62. Kapitel (Gellert): Die Forderung

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Vier Wochen später…

Es waren friedliche Zeiten. Natürlich war mir bewusst, dass ich vor vier Wochen nicht jeden meiner 'Anhänger' getötet hatte. Denn es waren insgesamt eintausend gewesen und ich hatte gerade mal einhundertfünfzig erwischt. Aber es war besser als gar nichts, beschloss ich. Gerade stand ich mit Albus neben mir am Rand von Nurmengards Vorhof und sah auf die glitzernden, schneebedeckten Berge der Alpen. Albus hatte den Kopf an meine rechte Schulter gelehnt und die Augen halb geschlossen. "Es ist jetzt seit Wochen still.", murmelte er. "Glaubst du, deine 'Anhänger' legen nochmal so was ähnliches wie vor vier Wochen hin?" Zur Antwort zuckte ich mit der linken Schulter. "Keine Ahnung. Das Zweite Gesicht schweigt darüber. Die letzte Vision die ich hatte, war die mit dem Todesfluch.", gab ich zurück. Ihn schauderte es. Die letzte Vision. Wir sprachen nicht oft darüber. Eigentlich gar nicht. Lieber die Zeit nutzen, die wir noch hatten, bis die Vision sich bewahrheiten würde. "Schade, dass du sowas nicht beeinflussen kannst. Wann du von was Visionen hast.", sagte er. Ich lachte kurz auf. "Was glaubst du, wie oft ich mir das schon gewünscht habe? Entscheiden zu können, von was ich die Vision habe. In der Regel zeigt mir das Zweite Gesicht fast alle, wichtigen Dinge. Aber in gewissen Dingen, warum auch immer, tut es das nicht. Ich habe zum Beispiel nicht gesehen, dass Gina... entführt wurde." "Rätselhaft. Naja, aber das Zweite Gesicht ist ein wenig erforschtes Gebiet unserer Welt." "Klar. Das ist das 'Vermächtnis' der Gilde der Sehenden, wenn du noch weißt, wer sie waren.", für einen Moment unterbrach ich mich und sah ihn an. Die Gilde der Sehenden. Jene Hexen und Zauberer, mit dem Zweiten Gesicht, die einst wie Götter verehrt wurden. "Natürlich weiß ich es noch. Erzähl weiter. Wie meinst du das mit dem 'Vermächtnis'?", fragte er. "Nun, als die Gilde der Sehenden bereits begann, auf den dunklen Pfaden der Lüge zu wandeln, wurde ihnen bewusst, dass die anderen Hexen und Zauberer nichts über das Zweite Gesicht wissen durften. Denn sonst hätten sie rasch herausgefunden, dass niemand, der das Zweite Gesicht hat, zu jeder Frage, die ihm gestellt wird, eine Vision hat oder hatte. Oder dass das Zweite Gesicht niemals zu allem eine Vision schickt, sondern nur meistens. Meistens, aber nicht immer." "Ach!", Albus hob den Kopf und blickte zu mir. "Und weil die damals dieses - und vermutlich noch mehr? - Wissen über das Zweite Gesicht verschleiert haben, fehlt uns heutzutage eine große Bandbreite." "Ich gebe dir in allen Punkten Recht. Zum einen darin, dass uns allen eine große Menge Wissen über das Zweite Gesicht fehlt, als auch darin, dass die Gilde der Sehenden vermutlich noch mehr Wissen verschleiert hat. Tja, und wofür der ganze Aufwand? Damit die anderen Mitglieder der Zaubererwelt damals schön ehrerbietig und untertänig waren.", verächtlich warf ich den Kopf hoch. "Der Fluch", begann er nachdenklich "den die Hexe damals ausgesprochen hat... Weiß man heute, welche Formel das war?" "Soweit ich weiß - und soweit mein Wissen darüber reicht, reicht auch das der Bücher - war es ein wortlos ausgeführter Fluch. Heute ist anzunehmen, dass sie die Formel nur gedacht und nicht laut ausgesprochen hat.", antwortete ich. "Es muss auf jeden Fall ein mächtiger Fluch gewesen sein. Wenn er in der Lage ist, Menschen die Realität verlieren zu lassen.", stellte er leise fest. "Das definitiv.", ich lächelte bitter. Er sah mich entschuldigend an, doch ich schüttelte den Kopf. "Es gab im Übrigen schon etliche, die versuchten, den Fluch wieder aufzuheben. Aber niemandem ist es gelungen. Eben weil die Formel unbekannt ist, ebenso die genaue Kategorie, zu der der Fluch gehörte.", fuhr ich fort. "Mhm.", er strich sich nachdenklich seine rot-braunen Strähnen zurück. "Also ich würde ja sagen, er gehört zu einer ausgestorbenen Kategorie. Es gibt Zauber, die Einfluss auf unsere Träume nehmen. Und im Prinzip ist eine Vision ja nichts anderes als ein Traum von der Zukunft.", er sah mich abwartend an, ich nickte. Nach kurzem Zögern sprach er weiter: "Die Kategorie der Zauber und Flüche, die unsere Träume beeinflussen, hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Früher gab es eine Hauptkategorie und mehrere Unterkategorien. Ich denke, bei diesem Fluch könnte es sich um einen Fluch aus der, inzwischen vergessenen und ausgestorbenen, Unterkategorie 'Überlagern der Realität' handeln. Früher haben die Heiler damit gearbeitet, um Patienten mit starken Schmerzen die Heilung zu erleichtern. Aber ich denke, wenn man einen solchen Zauber aus dieser Kategorie nehmen würde, ihn verstärken, leicht abändern und noch irgendetwas hinzugefügen würde, damit er das Zweite Gesicht beeinflusst, hätten wir unseren Fluch." "Man merkt, dass du Verteidigung gegen die dunklen Künste und Zauberkunst unterrichtest, Liebster.", neckte ich ihn. "Ich weiß.", er grinste mich an. "Und man merkt, dass du viel zu viele Bücher über alle möglichen Dinge gelesen hast." "Ich weiß.", ich grinste auch. "Die Frage ist nur", sagte ich dann "welcher der Flüche aus dieser Unterkategorie es war. Allerdings wird das wohl ziemlich schwer festzustellen sein, wenn sich seit ungefähr 1 200 Jahren unsere besten Experten daran die Zähne ausbeißen." "Das ist es ja. Ich glaub, so weit wie wir gerade sind, waren die auch schon.", murmelte er. Da war etwas Seltsames in seiner Stimme. Als hätte die Tatsache, dass er nicht in der Lage war, herauszufinden, was es mit dem Fluch auf sich hatte, sein Selbstbewusstsein ein gutes Stück niedergerissen. "Al?", fragte ich sanft, löste mich von seiner Seite und zwang ihn, mir in die Augen zu sehen.
Er schluckte und richtete den Blick zu Boden.
"Was ist?", setzte ich genauso leise hinzu. "Nichts.", flüsterte er. "Oh doch.", widersprach ich ihm. "Sag schon." Darauf zögerte er, kämpfte offensichtlich mit sich. Ich wartete. Schließlich erwiderte er, immer noch ohne mich anzusehen: "Es... Es kommt mir nur so vor, als... würde ich dich im Stich lassen, wenn nicht... Wenn ich nicht herausfinde, wie der Fluch des Zweiten Gesichts aufgelöst werden kann.", sagte er schließlich fast lautlos. "Unsinn.", hielt ich gegen, hob seinen Kopf höher und küsste ihn. Seine Lippen waren eiskalt. "Die größten Zauberer die es je gegeben hat, suchen seit ungefähr einem Jahrtausend nach einem Weg, den Fluch des Zweiten Gesichts aufzulösen. Vielleicht gelingt es ihnen in zehn Jahren. Vielleicht morgen, vielleicht aber auch erst in hunderten von Jahren. Es ist nicht deine Alleinverantwortung, des Rätsels Lösung zu finden. Und wenn du mich fragst, wird der Fluch nie wieder verschwinden. Er ist die Schwelle, die die Träger des Zweiten Gesichts davon abhält, ihre 'Gabe' zum Falschen zu benutzen. Natürlich kann man immer noch lügen. Aber der Fluch fordert sein Tribut. Egal, ob Lüge oder Wahrheit. Glaubst du wirklich, jemand der lügt findet die reine Liebe? Nein. Denn auch wenn nicht jeder ein Gespür für menschliche Emotionen hat, so ist es auch so möglich, einem Menschen die Lüge von den Augen abzulesen. Der Fluch ist die Warnung an alle. Er ist die ständige Erinnerung daran, wozu es führen kann, wenn wir unsere Fähigkeiten für das Falsche benutzen. Die Liebe, die den Fluch aufhält, muss von beiden Seiten ehrlich sein. Kann das jemand, der über die Wahrheit der Visionen lügt? Nein. Der Fluch, Al, bindet die Träger des Zweiten Gesichts an das Wissen, dass sie die Realität verlieren werden, wenn sie nicht eine reine Liebe finden. Und die kleinste Lüge über die eigene Visionen reicht aus, um die Liebe zu trüben. Und somit, um den Fluch wieder zurückkommen zu lassen.", sagte ich, als ich mich von ihm löste. Meine Worte waren leise, sanft wie Schneeflocken. Albus' Augen weiteten sich für einen Moment. "Sicher?", fragte er dann. "Zu einhundert Prozent. Mehr, als das.", antwortete ich und legte meine Hand an seine Wange. Er schloss die Augen und genoss meine Berührung. "Weiter.", hauchte er. Ich wusste, was er meinte. Mit einem leisen Lächeln fuhr ich die Konturen seiner Lippen nach. Dann neigte ich mich zu ihm, zog meine Hand zurück und küsste ihn auf die Stirn, wanderte zu seinen Lippen hinab. Mit einem fast lautlosen Seufzen wandte er mir den Rücken zu und lehnte den Kopf gegen meine Schulter. Ein weiteres, leichtes Lächeln spielte um meine Mundwinkel. Dann neigte ich mich zu ihm und bedeckte seine Kehle mit sanften Küssen. Ihn schauderte es, seine Augenlider flackerten. "Du machst mich wahnsinnig.", flüsterte er. "Das ist mein Spezialgebiet.", gab ich ebenso leise zurück. Federleicht strich ich mit meinen Lippen über seine. Als ich mich dann von ihm zurückzog, blinzelte er und sah mich an. "Gellert, wenn du mich nicht gleich küsst, dann... Vergiss es. Mach einfach."
"Zu Befehl.", ich grinste leicht, näherte mich ihm wieder und küsste ihn. Sofort erwiderte Albus den Kuss mit einer Sehnsucht, die meiner genau entsprach.

Eine halbe Stunde später war Melissa da. Mit schrecklichen Neuigkeiten. "Coral Everdal lässt es ganz groß verkünden, Albus.", begann sie mit Grabesstimme und lief vor ihm hin und her. "Was denn?", der angstvolle Unterton ließ seine Stimme zittern. Da blieb sie stehen und seufzte. "Sie wird Hogwarts bis auf die Grundmauern niederbrennen, wenn du nicht das tust, was sie sagt." Offenbar sprachlos starrte Albus sie an, rang nach Worten, ich trat zu ihm und drückte ihn sanft an mich. Er schluckte heftig, seine Augen flackerten und er senkte den Kopf. "Was... Was will sie denn?", presste er hervor. Melissa verengte ihre grünen Augen zu Schlitzen. Ich spürte ihren Hass. Ihren Hass auf Coral Everdal. "Sie will, dass du morgen um 16 Uhr in den Wald von Hogsmeade kommst, an die Stelle, an der an dem Tag die Auroren ermordet wurden. Dort sollst du dich stellen." "Tu das nicht.", sagte ich sofort. Darauf hob er langsam den Blick, ich konnte die Qual darin kaum ertragen. "Ich muss.", flüsterte er. "Sie hat jede Wette einen Hinterhalt geplant.", hielt ich dagegen. "Warum sollte sie? Wenn sie mich hat, hat sie alles, was sie will.", er warf den Kopf zurück und lachte. Ein bitteres Lachen. "Es ist Coral Everdal.", sprang Melissa mir bei. " 'Warum sollte sie?' ist bei ihr keine relevante Frage! Sie hasst dich aus tiefstem Herzen. Sie hat meinen Bruder vergöttert. Und Travers auch. Albus, nein! Gellert hat Recht!" "Aber ich kann nicht! Ich muss, Melissa! Wenn ich's nicht tu, dann... bin ich dran Schuld wenn Hogwarts nach über tausend Jahren zerstört wird. Und ich glaub kaum, dass Coral Everdal drauf achten würde, ob rein zufällig ein paar Schüler sterben. Oder sonst irgendjemand.", die Verzweiflung schwang nun hörbar in seinen Worten mit. Melissa sah ihn schweigend an und kaute auf ihrer Unterlippe. Dann warf sie mir einen Blick zu. Ich seufzte. "Gellert, bitte!", flehend blickte er mich an, ich sah seine Tränen. "Bitte. Du... Versteh es doch! Versuch es wenigstens!" Ich seufzte erneut. "Es ist deine Entscheidung, Al-Liebster. Geh. Geh, wenn du so überzeugt davon bist. Ich werde dich nicht aufhalten. Unter einer Bedingung.", ich machte eine Pause.
"Ja? Welche?", fragte er leise.
Darauf fixierte ich seine blauen Augen mit meinen zweifarbigen. "Wenn es auch nur ein bisschen verdächtig wirst, rufst du mich sofort. Wir haben vor einiger Zeit eine wunderbare, telepathische und okklumentische Bindung zwischen unseren Gedanken erschaffen. Nutze sie. Ich werde dich hören, egal wie leise du sprichst."
"Mach ich. Versprochen.", sagte er. Doch ich schüttelte den Kopf und flocht meine Finger zwischen seine, auf die gleiche Art wie damals, als wir den Blutpakt erschaffen hatten. "Versprechen ist zu wenig.", flüsterte ich ihm ins Ohr. Er schluckte erneut. "Was dann?", fragte er heiser. Auf seine Frage schob ich den Kopf noch näher an ihn heran, sodass meine Lippen ihn beinahe berührten. "Schwöre es mir, Liebster. Wie du es bei dem Blutschwur getan hast, mon amour. Ich habe dich schon einmal verloren. Das wird nicht wieder passieren.", für einen Moment zögerte ich, bevor ich fortfuhr: "Ich habe schon Gina verloren, Al. Lass bitte nicht zu, dass ich dich auch noch verliere." "Okay.", antwortete er leise. "Ich schwöre dir, Gellert Grindelwald, unseren telepathischen Bund zu benutzen, sobald auch nur der Hauch einer Gefahr zu erkennen ist." "Wunderbar.", gab ich zur Antwort und zog mich von ihm zurück. "Das wollte ich hören."
Dann küssten wir uns ein weiteres Mal. Und in dem Moment, in dem wir uns voneinander lösten und mit Melissa über weitere Dinge aus dem Ministerium zu sprechen begannen, drängte sich ein Gedanke mit aller Macht in den Vordergrund:
Die. Vision.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt