41. Kapitel (Albus): Sehnsucht

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In Gellerts zweifarbigem Blick stand nur eines: Dunkles Verlangen.
Mir wurde eiskalt, Sam stellte sich dichter neben mich, als wollte er mich beschützen. Schon allein die Art, wie Gellert gesagt hatte, dass möglicherweise dreißig Auroren tot sein könnten... Er hatte seine dunkle Seite wiedergefunden. Wenn man von 'wieder' sprechen konnte. Hatte er sie niemals losgelassen? Möglich wär's. Jetzt fing er die anderen beiden Heiligtümer aus der Luft. In dem Moment, als er die Finger um den Stein der Auferstehung schloss, schlug er kurz flackernd die Augen nieder, den Bruchteil einer Sekunde lang verzerrte der Schmerz seine Gesichtszüge. Jedem, der ihn schlechter kannte als ich, entging das. Aber ich hatte es gesehen. Und ich wusste auch, was los war. Mit dem Mut der Verzweiflung, beschloss ich, einen letzten Versuch. "Es ist wegen Gina, nicht wahr? Aber sei mal ganz ehrlich: Glaubst du wirklich, sie würde wollen, dass du das hier tust? Dich wieder der Dunkelheit zuwendest? Glaubst du das?", ich warf den Kopf hoch und sah ihn herausfordernd an.
Langsam wandte er mir den Kopf zu, ich konnte den Schmerz in seinen Augen kaum ertragen, als er mich anblickte. "Würde sie nicht.", flüsterte er. "Aber... ich habe. Keine andere. Wahl. Gina ist zu früh gestorben, Al! Sie... Das hätte nie passieren dürfen. Aber wenn ich sie jetzt zurückhole, muss ich sterben. Allein die Finsternis kann mich verschleiern, aufdass der Tod mich nicht findet." Ich stieß den Atem aus. "Gellert, Gina ist seit einundvierzig Jahren tot. Denkst du nicht es wäre...?", ich beendete den Satz nicht. Zur Antwort schüttelte er müde den Kopf. "Nein. Ich kann sie nicht... Ich kann sie nicht... vergessen. Sonst könnte ich dich genauso gut fragen: Unsere zwei Monate sind vierzig Jahre her, Albus. Glaubst du nicht, es wäre an der Zeit, dass du dich damit abfindest? Dass es vorbei ist? Du schaust entsetzt. Siehst du. Das ist das Gleiche. Nur mit anderem Kontext." Ich seufzte. Er hatte Recht - leider. "Niemand kann die Toten wahrhaftig zurückholen.", meldete sich plötzlich Sam zu Wort. "Auch der Stein der Auferstehung nicht. Er erschafft lediglich einen Schatten." Gellert starrte ihn an und biss die Zähne zusammen, als wollte er Stein durchbeißen. "Ein. Schatten.", wiederholte er, die Stimme ebenso angespannt wie jeder seiner Muskeln. "Ja. Eigentlich weißt du das.", sagte ich leise. Sam schenkte mir einen dankbaren Blick. "Niemand und nichts kann die Toten wahrhaftig zurückholen. Nicht der Stein der Auferstehung, nicht die Inferi. Keine schwarze und auch keine weiße Magie. Nichts, Gellert! Glaubst du wenn es so wäre... Hätte ich dann nicht schon längst Ariana zurückgeholt?" Unendlich langsam wanderte Gellerts verschiedenfarbiger Blick zu mir. "Hättest du.", er biss sich so fest auf die Lippe, dass ein einzelner Blutstropfen herabfiel. Dann fuhr er sich mit allen zehn Fingern durch die Haare. "Aber ich bin nicht irgendwer! Ich bin Gellert Grindelwald! Ich bin der Meister des Todes! Wenn nicht ich meine Schwester wiederholen kann, wer dann? Niemand kann es! Außer mir! Ich... Ich muss es können!" "Weil?", zu meiner Überraschung wich Melissa von Gellert zurück und stellte sich an meine andere Seite. "Weil ich es muss. Sie hat es nicht verdient.", antwortete Gellert sofort, ein seltsamer Funke blitzte seinen Augen auf.
Ein wahnsinniger Funke.
Dann fixierte er mich. "Du kannst mir nichts nehmen, Albus. Ich habe nichts mehr zu verlieren." "Doch.", widersprach ich und deutete mit einem Nicken auf die Heiligtümer. "Hast du." Entsetzen trat in seinem verschiedenfarbigen Blick. "Nein. Das wirst du nicht. Nimm mir nicht die Luft zum Atmen.", die Spur eines Flehens lag in seiner Stimme. Ich schüttelte den Kopf. "Ich werde dir alles nehmen, wenn es dich nur daran hindert, weiterzumachen." "Hörst du denn nicht zu, Al? Hörst du nicht zu?", flüsterte er. "Das größere Wohl ist vergangen. Nicht länger relevant. Ich will nur meine Schwester wiederhaben! Meine Gina!"
Mit flackernden Augen blickte er mich an und ich verstand endlich.
Sehnsucht.
Die Sehnsucht nach seiner Schwester machte ihn wahnsinnig, seine Schuldgefühle machten ihn wahnsinnig. Das verzweifelte Verlangen, ihr das Leben wiederzuschenken.
Er war bereit, für seine Schwester alles zu tun.
"Ich habe sie sterben lassen. Jetzt ist es meine Pflicht, ihr das Leben wiederzugeben, das sie wegen mir verloren hat.", Gellerts Worte waren so leise, dass ich ihn kaum hörte. "Oh Gellert. Es war doch nicht deine Schuld. Es war nicht deine Schuld, dass die Muggel Gina getötet haben.", ich sah ihn fest an, ließ nicht zu, dass er den Blick abwandte. "Warum fühlt es sich dann so an?", gab er zurück. Obwohl er den Kopf hocherhoben hielt, verriet ein leichtes Zittern in seiner Stimme, dass ich den richtigen Nerv getroffen hatte. "Denkst du, ich gebe mir nicht die Schuld daran, dass Ari gestorben ist?", ich antwortete mit einer Gegenfrage. Etwas in seinen Augen wurde klarer. "Du warst es nicht.", sagte er flüsternd. "Ja.", erwiderte ich. "Ich weiß. Warum fühlt es sich dann so an? Ich weiß nicht. Ich hätte nicht verhindern können, dass Ari stirbt, genauso wenig wie du verhindern konntest, dass Gina stirbt."
"Ich hätte sie aber besser beschützen müssen!", protestierte er, seine Stimme brach. "Nein. Du hast alles getan, was dir möglich war. Gellert, du warst fünfzehn!", widersprach ich ihm entschieden. Darauf schwieg er. Sam und Melissa sahen sich an, als würden sie zu gerne ebenfalls wissen, worüber Gellert und ich uns eine solche Diskussion lieferten. Später. Jetzt musste ich erst Gellert überzeugen. "Stimmt. Ich war fünfzehn. Trotzdem wäre sie nie gestorben, wenn ich meinen Zauberstab dabeigehabt hätte.", stellte er nun klar. Ich seufzte. "Ja. Vielleicht. Aber du konntest ihn nicht dabeihaben. Deine Eltern haben es dir verboten." Gellert blickte mich an, als würde er mich zum ersten Mal sehen. "Haben sie. Ich hätte ihn aber dennoch mitnehmen können. Theoretisch. Praktisch gesehen hat mein Vater ihn über die Ferien weggesperrt.", antwortete er endlich. "Siehst du.", sagte ich, sanfter als vorhin. "Du konntest ihn nicht mitnehmen. Gellert. Du konntest Gina nicht retten. Es war - ist - nicht deine Schuld." Er senkte den Kopf, sodass ich ihm genau in die Augen sah. "Glaubst du das wirklich?", fragte er dann. "Ja.", bestätigte ich so ruhig wie möglich. "Das tu ich. Gellert, es war nicht deine Schuld. Hörst du? Du. Konntest. Ihren. Tod. Nicht. Verhindern." "Du den deiner Schwester ebenso wenig.", erwiderte er leise. Hatte er Recht? Ja. Vermutlich schon. Ich trat zu ihm und zog ihn zu mir. Zitternd stieß er den Atem aus, lehnte die Stirn an meine Schulter und schluchzte.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt