33. Kapitel (Albus): Drohung

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Die eisige Kälte der Dementoren war immer noch da. Die Bilder waren immer noch da. Nicht fort. Nicht verblasst.

Was war gerade passiert? Heillos verwirrt wandte ich den Kopf und sah Gellert. Entsetzen schimmerte in seinen ungleichen Augen. Was war gerade passiert? Im einen Moment hatten Gellert und Aberforth sich noch duelliert und jetzt… war Ari tot. Was war gerade passiert? Irgendwo wusste ich, dass das nur eine Erinnerung war. Dass ich längst wusste, was gerade passiert war. Gellerts Blick ging ausdruckslos ins Leere, nun flüsterte er ein Wort, mit dem ich damals nichts hatte anfangen können: “Gina.” Nun fanden seine Augen meine, er blickte mich eindringlich an, seine Lippen formten lautlos die Worte, die ich nie von ihm gehört hatte. Nicht in diesen zwei Monaten. ‘Es tut mir leid’. Dann wandte er sich um und ging.
Er ging.
Er ging, verschwand.
Nein!

Mir war weiterhin eiskalt, aber die Finsternis, die die Dementoren in meinem Geist hinterlassen hatten, wurde heller. Und die Bilder waren verschwunden, was absolut großartig war. Aber immer noch fand ich nicht den Weg aus der Kälte. Warum? Hatten die Dementoren mir etwa die Seele ausgesaugt? Nein. Denn dann hätte ich mich ja gar nicht an an das Drei-Wege-Duell erinnern könne. Denn ohne Seele fehlten auch jedliche Erinnerungen. Nein. Das konnte es nicht sein. Nur was dann?
Komm zu mir zurück.
Was? Verwirrt zog ich meine mentale Stärke zu mir. Was war das denn gewesen? Etwas Rätselhaftes, so viel stand fest. Plötzlich schien die Kälte zu tauen, wurde immer wärmer.
“Al. Sieh mich an. Sieh mich an!”, eine Spur Angst schwang in Gellerts Stimme mit. Da, endlich, riss ich mich aus dem Griff der Kälte und blinzelte. Whoa. Keine Dementoren mehr. Sehr gut. “Oh, den Heiligtümern sei Dank. Al! Du hast mich erschreckt. Fast zu Tode!”, nun klang er eher, als wollte er mir eine Moralpredigt halten. Blinzelnd sah ich zu ihm auf. Er hatte sich am Boden auf die Knie niedergelassen und meinen Kopf in seinen Schoß gebettet. “Das mach ich doch gerne.”, erwiderte ich und grinste. Darauf verdrehte er die Augen. “Ich hasse dich!”, knurrte er. Tat er nicht. “Natürlich. Ich dich auch.”, gab ich würdevoll zurück. “Al, ich warne dich. Sonst treib ich gleich von irgendwo meine Anhänger auf!”, spottete er, seine Augen blitzten. Jetzt war es an mir, die Augen zu verdrehen. “Hast du deinen Patronus gerufen?”, wollte ich dann wissen. “Ja. Es war seltsam. Du erinnerst dich, als ich dir damals meinen Patronus zeigte? Ein Luchs. Aber… heute war es kein Luchs.”, er schwieg, ich zog die Augenbrauen hoch. “Sondern?”, hakte ich nach. Einen Moment lang blickte er mich schweigend aus seinen unergründlichen, zweifarbigen Augen an. Dann sagte er: “Es war ein Phönix.” Sekunde… Was?! “Ein. Phönix.”, wiederholte ich langsam, als würde das irgendetwas ändern. “Ja.”, der Unterton, der in seinen Worten lag, machte klar, dass wir das absolut selbe dachten: Wie kann das sein? Denn ein Phönix als Patronusgestalt ist ungefähr so normal, wie ein Qilin, das sich verbeugt. Na gut, vielleicht doch nicht ganz so selten, aber doch annähernd. “Wie… kann das sein?”, flüsterte ich. Weil der Phönix war seit jeher das Symbol für Zähigkeit, Willensstärke, Entschlossenheit, Ungebrochenheit, Unsterblichkeit und… Loyalität. “Du stellst Fragen. Die Antwort wüsste ich selbst gern. Ich weiß es nicht, Liebling. Weil… eigentlich… Du weißt, wofür der Phönix steht. Und, sind wir mal ganz ehrlich, ich bin alles mögliche, aber nicht loyal.”, antwortete Gellert, ein verzweifeltes Lachen lag in seinen Worten. “Bist du nicht?”, ich richtete mich auf und hob den Kopf höher, sodass wir auf Augenhöhe waren. “Und wie nennst du dann das, was du gerade tust? In der Theorie, und das muss ich dir eigentlich nicht sagen, sind wir Feinde. Feinde, Gellert. Dennoch haben wir in den letzten Tagen öfter Seite an Seite gekämpft, als es der Zaubererwelt lieb wäre - sofern sie davon wüsste.” “Das ist wahr.”, antwortete er und blinzelte nachdenklich. Einige Momente lang schwiegen wir. Schließlich sagte ich: "Starling wird es wieder tun." Zustimmend senkte er den Kopf und stieß langsam den Atem aus. "Ich weiß. Er wird es immer wieder tun, nicht nachlassen, bis er sein Ziel erreicht hat." "Dich besiegt und mich tot.", ergänzte ich. "Das ist absolut korrekt. Leider.", er blinzelte und richtete seinen verschiedenfarbigen Blick gedankenverloren in die Ferne. "Wenn du mich fragst", fuhr er leise fort, seine Augen wurden leer "hat Starling den Verstand verloren. Schlimmer noch als Travers vor ihm. Ja, Travers war auch nicht der beste Verbündete für dich. Aber immerhin war seine oberste Priorität nicht, dich zu töten. Zwar hat er dich abscheulich unter Druck gesetzt, das aber immer mit dem Ziel getan, mich zu besiegen. Pah, und Starling, was tut er? Jagt mit seinen Auroren dir hinterher, als wäre ich nicht da. Wer weiß. Ehrlich gesagt würde es mich nicht sonderlich überraschen, wenn er eines Tages bei mir in Nurmengard steht und mich um Kooperation bittet." Der Gedanke, dass Starling mich so sehr hasste, dass er sich dafür sogar mit meinem offiziellen Todfeind Gellert Grindelwald verbünden würde, war schrecklich. Und das alles nur, weil ich vor zweiundvierzig Jahren mal zu seiner Schwester gesagt hatte, dass ich sie nicht liebte. Merlin! "Ich hoffe doch schwer, dass du da nicht zustimmen würdest.", erwiderte ich nun. Gellert wandte mir den Kopf zu, zog die rechte Augenbraue hoch und grinste. "Kommt darauf an, was für mich dabei rausspringt. So ein Posten als Zaubereiminister.... Nein, Spaß. Niemals. Bevor ich mich mit Starling verbünde, gefriert die Hölle und selbst dann nicht. Niemals. Niemals, Al. Ich habe dich schon einmal verraten und ich werde es nie wieder tun. Lieber breche ich den Elderstab eigenhändig in der Mitte durch." Oh. Das nannte ich mal eine Ansage. "Also darf ich davon ausgehen, dass du's nicht tun wirst.", fasste ich zusammen. "Sehr schön." Immer noch umspielte ein Grinsen seine Mundwinkel, als er antwortete: "Das darfst du." Ich seufzte. "Du. Nervst.", ich durchbohrte ihn mit einer Abfolge von Todesblicken. "Danke. Du auch.", gab er zurück und schenkte mir ein schelmisches Lächeln. Darauf sah ich ihn ein weiteres Mal tödlich an. Plötzlich erstarrte er, jeder seiner Muskeln verkrampfte sich. Ziemlich erschrocken blickte ich ihn an. "Was ist? Starling schon wieder?" "Du hast es erfasst. Mal wieder kommt er. Ohne Dementoren. Aber mit etwas noch Schlimmerem.", erwiderte er, seine Worte waren nur ein Flüstern. "Etwas. Noch. Schlimmerem.", wiederholte ich ausdruckslos. "Was könnte denn bitte noch schlimmer sein?" Gellert sah mich und presste die Lippen so fest zusammen, dass sie nur ein Strich waren. "Eine Drohung.", sagte er, seine Stimme war kalt. Kurz starrte ich ihn wortlos an. "Egal, was er sagt, ich werde dich nicht hassen.", stellte ich klar. Ein Funke flackerte wie eine einsame Flamme in seinem Blick auf. "Ich weiß.", lautete seine Antwort. Mehr sagte er nicht und das beunruhigte mich doch sehr. Doch schon wenige Sekunden später hatte ich keine Zeit mehr, über das nachzudenken. Weil Starling nämlich da war. Die Tatsache, dass er allein gekommen war, sowie, dass ein siegessicheres Lächeln sein Gesicht zierte, ließen mich schreckliche Dinge ahnen. "Grindelwald und Dumbledore. Ich will mich kurz fassen. Entweder, Sie lassen mich Ihren 'Lieblingsfeind' in Gewahrsam nehmen, Dumbledore, oder ich bringe Sie hier und jetzt um. Also?" Ich konnte nichts anderes tun, als ihn sprachlos anzusehen. Gellert sollte nicht nach Askaban, oder wo auch immer Starling ihn festhalten wollte! Die Nähe der Dementoren, ohne die Möglichkeit, seinen Patronus zu rufen, würde ihn zerbrechen! Genauso, wie es mich zerbrechen würde. Aber ich wollte auch nicht sterben! Denn dann... würde der Fluch des Zweiten Gesichts unweigerlich zurückkehren. "Nein!" Es war nur ein einzelnes Wort, und ich war es nicht gewesen, der gesprochen hatte. "Nein.", Gellert sah Starling durchdringend an. "Du wirst ihn nicht töten. Niemals. Ich komme mit, widerstandslos. Auch wenn es Askaban sein sollte." Jetzt sah ich ihn sprachlos an. Ein triumphierendes Glitzern trat in Starlings grüne Augen. Er glaubte, er hätte Gellerts Willen gebrochen. Hatte er das? Nachdenklich betrachtete ich ihn. Die helle Haarsträhne hing ihm wieder in die Stirn, sein zweifarbiger Blick schien in Flammen zu stehen. Nein, wurde mir klar. Gellert war nicht gebrochen, im Gegenteil. Trotzdem... Endlich fand ich meine Stimme wieder. "Nein.", flüsterte ich so leise, dass nur Gellert mich hören konnte. "Tu das nicht. Das kannst du mir nicht antun. Bitte. Das... Das darfst du mir nicht antun. Ich flehe dich an!" Er antwortete mir, ohne sich zu mir umzudrehen, ohne mich anzusehen. "Doch. Das werde ich." Jetzt wandte er sich doch zu mir um. "Tut mir leid, Liebling, aber was ich jetzt tue, muss sein. Vergib mir." Mit diesen Worten schnippte er den Elderstab. Sofort schlang sich ein Seil um meine Hände. Flehentlich suchte ich seinen Blick, doch er wich mir aus und drehte sich stattdessen wieder zu Starling um, der zwei Auroren herbeigerufen hatte, die Gellert nun in ihre Mitte nahmen. Das gab mir ein absolut schmerzhaftes Flashback. Schonmal war das geschehen. Damals hatte ein spöttisches Lächeln um seine Lippen gespielt. Davon war jetzt keine Spur zu sehen. Ohne mir nochmal einen Blick zuzuwerfen, ließ er sich von den Auroren abführen. Sie setzten zum Disapparieren an. Und da, endlich, wandte er den Kopf, unsere Blicke trafen sich. Ein trauriges Lächeln huschte über seine Lippen, ich las ihm das Ungesagte von den Augen ab: Vergib mir, Liebster. Ich liebe dich. "Ich liebe dich auch.", flüsterte ich. Sein Lächeln vertiefte sich. Er hatte es gesehen. Dann disapparierten sie, und ich blieb allein in dem eisigen Wind zurück, der um Hogwarts' Klippen tobte.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt