67. Kapitel (Albus): Machtlos

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Vier Tage später…

Es war seltsam. Es war, als hätte Gellert getan, was er früher getan hatte.
Eine Mauer erbaut, zwischen sich und mir.
Es war nicht so, dass er wieder kalt zu mir war.
Es war nicht so, dass er mir nicht sagte, dass er mich liebte. Nein. Eigentlich war er wie in den Monaten zuvor. Und doch... anders. Auf irgendeine Art und Weise distanziert. Ich konnte seine Gefühle nicht mehr aus seinem Blick lesen. Außerdem schien er unter einer ständigen Anspannung zu stehen, fast so, wie vor einiger Zeit, als er mir den Inhalt seiner letzten Vision verheimlicht hatte. Aber anders. Eine andere Art von Anspannung.
Gerade war es wieder so. Eigentlich standen wir nebeneinander am Geländer von Nurmengards Vorhof und dennoch kam es mir so vor, als wäre er wo ganz anders. Als würde ein Schleier uns trennen. Seine zweifarbigen Augen blickten ins Leere, ich sah die angespannten Muskeln in seinen Schultern. Den Kopf hielt er hocherhoben. Nachdenklich musterte ich ihn weiter von der Seite und beschloss dann, ihn zu fragen. "Gellert, wie lange willst du dieses Spielchen noch spielen?", fragte ich.
"Welches Spielchen?", fragte er zurück, ohne seinen Blick von den funkelnden Berggipfeln der österreichischen Alpen zu lösen.
"Du weißt, was ich meine.", murmelte ich. Zur Antwort senkte er leicht das Kinn. Ha, er wusste also ganz genau, wovon ich sprach! "Sagst du's mir?", fuhr ich fort.
Er warf den Kopf noch ein bisschen höher und strich sich mit einer Hand die aschblonde Strähne aus dem Gesicht. "Ich könnte.", antwortete er leise. "Allerdings...", er beendete den Satz nicht, seine Aura wallte so heftig auf wie schon lange nicht mehr. Dann flüsterte er: "Ich werde versagen." Damit stieß er sich ab, mit einer einzigen, eleganten Bewegung und ging. Verständnislos blieb ich stehen und starrte ihm genauso verständnislos hinterher.
"Hei je. Was ist denn bei euch los?", Melissa war disappariert, stand nun plötzlich neben mir, die Hände in die Hüften gestemmt. "Gute Frage.", sagte ich. "Keine Ahnung. Frag ihn, nicht mich." Sie schnalzte mit der Zunge, als wollte sie mich tadeln. Ich wandte mich zu ihr um. Ihre grünen Augen waren hart, wie immer, seit Sam gestorben war, doch ich sah den versteckten Schmerz in ihren Tiefen. "Albus, du hast da echt falsche Taktiken. Also üblicherweise läuft man ihm jetzt nach und zwar so lange, bis er mit der Sprache rausrückt. Und wenn du alle zehn Sekunden 'Was ist?' 'Was ist?' sagen musst."
"Ich renn ihm ganz sicher nicht nach.", gab ich zurück. "Wenn er's mir nicht sagen will, ist das ganz allein seine Sache." Melissa verdrehte die Augen. "Kein Wunder, dass ihr zwischendrin Feinde wart.", brummte sie. "Wie bitte?", ich riss den Kopf hoch. Ihre grünen Augen bohrten sich mit der Härte von Diamant in meine. "Albus!", zischte sie. "Ich weiß ja nicht, wie das bei euch ist, aber wenn ich jemanden liebe, dann kämpfe ich um ihn und lass nicht zu, dass Geheimnisse unsere Bindung zerstören.", Schmerz flackerte in ihrem Blick. "Auch wenn Sam und ich nie Geheimnisse voreinander hatten, weil es nie dazu kam! Verdammt nochmal, weißt du eigentlich was für ein unverschämt verfluchtes Glück du hast?! Gellert liebt dich so sehr, dass er seine Schwester hinter dir angereiht hat! Er ist für dich von den Toten auferstanden! Er hat Morde begangen, die er nie hätte begehen müssen, wenn er nicht unbedingt dich hätte beschützen wollen! Er hat alles für dich getan. Und so bedankst du dich? Wie Sam auch, er hat auch alles für dich getan! Sam ist für euch gestorben, ist dir das überhaupt klar!? Er ist gestorben, weil er Gellert rächen wollte! Weil er wusste, dass es dich sonst zerreißen würde! Deshalb hat die Auroren aufgespürt! Deshalb ist er gestorben! Ist dir das klar?! Ist. Dir. Das. Klar?! Wirf dieses Opfer nicht weg, indem du Gellert jetzt so gehen lässt. Was würde er jetzt an deiner Stelle tun? Mh? Los, sag! Du weißt es! Was würde er tun?" Zorn und Schmerz ließen ihre waldgrünen Augen brennen, mit Flammen der Bitterkeit um das, was sie nie würde haben können. Ich schluckte.
Sie hatte Recht.
Wäre ich an Gellerts Stelle, so wäre er jetzt schon fünfmal bei mir und würde nachhaken, bis meine Mauer brach und ich ihm sagte, was los war. Warum tat ich nicht das Gleiche für ihn? "Ja. Du hast ja Recht. Es tut mir leid.", ich seufzte schuldbewusst. Melissas Augen sprühten Funken. "Sag das nicht mir. Ab! Los, husch!", sie scheuchte mich weg. Ja, war ja schon unterwegs. Weiterhin mit einem unterirdisch schlechten Gewissen lief ich los.
Die Frage war nur, dachte ich, während ich mich auf den Weg machte, woher sollte ich wissen, wo Gellert war? Theoretisch müsste ich ihn spüren, so, wie er mich spürte. Schließlich waren unsere Seelen aneinander gebunden. Okay. Ruhig. Mit Hektik kam ich hier nicht weit. Denk nach., sagte ich mir. Das tat ich.
Endlich.
Wie ein Blitz traf mich die Erkenntnis, wo er war. Sofort machte ich mich auf die Socken. Nichts wie hin, bevor ich zu spät kam und Gellert wusste Merlin was für Schlüsse ziehen würde.
Tatsache.
Da stand er.
Am Fenster, die Ellenbogen auf die Fensterbank und den Kopf in die Hände gestützt. Als er meine Schritte hörte (vielleicht spürte er mich auch), wandte er mir den Kopf zu. "Albus.", seine Stimme war rau. "Was willst du?" Ich zuckte die Schultern und stellte mich neben ihn. Er ließ es zu, was ich als gutes Zeichen nahm. "Lissa hat gesagt, dass Sam... für mich - für uns - gestorben ist.", sagte ich nach einigen Sekunden Stille. "Ist er ja auch.", Gellert nahm einen Arm weg und zog den Elderstab, legte ihn auf die Fensterbank. Tat er es wegen mir? Merlin... Bitte nicht! "Aber warum? Warum hat er das gemacht? Er hätte... es nicht... tun sollen. Tun müssen. Tun dürfen.", scheu betrachtete ich ihn von der Seite, wie ich es einige Minuten zuvor schon getan hatte. "Weil ihm das Ganze sein Leben wert war. Er wusste nicht, dass ich noch lebe. Aber wenn du mich fragst, hat er das geglaubt. Weil er geglaubt hat, dass ich nicht so leicht zu töten bin.", er stieß kaum hörbar den Atem aus, wie eine Spur von Verachtung. Nicht für Sam, nicht für sich selbst. Aber für mich. Erneut schwiegen wir kurz. Dann fragte ich flüsternd: "Gellert?"
"Was?"
Zögernd suchte ich seinen Blick, doch er weigerte sich, mich anzusehen. "Warum bist du... von den Toten zurückgekommen?" Endlich sah er mich an, ein seltsames Gefühl umwölkte seine Augen. "Wegen dir natürlich. Denn ich wusste, es würde dich zerstören, wenn ich es nicht wenigstens versuchen würde. Wenn ich die Möglichkeit des Zurückkommens ungenutzt lassen würde.", antwortete er. Ich nickte langsam. "Da hast du Recht." Hatte er. Denn es würde mich zerstören. Es schmerzte so oder so schon, ihn so zu sehen, wie er gerade war. "Aber jetzt sag", fuhr er fort "warum bist du mir gefolgt? Doch sicher nicht, um mich das zu fragen, was du mich gefragt hast." Nein, natürlich nicht. "Nein.", ich konnte beim besten Willen nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. "Natürlich nicht. Ich... Hör zu, ja?"
Abwartend blickte er mich an und der dunkle Schmerz in seinen zweifarbigen Augen zerriss mir das Herz. "Ja. Sprich."
"Es tut mir leid. Du kannst das viel besser als ich. Beharrlich sein, mein ich. Weißt du noch, wie ich mich damals mit meinem Bruder gestritten hab, es dir nicht sagen wollte und du aber so lange gefragt hast, bis ich's dir gesagt hab?" Ein winziges Lächeln zuckte um seine Lippen. "Natürlich weiß ich das noch.", murmelte er und wartete, dass ich weitersprach. Ich holte tief Luft. "Du hast... vorhin was gesagt... Du hast gesagt: 'Ich werde versagen'. Es... Wie hast du das gemeint?"
Schlagartig wurde sein Blick um mindestens zehn Grad kühler. "Das? Nichts.", abwehrend schüttelte er den Kopf. "Gellert? Sicher?", hakte ich nach. Zitternd atmete er aus. "Ja." Jetzt war es an mir, den Kopf zu schütteln. "Das glaub ich dir nie im Leben.", stellte ich klar. Für einen Moment presste er die Lippen so fest aufeinander, dass sämtliches Blut aus ihnen wich. Doch er schwieg.
"Gellert, bitte.", flüsterte ich flehend und streckte die Hand aus. Vorsichtig strich ich ihm seine helle Strähne aus der Stirn. Er wehrte sich nicht, biss sich stattdessen auf die Lippe, dachte offensichtlich nach. Nach endlosen Sekunden senkte er ergeben den Kopf. "Also gut.", sagte er leise. Fragend suchte ich erneut seine Augen und dieses Mal hielt er meinem Blick stand. "Wie ich dir vor einigen Tagen schon gesagt habe... Wir werden uns duellieren müssen. Bald. Vielleicht dieses Jahr, vielleicht nächstes. Vielleicht auch erst in sechs Jahren. Aber wir werden es tun." Schmerz verzerrte für einen Moment seine Gesichtszüge. Ich sah die Qual in seinen Augen und mir wurde alles klar.
'Ich werde versagen.'
'And I was by your side, powerless.'
Er hasste sich dafür, dass er unser Duell nicht würde verhindern können. Machtlos. Ja, er musste sich so unendlich machtlos vorkommen, nicht verhindern zu können, dass wir unsere Zauberstäbe ein weiteres Mal gegeneinander erhoben. "Es ist doch nicht deine Schuld, Gellert."
"Ach nein? Al, lass es! Es ist meine Schuld! Schließlich habe ich erst dafür gesorgt, dass wir uns überhaupt duellieren müssen!", erwiderte Gellert. Seine Worte waren hart, fast zornig, aber ich wusste, dass er nur seinen Schmerz überspielen wollte. "Kann sein. Aber du hast dich geändert, Gellert. Nur das Ministerium ist zu blind, um das zu sehen.", widersprach ich ihm sanft. "Wenn du das sagst.", gab er zurück und wandte den Kopf ab.
"Gellert, sieh mich an.", verlangte ich. Leise, aber beharrlich. Nach einigen Atemzügen blickte er wieder zu mir. Kurzentschlossen zog ich ihn an mich heran und küsste ihn.
Nicht er war Schuld.
Sondern das Ministerium.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt