75. Kapitel (Albus): Scars

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Die Pflastersteine in Nurmengards Vorhof waren rot von Gellerts Blut.
Rot.
Die Luft war erfüllt von der Schwere des Eisens. Mich schauderte es. So viel seines Bluts hatte er vergossen. Just in dem Moment, in dem meine Starre endlich von mir abließ, blinzelte er, richtete sich halb auf und musterte seine Umgebung. Dann zog er die linke Augenbraue hoch. "Wunderbar.", verkündete er, seine Stimme war ein bisschen schwächer als sonst. Melissa neben mir fuhr zusammen, als hätte er sie aus dem Tiefschlaf gerissen. "Wo ist denn hier was wunderbar?", murmelte sie. Gellert sah sie an. Auf seinen zweifarbigen Augen lag ein Schleier und doch war sein Blick konzentriert. "Dass die Dämonen weg sind, natürlich.", er nahm den Elderstab, stand auf und ließ mit einem Schnippen sämtliche Spuren unseres Kampfes gegen die Dämonen verblassen. "Abgesehen davon sind wir alle noch am Leben. Also können wir unser Unterfangen als Erfolg betrachten." "Erfolg.", sagte ich langsam, als hätte ich das Wort noch nie gehört. Melissa und ich tauschten einen Blick. Dann legte sie los: "Erfolg?! Dass du dir eine Arterie aufschlitzen musstest, um die Dämonen abzulenken? Erfolg nennst du das?! Dann definieren wir dieses Wort aber sehr, sehr unterschiedlich! Ich würde nämlich sagen, das hier war eine Katastrophe mit glücklichem Ausgang! Ja, die Dämonen sind tot. Ja, wir sind alle noch am Leben. Aber bei Merlins Bart, um ein Haar wärst du es nicht mehr! Dir eine Arterie aufschlitzen! Sonst noch was? Wusstest du, dass auf diese Weise schon Menschen Selbstmord begangen haben?" "Weiß ich.", antwortete er, vollkommen ungerührt von ihrer Wut. "Aber ich tat es, weil es notwendig war. Nicht, weil es mir so viel Spaß macht, mich mit Schnitten zu traktieren." Dank seiner Heilzauber waren die zuvor blutenden Schnitte zu Narben verblasst, die nicht mehr waren als weiße Linien an seinem Arm. Jene Narbe, die sich über seine Handfläche zog, kreuzte fast eine andere. Eine, deren Anblick mir jedes Mal einen brennenden Stich in die Seele gab.
Es war die des Blutpakts.
Meine eigene hatte ich verblassen lassen, als ich begriffen hatte, dass Gellert und ich Feinde sein mussten.
Die Narbe, deren Schnitt seine Arterie zuvor der Länge nach aufgeschlitzt hatte, zog sich schier endlos lang. Ich wollte mir seinen Schmerz, als er es getan hatte, erst gar nicht vorstellen. "Eigentlich wollte ich sie mir quer aufschneiden. So hatte ich auch den Elderstab angesetzt. Aber der Länge nach war dann doch ergiebiger.", sagte Gellert, als hätte er bemerkt, dass Melissa und ich die Narbe anstarrten. Vermutlich hatte er es auch bemerkt. "Und gefährlicher.", ergänzte ich. "Ja, das auch.", gab er mir mit einem Schulterzucken Recht. "Trotzdem. Ich musste es tun." "Soso.", brummte Melissa und betrachtete ihn düster. "Werden sie wieder verschwinden?", fragte ich. "Die Narben? Nein. Nie wieder. Dazu ist die Magie, die ich angewandt habe, um die Schnitte zu erzeugen, zu mächtig. Das kann kein Zauber dieser Welt wieder vollends verschwinden lassen.", sachte schüttelte er den Kopf. "Wenn sie nicht verschwinden, warum konnte ich dann die hier verblassen lassen?", gab ich zurück, steckte meinen Zauberstab weg und deutete mir einem Nicken auf meine rechte Handfläche, über die sich einst quer die Narbe unseres Blutpakts gezogen hatte. Einige Sekunden sah Gellert mich an, als würde er mich zum ersten Mal sehen, als hätte er mich noch nie zuvor getroffen. "Du hast sie nicht mehr.", stellte er schließlich leise fest, seine Augen glänzten. "Nein. Ich konnte ihren Anblick nicht ertragen, nachdem ich erst einmal erfahren hatte, was du getan hattest.", erwiderte ich sanft. Er schlug die Augen nieder und schüttelte den Kopf. Dann gab er mir eine Antwort auf meine Frage: "Der Zauber, den wir damals verwendet haben, war keine allzu mächtige Magie. Das Resultat daraus - der Blutpakt - war mächtig. Nicht jedoch der Zauber, mit dem wir uns geschnitten haben. Darum konntest du sie verschwinden lassen. Diffindo mag ein einfacher Zauber sein, doch von großer Macht, insbesondere, sofern der Elderstab ihn ausführt." Seine Stimme war ruhig und durch die Tatsache, dass er meinem Blick auswich, war es mir unmöglich, die Gefühle aus seinen Augen zu lesen. Doch ich sah, dass seine Schultern angespannt waren und das sagte mir, dass es ihn schmerzte. "Mir gefällt es nicht.", nun sah er auf und warf einen Blick hinter sich. "Nein, es gefällt mir wirklich nicht. Dass meine Schutzzauber fort sind. Es wird Zeit, dass ich sie wiederherstelle, damit wir nicht länger ungeschützt sind." Damit wandte Gellert sich von Melissa und mir ab und ging einige Schritte weg. Den Kopf leicht gesenkt und zeitgleich auch zur Seite geneigt begann er, Zauber zu flüstern. Allerdings so leise, dass ich kein Wort verstand.
Mindestens zwei Minuten verharrte er, bevor er den Elderstab wegsteckte und sich wieder zu uns umdrehte. "Gut. Altes Niveau wiederhergestellt. Die Macht der Heiligtümer war es, die dafür gesorgt hat, dass wir nicht nochmal zweiunddreißig Jahre warten müssen, ehe meine Schutzzauber wieder auf dem vorherigen Level an Stabilität sind. Einzig der Zauber, der jene, die nicht meiner Gesinnung sind, daran hindert, Nurmengard zu finden, braucht keine Zeit oder Heiligtümer, um maximale Stärke zu erreichen.", er sagte es wie ein Lehrer, der seinen Schülern beiläufig einen komplizierten Zauber erklärt. "Wisst ihr was?", fragte Melissa. Zeitgleich sahen Gellert und ich sie an. Dabei kreuzten unsere Blicke sich, woraufhin er blitzschnell woanders hin sah. "Nein, was denn?", hakte er nach. "Mir ist so richtig danach, auch etwas lebensgefährliches zu tun.", verkündete sie. "Ich habe vor, nochmal ins Ministerium zurückzudisapparieren und dort Irenas Schreibtisch auseinanderzunehmen." Mir entging nicht, dass sie Coral Everdal bei ihrem Geburtsnamen nannte. "Wirklich lebensmüde.", stellte Gellert fest, die verschiedenfarbigen Augen allein auf Melissa gerichtet. "Sag ich doch. Ich tu's trotzdem. Schließlich ist die jetzt zu sehr damit beschäftigt, in der Weltgeschichte rumzuhetzen und nach uns zu suchen.", Melissa grinste. "Dann bitte: Tu, was du nicht lassen kannst. Aber sei vorsichtig.", ermahnte ich sie. "Keine Sorge. Ich pass schon auf. Außerdem, selbst wenn mich einer erwischt, wird derjenige zu erstaunt darüber sein, dass ich überhaupt am Leben bin. Wer weiß, vielleicht hält man mich sogar für einen Geist?", ihr Grinsen vertiefte sich. "Ich probiere es einfach mal aus. Bis später. Ach ja: Versucht bitte, nicht zu sterben, während ich weg bin." Mit diesen Worten zog sie ihren Zauberstab und disapparierte. Tja. Und nun? Jetzt standen wir da, Gellert und ich, und schwiegen. Aber warum? "Was ist?", fragte ich, als ich die Stille nicht mehr ertragen konnte. "Nichts.", zur Antwort schüttelte er den Kopf. "Doch. Ich merke es dir an.", widersprach ich. "Also?" Darauf wandte er mir seine zweifarbigen Augen zu. "Du hast sie verschwinden lassen.", flüsterte er. Es war kein Vorwurf. Es war bittere Trauer. "Ja, habe ich. Aber das war, als ich noch nicht wusste, dass... Dass es zwischen uns wieder in Ordnung sein würde. Als ich sie verblassen ließ, dachte ich, wir würden uns für den Rest unser beider Leben als Feinde gegenüberstehen. Ich dachte, es wäre vorbei. Wie hätte ich ahnen sollen, dass dem nicht so ist?", halb fragend, halb flehend blickte ich Gellert an. "Konntest du nicht, das stimmt.", er zuckte die Schultern und strich sich seine helle Strähne zurück. "Verzeih mir. Ich hätte es dir früher sagen sollen.", schuldbewusst wich ich seinem Blick aus. "Hättest du. So wie ich dir früher von meiner damaligen Vision hätte erzählen sollen.", erwiderte er, seine Worte waren sanfter als zuvor. "Also sind wir jetzt... gleichauf?", vorsichtig sah ich ihn an. "So kannst du es sagen.", gab er zurück. "Und jetzt", fuhr er fort, als ich zu einer Erwiderung ansetzte "sei still, damit ich dich küssen kann." "Zu Befehl!", ich grinste ein bisschen, was er genauso unmerklich erwiderte. Dann war vorerst nichts mehr von Bedeutung außer seinen Lippen auf meinen. "Hab ich schonmal erwähnt, dass ich es liebe, wenn du mich küsst?", wollte ich wissen, als wir uns wieder voneinander lösten. "Ich hoffe doch schwer, dass du nicht nur meine Küsse sondern auch mich liebst. Denn ich tue es.", antwortete Gellert und schenkte mir sein schelmischstes Lächeln. "Natürlich.", entgegnete ich übertrieben würdevoll. "Du weißt, dass ich dich liebe. Mehr als alles andere.", setzte ich leiser hinzu. Sein Lächeln wurde ernster. "Und du weißt, dass ich dich liebe, Al. Mehr als alles andere auf dieser Welt." Für einen Moment verlor ich mich in den Tiefen seiner wunderschönen, zweifarbigen Augen. Diese Augen, die jedes Mal, wenn er mich ansah, auf den Grund meiner Seele zu blicken schienen. Jedes meiner Gefühle schien er zu kennen, noch bevor ich es selbst wusste. Jeden meiner Gedanken. "Was glaubst du, wird jemals wieder alles 'normal' werden?", fragte ich. Weiterhin entzog er mir nicht seinen Blick, als er mir seine Antwort gab: "Nach dem Duell, ja. Zumindest für dich. Ich werde mich in einem neuen 'normal' zurechtfinden müssen."
Das Duell.
Oh nein, das hatte ich ganz vergessen. "Nicht schon wieder das Duell. Das hatt ich schon komplett vergessen.", murmelte ich. "Wirklich? Du Glücklicher. Ich wünschte, ich könnte es vergessen.", in diesem Moment war sein Blick unendlich müde. "Ich will mich nicht mit dir duellieren müssen. Nichtmal zum Schein oder so. Ganz und gar überhaupt nicht.", ich sagte so etwas zum hundertsten Mal. "Ich weiß, Liebster. Ich weiß. Glaube mir, ich will es auch nicht. Aber es wird so kommen.", er blinzelte und wandte den Blick zur Seite. Ich seufzte. "Das Schicksal ist unfair.", stellte ich klar. Daraufhin grinste er schwach. "Das definitv." "Jaaaah.", ich schlug mit einem weiteren Seufzen die Augen nieder und senkte den Kopf. Er war mit einem Schritt bei mir und zog mich an sich heran. Zum dritten Mal innerhalb einer Minute stieß ich einen Seufzer aus und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. Lautlos sog ich seinen Duft nach Lavendel mit einer Spur von Pfefferminz ein. Merlin, er machte mich wirklich wahnsinnig! Heute mischte sich unter die übliche Note von Lavendel und Pfefferminz noch ein Hauch von Eisen. Der letzte Hinweis darauf, dass seine Narben nicht mehrere Jahre, sondern gerade erst eine Viertelstunde alt waren. Stunden, so schien es mir zumindest, verharrten wir so. Keiner von uns dachte auch nur ansatzweise daran, den anderen loszulassen. Warum auch? Die Zeit, die wir noch haben konnten, lief uns zwischen den Fingern hindurch wie Wasser. Da zählte jede Minute. Jede Sekunde. Jeder Atemzug. Jeder Wimpernschlag. Schließlich jedoch zog Gellert sich von mir zurück. Aber nicht völlig, sondern nur gerade so weit, dass wir uns in die Augen sahen. Nach kurzem Zögern senkte ich den Blick und strich vorsichtig mit dem Finger die längste der Narben nach. Jene, die sich von seinem rechten Handgelenk bis fast zu seinem Oberarm zog. Jene, mit deren Schnitt er sich die Arterie aufgeschlitzt hatte, um die Dämonen von mir und Melissa abzulenken. Kurz zuckte er zusammen, dann ließ er mich aber gewähren und wartete, bis ich verharrte. Dann sagte er mit rauer Stimme: "Ich würde es wieder tun." "Ich weiß.", murmelte ich fast unhörbar und sah ihn an. "Ich weiß. Zwei Minuten mehr und du hättest tot sein können, Gellert." "Ja. Das hätte ich. Aber... das wäre es mir wert gewesen, Al." "Oh, Gellert.", ich seufzte und lehnte meine Stirn gegen seine. "Warum?" Natürlich verstand er, was ich meinte. 'Warum tust du das? Dich selbst immer ganz hinten anstellen?' "Weil es das mindeste ist, was ich tun kann.", antwortete er so leise, dass ich ihn kaum hörte. Seine Stimme zitterte leicht und ich hörte das Verlangen daraus. Das Verlangen, sein Blut fließen zu lassen, bis jeder Blutstropfen, den er für das größere Wohl vergossen hatte, ausgeglichen war. Doch er tat es nicht. Stattdessen stand er da, die Augen halb geschlossen, sein Atem ging schwer. "Die Schatten der Vergangenheit werden immer bis in die Zukunft reichen.", Gellert seufzte. "Umgekehrt kann die Zukunft aber genauso Schatten in die Gegenwart oder gar die Vergangenheit werfen. Von den Schatten der Gegenwart, die sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit beeinflussen können, mal ganz zu schweigen." Einige Sekunden lang zögerte er, bevor er weitersprach. "Meine Seele ist ein Berg aus Splittern, Al. Hunderte von zerbrechlichen Splittern, manche größer, manche kleiner. Und diese Splitter würden immer weiter zerfallen, hätte ich nicht erwas, dass sie zusammenhält. Erst Gina, dann dich. Dann das größere Wohl und nun wieder uns beide. Jedes Mal, wenn da nichts mehr ist, zerbrechen die Splitter immer weiter. Selbst dann, wenn meine dunkle Seite da ist. Sie ist die Reaktion meiner selbst auf das Zerbrechen. Meine dunkle Seite vermag nicht, meine Seele daran zu hindern, zu zerbrechen, aber ist sie doch in der Lage, den Schmerz verschwinden zu lassen, der die Splitter immer weiter zerreißt. Oh, nein, Al, meine Seele 'bricht' nicht.", auf meinen fragenden Blick hin schüttelte er den Kopf. "Das nicht. Sonst wäre ich schon lange tot. Die Seele kann auf zwei verschiedene Arten zersplittern. Einmal in dem sie wirklich und wahrhaftig 'bricht', aber wenn das so ist, zerfällt sie nicht einfach. Sie löst sich auf, in Stücken löst sie sich vom Leben und verschwindet. Wohin weiß niemand. Das 'Brechen' einer Seele besteht, wie du weißt, aus drei Stadien. Die erste Phase ist die, in der alles noch aufgehalten werden kann.", er unterbrach sich kurz und sah mich an. Wir wussten beide, auf was er mit seinem letzten Satz anspielte. "In der zweiten Phase kommt es dann dazu, dass die Gefühle einfrieren. Nun und in der dritten... kommt der Tod. Das wäre die erste Art, wie eine Seele splittern kann. Die zweite ist, wenn sie zwar zerbricht, aber als ganzes noch am Leben verbleibt und sich nicht auflöst. Selbst wenn sie dann am Schluss nur noch winzige Fetzen sein sollte, ist der Tod keine direkte Folge davon. Auch wenn es natürlich wahrscheinlich ist, dass derjenige sich vorher umbringt." "Das wirst du nicht tun!", meine Antwort war halb Frage, halb Flehen. "Nein. Werde ich auch nicht.", Gellert schüttelte erneut den Kopf, seine zweifarbigen Augen glitzerten. "Es würde mich zerbrechen, wenn du es tun würdest.", sagte ich leise. "Ich weiß. Darum tue ich es auch nicht. Du weißt, dass ich jederzeit mein Leben für deines geben würde, aber das ist nicht das gleiche, als wenn ich mich umbringe, nur weil meine Seele ein Splitterfeld ist.", er gab mir seine Antwort so ruhig und gelassen, als würden wir über die neusten Rennbesen und nicht über das 'Brechen' von Seelen und Selbstmord sprechen. "Ich kann ohne dich nicht.", flüsterte ich und schluckte. Mein nächster Satz würde hart für ihn werden. "Versprich mir was.", ich hielt seinen Blick mit meinem fest. Fragend zog er die rechte Augenbraue hoch. "Was denn?" Ich seufzte zitternd. "Eines Tages, wenn es soweit ist... Versprich mir, dass ich zuerst gehen darf." Darauf starrte er mich sprachlos an, ich las das Entsetzen aus seinen Augen. Denn klar, ohne mich würde der Fluch des Zweiten Gesichts wiederkommen. Fast rechnete ich schon damit, dass er sagte: 'Das kann ich dir nicht versprechen.' Aber das tat er nicht. Er blickte mich wortlos an, die Augen geweitet vor Schreck. Dann strich er sich langsam seine helle Haarsträhne zurück, ich sah, dass seine Finger zitterten. Trotzdem wandte er den Blick nicht von mir, ich wusste, dass er in meinen Augen für den Beweis danach suchte, dass das nicht mein Ernst war. Nicht mein Ernst sein konnte. Doch er würde nichts finden. Es mochte grauenhaft und egoistisch sein, aber ich konnte nicht anders. Was war ich ohne ihn?
Nichts.
Immer noch ohne ein Wort musterte er mich und schluckte heftig. Auf einmal richtete er die volle Intensität, die ganze Wucht seiner zweifarbigen Augen auf mich. "Also gut.", seine Worte waren heiser. "Ich verspreche es dir. Wenn die Zeit gekommen ist, darfst du zuerst gehen, Liebster." Oh. Er hatte es tatsächlich gesagt. Eigentlich hatte ich damit nicht wirklich gerechnet. Was sollte ich nun antworten? Ein kurzes 'Danke' würde nie und nimmer ausreichen, das war mir klar. Dazu war das Opfer, das er mir mit diesem Versprechen gebracht hatte, viel zu groß. "Es ist schrecklich von mir, das von dir zu verlangen.", ich sagte es, bevor ich mich daran hindern konnte. "Ist es auch.", Gellert blinzelte, seine Augen flackerten leicht. "Und... trotzdem hast du es mir versprochen.", fuhr ich ganz leise fort. "Das war... mehr als ich... von dir hätte verlangen können. Verlangen dürfen." "War es.", erwiderte er. Mehr nicht. Vorsichtig suchte ich seinen Blick. Ohne mit der Wimper zu zucken hielt er mir stand. "Erinnerst du dich, was ich vor kurzem zu dir gesagt habe?", fragte er. "Ich habe zu dir gesagt: 'Ich würde alles für dich tun'. Und wenn ich alles sage, dann meine ich auch alles. Du hast mir verziehen, was ich für das größere Wohl getan habe und das war mehr, als ich von dir hätte verlangen können. Ich weiß nicht, was das Schicksal noch vorhat, aber du wirst zuerst gehen dürfen." Schweigend verschränkte ich die Finger meiner rechten Hand mit denen der seinen. Genau wie damals, vor vierzig Jahren, als wir uns den Blutpakt geleistet hatten. Sanft tat Gellert es mir nach und schenkte mir ein kaum merkliches Lächeln, das ich erwiderte. Wir waren damals vierzig Jahre jünger gewesen, jung und unvernünftig. Aber ich hatte ihn damals nicht weniger und auch nicht mehr geliebt, als ich es heute tat.
Schließlich zog er seine Hand zurück und seufzte. Es war ein absolut theatralisches Seufzen. Gellert war eben Gellert. Er liebte das große Drama. "Also wirklich.", schon legte er los und sah sich tadelnd um. "Warum braucht Melissa denn solange? Ich gehe nicht davon aus, dass das Ministerium sie erwischt hat. Schließlich bin ich schon oft genug dort gewesen und jedes Mal hat mich nur dann jemand gesehen, wenn ich das auch wollte." "Ach? Tatsächlich? Und was war dann das, 1928, vor elf Jahren, in New York? Hattest du es da auch darauf angelegt, enttarnt zu werden?", fragte ich herausfordernd. Er lächelte sein arrogantests Lächeln. Das hatte er wahrlich nicht verlernt. "Ein bisschen schon. Es war notwendig. Um die Welt glauben zu lassen ich wäre - zack! verschwunden. Was ich natürlich nicht war. Schließlich hält kein Gefängnis dieser Welt mich länger als drei Monate fest, sofern ich das nicht will. Höchstens drei Monate.", er grinste, vollkommen zufrieden mit sich. "Ja, ja.", ich nickte. Darauf funkelte er mich an. "Habe ich da etwa Spott gehört?"
"Was? Bei mir? Niemals!", protestierte ich gespielt empört. "Wie kommst du denn darauf?" Bedrohlich grinsend zuckte er die Schultern. "Nur so eine Intuition.", erwiderte er und schenkte mir ein engelsgleiches Lächeln. "Achsooo.", antwortete ich langsam. "Eine Intuition. Wie äußerst interessant." "Nicht wahr?", schnurrte er und legte einen Finger an meine Kehle. Wir grinsten uns an, er nahm den Finger weg und küsste mich. "Langsam. Nicht so stürmisch.", murmelte ich, ohne mich dafür groß von ihm zurückzuziehen. Ich spürte, wie sich seine Lippen zu einem Grinsen verzogen. "Warum denn nicht?", hauchte er, löste sich von mir und sah mich an. "Weil ich es sage.", erwiderte ich genauso leise. "Du bist eine Zumutung für meine Nerven!", beschwerte er sich bei mir, aber ich sah das amüsierte Glänzen in seinen Augen. "Ja. Du auch für meine.", entgegnete ich zuckersüß, Gellert verdrehte die Augen. Plötzlich hob er den Kopf, als hätte er etwas gehört. "Ah, Melissa kommt zurück.", meldete er. Tatsache. Zwei Sekunden später apparierte sie und stand nun wieder vor uns.
Ihre grünen Augen glitzerten triumphierend. "Jungs, es war herrlich!", rief sie. Gellert und ich sahen uns an, er zog eine Augenbraue hoch. "Jungs?", fragten wir gleichzeitig. "Ja!", rief Melissa gut gelaunt. Ich zog die Augenbrauen zusammen, blickte Gellert an und legte den Kopf schräg. "Kannst du feststellen, ob sie einen Aufmunterungszauber drauf hat?", wollte ich wissen. Er schüttelte den Kopf. "Also, ja, ich könnte es spüren. Aber nein, sie ist nicht mit einem Aufmunterungszauber belegt.", erklärte er. "Oh.", ich strich mir nachdenklich durch die Haare, er zuckte die Schultern. "Lissa? Was ist denn mit dir los?", hakte ich nach. Sie grinste. "Gar nichts. Das Leben ist herr-lich!", sie lachte. Verwirrt blinzelte ich mehrmals. "Bei den Heiligtümern.", murmelte Gellert neben mir. "Ich frage mich, ob sie irgendwas intus hat." "Gute Frage.", stimmte ich ihm zu. Melissa unterdessen starrte mit einem verträumten Lächeln in die Ferne. "Ich liebe Ferien!", verkündete sie. Was? Verwundert musterte ich sie und sah dann wieder zu Gellert. Er erwiderte meinen Blick, neigte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr: "Ich glaube, ihr sind ein paar Zauberstäbe aus dem Regal gefallen." Als hätte sie ihn gehört, flog ihr Kopf zu ihm herum. "Man flüstert nicht in Gegenwart anderer Menschen, Gellert! Unartiger Junge!" Darauf sah Gellert sie ein bisschen verstört an, sein Blick sagte eindeutig: 'Ist sie verrückt geworden?!' "Was?", fragte ich verständnislos. Sie kicherte los wie ein albernes Mädchen. "Die Welt ist wun-der-bar und das Leben ist schö-hö-n!", flötete sie. Wortlos schüttelte ich den Kopf. Gellert sah inzwischen absolut irritiert aus. Aus heiterem Himmel erstarrte Melissa, ihr Blick verdunkelte sich. "Raus aus meinem Kopf!", zischte sie und schüttelte sich. Einige Sekunden geschah nichts, dann blinzelte sie und blickte mich an. "Was ist? Warum siehst du mich so komisch an?", jetzt klang sie auch wieder, wie ich es von ihr gewohnt war. Hart und zornig, mit einer deutlichen Spur tiefer Trauer. Nicht mehr so überdreht. "Du warst gerade... ziemlich merkwürdig.", sagte Gellert. Melissa schnaubte, Hass spiegelte sich in ihren dunkelgrünen Augen. "Verzeiht. Das war diese blöde Lügnerin von Irena. Ich bin ja ins Ministerium appariert", begann sie und lehnte sich mit einem Seufzen an die Mauer "um dort Irenas Schreibtisch auseinanderzunehmen. Das hat auch geklappt. Aber als ich ihn grad zu Holzspänen verarbeitet habe, ist Irena plötzlich reingekommen. Hat natürlich sofort einen Schock gekriegt und mich gefragt, wer ich bin und wie ich bitte hier rein gekommen sei und was zur Hölle ich mit ihrem Schreibtisch gemacht hätte. Naja...", sie grinste ein kleines bisschen. "Ich hab behauptet: 'Ich bin der Geist von Melissa Starling und ich bin gekommen, um dich zu jagen, Irena.' Pah, fast an die Decke gesprungen vor Schreck ist sie, die dumme Nuss. Weil ich ihren 'echten' Namen benutzt hab. Sie hat sich umgedreht und ist auf dem Absatz wieder raus. Drei Sekunden später war sie wieder da, mit fünf Auroren und hat mich gefragt, ob ich als Geist noch wüsste, wie man sich duelliert. Natürlich, hab ich gesagt. Tja. Und als dann die Blitze flogen haben sie leider relativ schnell festgestellt, dass ich kein Geist bin. Denn dann hätte ich die Zauber ja nicht abwehren müssen. Auf jeden Fall hat Irena dann zu 'Imperio' gegriffen... Wie lange war ich komisch?" "Ungefähr eine Minute.", sagte ich. Wütend biss Melissa die Zähne aufeinander. "Ich muss üben.", knurrte sie. "Auf jeden Fall hab ich mein Ziel erreicht." Nachdem sie geendet hatte, kam mir aus heiterem Himmel ein schrecklicher Gedanke. "Wenn sie dich unter Imperio hatte, als du hierher disappariert bist... Weiß sie dann nicht auch, wo Nurmengard ist?" "Nein.", das war Gellert. "Imperio heißt nicht, dass man alles durch die Augen dieser Person sieht. Es heißt lediglich, dass sie dem eigenen Willen unterworfen ist." Ich sah ihn an. Keine Spur Unsicherheit war in seinem Blick und daher beschloss ich, ihm zu glauben. Immerhin kannte er sich von uns allen am besten mit Schwarzmagie - und damit mit den unverzeihlichen Flüchen - aus. Quasi aus Berufserfahrung. "Aber... ich hab auch was beunruhigendes gehört.", Melissa senkte die Stimme, als sie fortfuhr. "Kurz bevor Irena alias Coral Everdal, mit den Auroren wieder reinkam, hat sie einen gefragt: 'Und? Wie läuft es? Habt ihr die beiden bald?' Und der Auror hat geantwortet: 'Ja, Miss Everdal. Wir wissen, wo sie sind.' Nun, und hinter welchen 'beiden' ist Irena momentan her wie eine Geisteskranke?"
"Uns.", flüsterte ich und meinte damit Gellert und mich. "Aber...", ich stockte. "Wenn der Auror gesagt hat 'wir wissen wo sie sind', dann... Dann heißt das, sie wissen wo... wo Nurmengard ist."
Jetzt blickte ich Gellert an. Kurz erwiderte er meinen Blick reglos, dann riss er die Augen auf. "Nein.", stieß er tonlos hervor und schloss die Augen. "Nein."

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt