhimmels gewoben, als ich blinzelte.
Wie lange war ich bitte weg gewesen?
Solange war mir mein Wiedersehen mit Gina gar nicht vorgekommen. Mhm. Vielleicht, überlegte ich, verlief die Zeit in der Welt zwischen Leben und Tod ja anders als hier. Nachdenklich richtete ich mich auf. Albus. Wo war er? Prüfend wandte ich den Kopf und sah ihn. An einen Baum gelehnt, die Augen geschlossen, sein Atem ging ruhig. Die letzten Spuren von Tränen glänzten im schwachen Licht des verblassenden Tages auf seinen Wangen. Ich seufzte leise und ließ mich lautlos an seiner Seite nieder.
Die Heiligtümer, wie ich feststellte, während ich ihm sanft die Haare aus der Stirn strich, waren fort. Ob sie mir noch gehorchten? Langsam sog ich die Luft ein, wie ich es sonst auch immer zu tun pflegte, wenn ich sie rief.
Tatsache.
Innerhalb weniger Sekunden schwebten sie wieder über mir in der Luft. Ein kurzer Blick genügte und der Elderstab löste sich aus dem Zeichen. Es war wahrlich ein wunderbares Gefühl, die Finger wieder um ihn schließen zu können. Jede seiner Kerben war mir vertraut. Natürlich hatte ich meinen alten Zauberstab geliebt, ja. Er war mir durchaus ein guter Zauberstab gewesen. Aber der Elderstab und ich... das war etwas anderes. Sanft legte ich den Elderstab neben mich. Vorerst würde ich ihn nicht brauchen. Später. Wenn es daran ging, Coral Everdal an ihrem Verstand zweifeln zu lassen. Auch wenn ich manchmal bezweifelte, ob sie überhaupt einen Verstand hatte. "Nein... Tu das nicht... Nein, Gellert...", Albus flüsterte die Worte nur im Schlaf und doch lag ein Schmerz darin, der mein Gespür wie tausende und abertausende von Messern traf. "Shhh. Alles gut.", mit großer Zärtlichkeit legte ich eine Hand an seine Wange. "Es ist alles gut. Ich bin da. Mein Liebster."
Er blinzelte.
Seine blauen Augen irrten umher, fanden mich. Kurz blickte er mich an wie eine Erscheinung, dann schrak er zurück. "Bei Merlins Kristallkugel! Jetzt krieg ich auch noch Halluzinationen!", stieß er hervor. "Halluzinationen?", wiederholte ich und schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin keine Halluzination." Darauf blinzelte er mehrmals. "Aber... du bist... tot." Zur Antwort neigte ich den Kopf leicht zur Seite. "Tot? Also anscheinend definieren wir dieses Wort ziemlich unterschiedlich. Ich war tot, Al. Ja. Aber naja... Gina hat mich wieder zurückgeschickt. Im übertragenen Sinne zumindest." "Ich muss wirklich ins St. Mungo. Ich höre Stimmen.", er musterte mich, als hätte ich nicht mehr alle Zauberstäbe im Regal. "Du sagst also, ich bin tot, habe ich das richtig verstanden?", wollte ich wissen und richtete mich etwas auf. "Japp.", er nickte. "Okay. Aber... ich weiß ja nicht, wie du dazu stehst, jedoch ich wäre geneigt zu sagen, dass sich das hier ziemlich lebendig anfühlt."
"Was?"
"Das.", antwortete ich schlicht, zog ihn an mich heran und küsste ihn auf die Lippen. Einige Sekunden lang verharrte er wie erstarrt, dann erwiderte er vorsichtig den Kuss, als könnte er es noch nicht so ganz glauben. Verständlich. Schließlich war ich ja auch bis vor ungefähr zehn Minuten noch tot gewesen. "Glaubst du mir jetzt?", hakte ich nach, als ich mich von ihm löste. "Ja.", flüsterte er. "Jetzt ja." "Umso besser.", gab ich zurück und lächelte leicht. "Wie?", fragte Albus nach kurzem Zögern. "Nun, ich war zwischen Leben und Tod", begann ich und strich mir mit einer Hand meine helle Strähne zurück "dort habe ich Gina getroffen. Weißt du... wir haben uns ausgesprochen, wenn ich es so nennen darf. Sie hat mir gesagt, dass ich die Wahl habe; weiterleben oder wirklich sterben. Du siehst, für was ich mich entschieden habe." Zitternd zog er den Atem ein und wandte den Kopf ab. "Ja, das seh ich.", murmelte er. "Ich darf jetzt", fuhr er fort und in seiner Stimme lag ein seltsames, zitterndes Lachen "nur nicht anfangen zu weinen. Das hab ich heut schon oft genug gemacht." "Ich werde dich nicht dafür verurteilen, wenn du es tust, Liebling.", sagte ich leise.
Er schluckte schwer und sah mich wieder an, seine Augen schimmerten. "Nicht?" "Nein.", bestätigte ich und legte einen Arm um ihn. Für einen Moment kämpfte er noch mit sich, doch schließlich brach sein Widerstand, er wandte sich zu mir um und lehnte die Stirn gegen meine Schulter. "Du bist so ein arroganter Dummkopf.", seine Worte waren heiser. "Ich weiß.", antwortete ich ihm und zog ihn sanft noch ein bisschen enger zu mir. Als er sich nach ungefähr zwei Minuten von mir löste, tropften immer noch seine Tränen ins Gras. "Merlin, in den letzten Wochen hab ich echt zu nah am Wasser gebaut.", versuchte er zu scherzen und seufzte. "Unsinn.", ich schüttelte den Kopf und strich sanft jede einzelne Träne weg, auch jene, die neu kamen. "Ich würde eher sagen, die letzten Wochen waren eine einzige Katastrophe." "Meinst du?", fragte er müde und schloss die Augen halb, ich sah ihm an, wie sehr er meine Berührung genoss. "Klar. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass dunkle Seiten so drastisch die Kontrolle an sich reißen, wie meine es tat. Oder dass solch schockierende Fakten über den Tod ans Licht kommen. Das kann dann schonmal für ein emotionales Chaos sorgen, Al-Liebling.", gab ich ruhig zur Antwort. Erneut seufzte er. "Du bist einfach viel zu gut für mich."
"Bitte? Ich? Zu gut für dich? Al!", ich lachte auf, aber es war kein fröhliches Lachen. "Nein. Nicht ich bin zu gut für dich. Sondern du bist viel zu gut für mich. Al, hast du vergessen wer ich bin? Ich bin ein Schwerverbrecher, ein Massenmörder, ein Gesetzesbrecher, ein ehemaliger Gefangener von Askaban, ein Schwarzmagier, ein Psychopath, ein... Vergiss es. Ich finde keine Worte mehr dafür. Und jetzt sagst du allen Ernstes, dass ich zu gut für dich bin?"
"Ja, tu ich. Weil... du hast es einfach. Dieses...", er blinzelte einige Male, suchte nach dem richtigen Wort. "Dieses... Leuchten, weißt du? Das du schon damals, 1899, hattest. Ich konnte nie wirklich dran glauben. Dass du wirklich so... finster sein solltest, wie es hieß." "Ich war es aber.", erwiderte ich sanft. "Stimmt.", gab er mir Recht. "Du warst es. Jetzt bist du es nicht mehr." "Wenn du das sagst.", murmelte ich. "Gellert. Ich weiß es. Du hast doch selbst gesagt, dass deine dunkle Seite dir wieder gehorcht. Beweist das denn nicht, dass das Licht stärker ist, sofern du es willst?", er umschloss behutsam meine Handgelenke und hielt meinen Blick mit seinem fest. "Du könntest richtig liegen. Naja, du hast Recht. Aber die anderen werden nie etwas anderes in mir sehen.", stellte ich klar. "Die anderen?", wiederholte Albus verständnislos und ließ mich los. "Wie meinst du das?"
Ich lächelte bitter. "Das Ministerium wird niemals glauben, dass ich nie wieder etwas in Richtung 'Das größere Wohl' tun werde, Liebster. Sie werden mich immer als eine Gefahr für alle ansehen, egal was ich tue. Egal was ich sage."
"Und daraus schlussfolgerst du was?", hakte er nach, in seiner Stimme lag etwas Vorsichtiges, als würde er sich vor meiner Antwort fürchten.
"Theoretisch", antwortete ich, brachte etwas Abstand zwischen uns und verengte die Augen "könnte ich daraus den Schluss ziehen, dass es absolut zu gefährlich ist. Wenn wir uns weiterhin sehen. Daraus wiederum könnte ich schließen, dass ich auf der Stelle genau das wiederholen muss, was ich tat, um dich und Melissa vor meiner dunklen Seite zu schützen. Fortgehen, so weit weg wie nur irgendwie möglich. Nur dass es dieses Mal ohne telepathische Verbindung wäre. Wenn ich verzweifelt genug wäre, könnte ich dich eventuell sogar mit 'Obliviate' belegen, damit du vergisst, dass du mich liebst."
"Du redest im Konjunktiv. Heißt das, du wirst es nicht tun? Oder", an dieser Stelle unterbrach er sich, sammelte sich für einen Moment "heißt das du... wirst es tun?" "Ich werde es nicht tun.", stellte ich flüsternd klar. "Aber dir sollte bewusst sein, dass deine Sicherheit meine oberste Priorität ist. Falls ich der Meinung sein sollte, dich mit 'Obliviate' belegen zu müssen, um dich zu schützen, so würde ich es tun. Allerdings... ist dafür glücklicherweise kein Anlass vorhanden, da Coral Everdal dem Glauben unterliegt, ich wäre tot."
Etwas in seinen Augen flackerte wie ein Kerzenflamme. "Als ich... geglaubt hab, du wärst tot... Nein, du warst tot, oder?" "Ja. Sprich weiter.", ich nickte leicht. "Nun, als du tot warst und ich... noch nicht wusste, dass die Möglichkeit besteht dass du zurückkommst, auch ohne den Stein der Auferstehung... Es hat sich angefühlt, als würde...", nachdenklich machte er eine Pause. "-etwas zerbrechen? Irreparabel, nicht wieder zu heilen?", ergänzte ich fast lautlos. "Stimmt.", gab er mir Recht und ließ den Kopf an meine Schulter sinken. "Ich weiß, was du meinst.", fuhr ich fort. "Als Gina starb, hat es sich genauso angefühlt. Es war, als würde ich etwas verlieren, etwas, das von großer Wichtigkeit, aber ab diesem Moment zerstört war. Weißt du, was das ist? Es ist die Seele, Albus. Sie 'bricht' nicht, zumindest sollte sie das im Idealfall nicht, sonst wäre unsere Lebenserwartung um einiges niedriger. Aber trotzdem reagiert sie. Denn ein Teil unserer Seele ist mit jenen verbunden, die wir lieben. Stirbt einer, der zu diesem Teil gehörte, bricht genau dieser Teil, über den wir mit dieser Person verbunden waren, weg. Dieser Bruch lässt nicht die ganze Seele splittern, das nicht. Aber er hinterlässt eine Leere, ein Gefühl der Kälte. Im besten Fall verschwindet es mit der Zeit, weil wir lernen, diese Lücke auszugleichen. Im schlimmsten Fall bleibt sie, bis wir selbst sterben. Ich dachte lange, bei mir und Gina wäre es so. Allerdings, seit wir uns vorhin ausgesprochen haben... ist die Lücke fort. Zumindest vom Gefühl her. Wirklich verschwinden wird sie erst, wenn wir wieder mit unseren Lieben vereint sind."
"Will ich wissen, woher du das immer alles weißt?", fragte er leise. "Nein. Lass mal.", erwiderte ich und hauchte ihm einen Kuss auf die Kehle. Ihn schauderte es. "Da du aber wieder lebst... Ist das Teil dann wieder da?", wollte er wissen, wandte mir den Kopf zu und küsste mich. Bevor ich antwortete, zog ich den Kopf zurück, aber nur einen halben Zentimeter. "Natürlich. Sonst würdest du die Kälte ja noch spüren." Darauf seufzte er. "Ich hasse es, wenn du meine Gefühle liest." "Du musst mich ja nicht immer damit bewerfen.", sagte ich leise und grinste. Zur Antwort schlug er die Augen nieder und sah mich an. "Willst du mit mir diskutieren oder mich küssen?"
Durch die Tatsache, dass er sich an meine Schulter lehnte, war sein Gesicht ein bisschen unterhalb von meinem. "Was denkst du denn von mir?", ich lächelte, neigte mich zu ihm und legte meine Lippen auf seine. Jeder meiner Nervenenden fing Feuer, wie jedes einzelne Mal, wenn wir uns mit diesem brennenden Verlangen küssten. Ein Verlangen, das keine Sanftheit zuließ. Ein Verlangen, bei dem nur die Leidenschaft zählte. Nach Atem ringend riss ich mich schließlich von ihm los. "Auch Wiederauferstandene können küssen.", sagte ich und grinste erneut. "Ich merk's. Du hast wirklich nichts verlernt. Umso besser.", gab Albus zurück, schmiegte sich an mich und schloss die Augen. Genussvoll sog er die Luft ein. "Ich liebe Lavendel.", flüsterte er. "Ich weiß.", antwortete ich und hauchte ihm meine Lavendel-Pefferminz-Note gegen die Lippen. Wir küssten uns ein weiteres Mal. Aber jetzt sanfter als vorher. Als wir uns schließlich voneinander lösten, schwiegen wir eine Weile lang. "Was glaubst du, wird Coral Everdal als nächstes tun?", wollte er schließlich wissen.
"Sterben!", schlug ich vor.
"Realistisch gesehen.", setzte er hinzu. "Achso. Jaaah. Naja... Vermutlich wird sie eine große Party veranstalten, dass ich tot bin und du am Boden zerstört bist.", sagte ich. "Herrlich. Ich freu mich schon auf die Anzeige im Tagespropheten.", murmelte er ironisch. "Ja, nicht?", ich nickte. "Wird sie Melissa wehtun? Weil... sie wusste ja alles. Warum auch immer." Ah, so etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht - dass Coral Everdal alles gewusst hatte. "Denke nicht.", gab ich ihm beruhigend zur Antwort. "Immerhin denkt sie ja, dass wir beide außer Gefecht gesetzt sind. Und Melissa alleine, so glaubt sie hundertpro, kann ja nichts ausrichten."
"Also... können wir uns vorerst ein bisschen entspannen?"
"Im Rahmen von Nurmengard, ja. Trotzdem heißt das nicht, dass wir jetzt in unserer magischen Welt umherreisen dürfen, wie es uns gefällt. Insbesondere ich. Aber gut. Das habe ich ja die ganze Zeit schon nicht mehr gemacht.", ich strich ihm liebevoll über die Wange. "Die ist echt das Schlimmste, was der Zaubererwelt an Leitern der Abteilung für magische Strafverfolgung je passiert ist.", sagte Albus. "Das absolut.", pflichtete ich ihm bei. "Warum ist sie so, wie sie ist?", murmelte er, mehr zu sich selbst. "Sie ist acht Jahre jünger als du und damit zwei Jahre jünger als Sam. In Hogwarts gehörte sie welchem Haus an?", ich sah ihn an. "Sam und ich haben mal über sie gesprochen. Sie war in Ravenclaw.", antwortete er. "Ravenclaw. Soso. Nun, ich schätze mal, dass sie Starling angehimmelt hat und nun ihr Bestes tun will, seiner würdig zu sein.", überlegte ich laut. "Verrückt.", seiner Stimme war eindeutig zu entnehmen, was er von so etwa hielt: Nichts. Ich auch nicht. Keiner von uns beiden. "Gellert?", fragte er nach kurzem Zögern. "Ja, Liebster?", ich sah ihn an. "Würdest du... mich wirklich vergessen lassen, dass... ich dich liebe?", flüsterte er. "Wenn es dich schützen würde, so würde ich so ziemlich alles tun. Außer dich umbringen, natürlich. Aber ja, ich würde es tun. Als allerletzte Möglichkeit, wohlgemerkt. Wenn alles andere nichts mehr bringt."
"Also eigentlich... nie?", seine Worte zitterten, er sah mich flehentlich an. "Nicht, wenn es zu einhundert Prozent vermeidbar ist.", sagte ich sanft.
Darauf seufzte er. "Ich will dich nicht vergessen!", protestierte er dann. "Al, musst du auch nicht. Wie ich schon sagte: Momentan gibt es keinen Anlass für diesen allerletzten Ausweg.", ich wiederholte fast wortgleich das, was ich schon einmal gesagt hatte. "Okay.", er schluckte und schloss für einen Moment die Augen. "Du glaubst mir doch, oder?", vergewisserte ich mich. "Ja. Natürlich.", erwiderte Albus. "Trotzdem... Wenn... Wenn es so wäre, dass es nur noch diesen Weg gibt... Du würdest es tun?" Seine Worte waren halb Feststellung, halb Frage. Auf seine Frage hin blickte ich ihn kurz schweigend an. "Sieh mich an.", flüsterte ich. "Sieh mich an, Al. Sieh mir in die Augen. Sag mir, was du siehst.", bei dem letzten Satz wurde meine Stimme rauer. Zögernd richtete Albus seine blauen Augen auf meine zweifarbigen. Wortlos verhakte ich meinen Blick mit seinem. "Denkst du wirklich", fuhr ich genauso leise wie zuvor fort "ich würde dir die Erinnerung an uns nehmen, wenn ich einen anderen Weg habe? Ich will es nicht tun. Aber bevor ich sehe, wie das Licht des Lebens in deinen Augen erlischt, tue ich es. Ich würde es tun, ja. Doch momentan gibt es keinen Anlass dafür."
Sekundenlang sagte er nichts, war nicht im Stande, seinen Blick von meinem zu trennen.
"Nicht?", fragte er schließlich. "Nein. Es ist das allerletzte Mittel, mon amour.", gab ich zurück und löste meine Augen von seinen, indem ich an ihm vorbei sah. "Dann... hoffe ich, dass... es niemals von Nöten sein wird.", sagte er und seufzte leise. "Nicht nur du. Jetzt komm. Gehen wir zurück nach Nurmengard." Absichtlich sagte ich 'Nurmengard' und nicht 'nach Hause'. Denn ja, Nurmengard war mein Zuhause. Aber seines? Nein. Für ihn war es Hogwarts und zwar mehr, als Godric's Hollow es jemals gewesen war. Ich stand auf und zog ihn hoch. Wir disapparierten.

Der gotische Stil. Nicht umsonst hatte ich Nurmengard so bauen lassen, wie ich es getan hatte. Die Linien, sowohl außen als auch innen, die hoch und höher führten. Die mit den Augen verfolgt wurden und unendlich schienen, selbst wenn sie sich an den Giebeln trafen.
Nurmengard war als solches schon riesig, die nach oben führenden Linien verstärkten diesen Eindruck noch zusätzlich.
Diese... Größe. Ja, Größe. Und ich war ein Teil davon. Für den Bruchteil von Sekunden regten sich die Schatten, hob die dunkle Magie in mir träge den Kopf und blinzelte. Dann schlief sie wieder ein. Ich brauchte sie nicht. Nicht mehr und sie wusste das. Wie immer, wenn wir in Nurmengards Vorhof standen, fiel mein Blick unweigerlich auf den Torbogen. Oh, zu gerne wollte ich ihn zusammenstürzen lassen. Weil ich es konnte. Aber ich tat es nicht. Denn er war eine stumme Mahnung an mich, nie wieder das anzufangen, was ich dort im Stein verewigt hatte: 'Für das größere Wohl.' Nein. Nie wieder für das größere Wohl. So sehr ich mich manchmal auch danach sehnte, aus Nurmengard zu disapparieren, irgendwo wieder aufzutauchen, den Elderstab zu ziehen und zu sehen, wie alle kreischend vor mir flohen...
Ich tat es nicht. Es war nur ein schwaches Abbild dessen, was ich bis vor wenigen Monaten noch geliebt hatte. Das Verbreiten von Angst und Schrecken. Nein, nie wieder. Das war ein abgeschlossenes Kapitel. Für mich und für Albus. Alle anderen... naja. Sie würden immer denken, dass ich 'bis zuletzt' (schließlich war ich offiziell immer noch, oder wieder, tot) ein Schwarzmagier gewesen war. "Gellert?", fragte er plötzlich leise. "Ja, mon amour?", ich wandte ihm den Kopf zu.
"Wann wird sie aufhören?"
"Wer? Coral Everdal?", ich zog die Augenbrauen zusammen und biss mir auf die Lippe. "Nie. Nicht, bis..."
"Bis was, Gellert?", fragend suchte er meinen Blick. "Nun, ich nehme an, dass wir trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht verhindern können, dass sie früher oder später dahinter kommt, dass ich wieder am Leben bin. Dann wird sie wieder anfangen, dich in ein Netz aus Erpressung und Lügen zu verstricken. Und eigentlich gibt es daraus nur einen Ausweg.", ich richtete den Blick ausdruckslos in die Ferne, zum Horizont. Der letzte Rest des Abendrots war verflogen, die Nacht hatte den Himmel komplett erobert. "Welchen?", Albus' Stimme bebte.
"Du musst mich ganz und gar offiziell in einem Duell schlagen. Es wird darauf hinauslaufen. Die Frage ist nicht, ob wir das tun werden, mein Liebster. Die Frage ist, wann wir es tun werden. Wie weit wir es noch hinauszögern können. Wie lange Coral Everdal noch braucht, um die Wahrheit zu erfahren.", die Finsternis der Nacht passte absolut perfekt zu meiner Stimmung. "Das ist jetzt hoffentlich nicht dein Ernst?!", Entsetzen lag in seinen Worten. "Doch.", ich verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln und sah ihn wieder an. Seine Augen waren aufgerissen vor Schreck, die blanke Angst spiegelte sich darin. "Nein... Das...", seine Stimme erstarb. "Es kann nicht sein.", vollendete er schließlich. "Oh doch. Eines Tages wird es so sein. Ich hatte bezüglich dessen keine Vision, bevor du fragst. Aber ich weiß es trotzdem. Ich fühle es. Ich weiß nicht, was Coral Everdal tun wird. Was ich weiß ist, dass sie etwas Grauenhaftes tun wird. Rückblickend werde ich dann sagen können: 'And I was by your side, powerless.' Das ist die Zukunft. In Licht und Schatten getaucht. Doch sei unbesorgt, vorher wird noch einiges passieren. Erstmal müssen wir Melissa morgen sagen, dass ich wieder unter den Lebenden weile."
Ohne ein Wort starrte er mich an. Ich legte eine Hand an seine Wange und flüsterte: "Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit sind eins. Versprechen werden gemacht und gebrochen. And this promises broken, deep below, each word gets lost in the echo. Die Strahlen der Vergangenheit, die in die Gegenwart reichen, sind zeitgleich die Strahlen der Gegenwart, die in die Zukunft reichen."
Damit ließ ich ihn los und wandte mich ab. Schlussendlich würde der Kreis sich schließen, Licht und Schatten würden wieder miteinander verschmelzen, bis der nächste kam, die Schatten zu wecken. "Gellert, warte.", seine Worte waren nur ein raues Flüstern. Ich blieb stehen und drehte mich wieder zu ihm um. Er zog den Atem ein und trat zu mir. "Egal, ob wir uns duellieren oder nicht...", blinzelnd brach er ab. "Mach es doch viel unkomplizierter.", sagte ich und küsste ihn.
Ganz kurz nur.
Ganz sanft.
Dann wandte ich mich erneut um, verharrte aber noch kurz und setzte hinzu: "Das einzige, was ich wollte, war das, was ich nicht finden konnte."
Licht und Schatten verschmolzen.
Der Kreis schloss sich.
Die Strahlen der Vergangenheit reichten in die Gegenwart, von dort weiter in die Zukunft.
Meine Visionen wurden immer finsterer.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt