45. Kapitel (Albus): Enttäuschung

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Ohne eine Regung standen Sam, Melssa und ich an Hogwarts’ Klippen. Ohne Regung. Seit Minuten. Es fühlte sich so an, als wäre mein Herz in tausende Stücke zerrissen worden, nur um dann zu gefrieren und schlussendlich in Eissplitter zu zerspringen.
Ohne ihn.
Was war ich ohne ihn?
Nichts.
Ein Nichts.
Sam seufzte. “Wenn ich die Auroren erwische, die den Dämon gerufen haben, dann… dann…”, in hilflosem Zorn biss er die Zähne zusammen. “Haben sie sich etwa abgesetzt?”, fragte Melissa. Ihre Stimme war rau und sie klang, als hätte sie Jahrzehnte voller Schmerz und Elend erlebt. “Ja.”, erwiderte Sam müde und seufzte erneut. Ich schwieg. Ich hatte seit zehn Minuten kein einziges Wort mehr gesagt. Dabei würde es wohl vorerst auch bleiben.
Fyrtan eiras nymolvyr.
Es war nur ein Flüstern im Wind.
Eine sanfte Brise in einem kalten Sturm.
Erschrocken sahen Melissa, Sam und ich uns um.
Aber da war nichts. Natürlich. Vermutlich wurden wir so langsam verrückt. “Ich muss dann mal.”, Melissa machte den Eindruck, als würde sie gleich einen Nervenzusammenbruch bekommen. Tja. Der würde bei Sam und mir vermutlich auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. “Alles klar. Pass auf, dass du dich nicht zersplinterst, Lissa.”, murmelte Sam. Sie sah ihn an, ein winziges Lächeln huschte über ihr Gesicht, nickte und disapparierte. “Ich geh auch. Die Arbeit ruft. Ich hab da noch so ‘n paar abtrünnige Auroren zur Strecke zu bringen.”, Sam blickte mich an. “Mach das.”, ich musste mich zu einer Erwiderung zwingen. “Kannste dich drauf verlassen!”, knurrte er, seine Miene verhärtete sich. Dann apparierte er, zurück ins Ministerium.
Ich blieb allein in dem eisigen Wind zurück, der heute wieder das Meer aufpeitschte. Aber eigentlich war mir das Recht. Die Kälte hielt mich davon ab, durchzudrehen.
Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, der Wind wurde noch kälter.
“Hast du wirklich geglaubt, ich wäre so leicht zu töten?”
Nein.
Das konnte nicht sein.
Bestimmt litt ich unter Halluzinationen.
Ich würde diese Stimme nie wieder hören.
Der Hauch eines Akzents, dunkel wie die Nacht, kalt.
Und doch weich, sanft und mitfühlend.
Es war unmöglich.
Ich wagte nicht, mich zu rühren, blieb stehen wie erstarrt.
“Al. Sieh mich an. Sieh mir in die Augen. Jetzt.”
Zögernd wandte ich mich jetzt doch um.
Da stand er.
Mit klaren, zweifarbigen Augen, die aschblonde Strähne in der Stirn.
Nein.
Es war unmöglich.
“Ich bin der Meister der Heiligtümer, Al. Und die wurden speziell für den Kampf gegen Dämonen erschaffen. Da glaubst du doch nicht wirklich, dass sie versagen würden? Versagt haben?”, seine Stimme war sanfter.
Endlich fand ich meine Worte wieder. Ich hatte geglaubt, sie wären fort. Waren sie nicht. Er hatte sie mir wiedergegeben. “Warum hast du es uns nicht schon früher wissen lassen?”, flüsterte ich heiser. “Alle dachten - denken - du bist tot. Wir dachten, du bist tot.” Gellert blinzelte, rief mit einem tiefen Atemzug die Heiligtümer zu sich, die sofort, in ihrem Zeichen stehend, hinter ihm in der Luft verharrten. “Das war ja auch der Plan. Die gesamte Welt denkt, ich bin tot. Das Ministerium. Alle. Außer du. Du weißt es jetzt besser. Und bald wissen auch Melissa und Samson es besser.” Jetzt sprachlos starrte ich ihn an, trat zu ihm und gab ihm eine Ohrfeige. Noch eine. Und noch eine. Er zuckte nicht einmal zusammen, sah mich nur mit diesen wunderschönen Augen an, von denen ich geglaubt hatte, sie für immer verloren zu haben. Erst als ich meine Finger nicht mehr spürte, ließ ich die Hand sinken und erwiderte seinen Blick. Blinzelnd senkte er den Kopf. “Jetzt besser?”, fragte er, seine Stimme war gelassen. Keine Spur Vorwurf, Hass oder Zorn. Zur Antwort nickte ich nur. Er seufzte und zog mich zu sich. “Ich hätte es dir früher sagen können. Aber das Problem bei so etwas ist, je mehr davon wissen, desto unsicherer wird es. Und ich musste erst einige Dinge vorbereiten. Vergib mir, Liebster.” “Du hast mich - uns alle - angelogen.”, zischte ich. Darauf ließ er mich los und sah mich an. Schweigend. Das regte mich auf. Sonst wusste er immer was zu sagen war, und jetzt, ausgerechnet jetzt, sagte er nichts! “Du bist nicht wütend auf mich.”, sagte er da. Ganz leise. Ich schüttelte den Kopf. “Nein, Gellert. Das bin ich nicht. Viel schlimmer!” “Ja. Du bist enttäuscht von mir. Weil ich dich wieder verraten habe. Und du weißt, dass ich es wieder tun werde und tun würde.” Seine Worte entsprachen so der Wahrheit, dass ich den Schmerz über seine Lüge wie Flammen in meiner Seele spürte. “Du wirst mich immer wieder verraten.”, antwortete ich leise. “Denn ich bin dir einfach nicht genug wert, um mir die Wahrheit direkt zu sagen.” Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Ohne ein Wort sah er mich an. Zweifarbig in tiefblau. In den Tiefen seiner Augen flackerte es. Aber kein Schmerz. Kein Zorn. Keine Reue. Etwas anderes. Etwas, das ich nicht einsortieren konnte. Noch viel schlimmer als die nicht vorhandene Reue war aber, dass er mir nicht widersprach. “Das ist das Schlimmste.”, murmelte ich. “Was?”, fragte Gellert, jede Emotion war aus seiner Stimme gewichen. “Du widersprichst mir nicht, Gellert! Du widersprichst mir nicht, wenn ich sage, dass ich dir für die Wahrheit nicht gut genug bin! Du. Widersprichst. Mir. Nicht.”, ich konnte meine Enttäuschung nur noch mit äußerster Willenskraft zügeln. “Nein. Tue ich nicht. Sollte ich?” Als er das erwiderte, kam es mir vor, als hätte mir alle Ohrfeigen in drei Sätzen zurückgegeben. “Theoretisch schon.”, ich zwang mich, seinem Blick standzuhalten. “Ich weiß. Und jetzt hör zu. Hör mir zu, Al. Ich habe es dir nicht deswegen nichts gesagt, weil du mir nichts wert bist. Oder zu wenig. Ich habe es getan, weil ich weiß, dass die Auroren jeden einzelnen eurer Schritt beobachten. Die ersten zwei Tage lang haben sie euch überwacht. Jetzt nicht mehr. Ich wollte nichts riskieren.” “Wie edelmütig von dir!”, rief ich und lachte spöttisch. “Soll ich dir jetzt noch einen Merlinorden erster Klasse für dein Handeln verleihen?” Gellert verengte die verschiedenfarbigen Augen zu Schlitzen. “Nein. Sollst du nicht. Albus Dumbledore, manchmal bist du wirklich grauenhaft. Weißt du eigentlich, was ich opfern musste, um gegen den Dämon zu gewinnen?”
“Nein! Aber du wirst’s mir doch sicher sagen?”, ich taxierte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.
Er schluckte. “Werde ich.”, antwortete er, ohne auf meinen Spott einzugehen. “Ich kann nie wieder einen Patronus rufen. Nie wieder. Die Schwarzmagie hat ihn zerstört.”
Oooookay. Ich hatte mit vielem gerechnet. Mit allem möglichen. Aber nicht damit. “Was?”, flüsterte ich, konnte das Entsetzen in meiner Stimme nicht verhindern.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt