96. Kapitel (Gellert): Das Ende

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1 Jahr später

Es traf mich wie ein Blitz.
Wie ein stechender, brennender Schmerz in meiner Seele.
Ich zuckte zusammen, blinzelte und seufzte.
Er war tot.
Der Schmerz, den ich spürte, war der Todesfluch gewesen.
Er war tot.
Ein Zittern schüttelte mich, ich sog den Atem ein und schloss die Augen. Das kalte Nass meiner Tränen kitzelte mich.
Ich hatte es gesehen, ich hatte gesehen, was passieren würde. Dennoch war der Schmerz in mir wie ein alles verzehrendes Feuer. Er durfte nicht tot sein, er konnte nicht tot sein! Nicht er! Hass durchflutete mich. Hass auf Voldemort. Oh ja, sollte er nur zu mir kommen. Sollte er., dachte ich und lächelte grimmig. Komm nur her. Dann führe ich dich in deinen Tod, wie du es mit Albus getan hast!
Denn egal, ob er den Elderstab trotz meiner Lüge finden würde, er würde ihm nicht dienen. Und das war die Hauptsache. Mein Schmerz war wie tausende von winzigen Tropfen, die in den ruhigen See meiner Seele perlten. Tausende von Tropfen. Millionen. Milliarden. Sie peitschten den See auf, ließen Wellen entstehen, Flammen auflodern. Hass. Unendlicher Hass. Ich stand auf und trat an die Gitterstäbe. Mein Gespür meldete etwas. Oder viel mehr jemand, der kam.
Lissa.
"Hallo Lissa.", sagte ich leise, als sie vor den Gittern stehen blieb. "Hallo Gellert.", murmelte sie und strich sich eine Strähne ihres schneeweißen Haars hinter ein Ohr. "Weißt du's?", fragte sie. Darauf lachte ich freudlos. "Natürlich. Ich habe es fast schon gespürt, wie der Todesfluch ihn getroffen hat." "Au.", sie verzog das Gesicht und grinste schwach, eher traurig als alles andere. "Habt ihr euch vorher nochmal gesprochen?", fuhr sie fort. "Nein. Ich habe zu ihm gesagt, er solle nicht mehr wiederkommen. Letztes Jahr. Daran hat er sich gehalten. Und was das Band betrifft... Denkst du, er hat es auch nur ein einziges Mal versucht?", ich schüttelte den Kopf. "Nicht einmal, oder?", wollte sie wissen. "Nein.", ich seufzte. "Aber jetzt sage, warum bist du hier? Doch sicher nicht deswegen.", setzte ich hinzu und sah sie an. Ihre grünen Augen waren müde. "Nein. Ich hab... eine Bitte an dich. Aber sie wird dir nicht gefallen...", Lissa zuckte die Schultern. "Sag schon. Schlimmer als das... der Schmerz... Schlimmer als das kann es nicht sein.", ich schlang die Arme um mich selbst und musterte sie. Sie nickte. "Okay. Dann... sag ich es.", sie zögerte. "Bring mich um."
"Was?", fragte ich. "Du hast richtig gehört.", bestätigte sie. "Lissa, das kann ich nicht. Ich kann keine Magie wirken.", erinnerte ich sie. "Doch, kannst du. Die Armbänder funktionieren nicht mehr. Das hast du mir selbst gesagt.", widersprach sie. Ich biss mir auf die Lippe. "Stimmt. Aber warum?" "Ich halt es nicht mehr aus.", flüsterte sie. "Gellert, bitte! Ich kann nicht mehr." "Denkst du ich kann noch?", antwortete ich rau. "Aber ich muss. Sonst wird Voldemort den Elderstab zu schnell finden." "Siehst du. Du hast noch einen Grund, weiterzumachen.", murmelte sie. "Du nicht?", gab ich zurück. Müde schüttelte sie den Kopf. "Nein. Sam ist tot, Irena ist tot, Sean ist tot, Albus ist tot, Voldemort ist wieder an der Macht... Was soll ich da noch?" "Kämpfen?", schlug ich vor. "Ha! Das Ministerium hat mich ersetzt. Sie brauchen mich nicht mehr. Niemand braucht mich mehr. Bitte!", flehentlich starrte sie mich an. Nachdenklich erwiderte ich ihren Blick und biss mir noch fester auf die Lippen. "Na gut. Soll ich dich nachher noch auflösen? Damit du nicht hier rumliegst?" "Das wäre optimal.", Lissa nickte. "Gut. Dann mach die Augen zu. Ich werde Avada Kedavra nonverbal benutzen. Gesprochen wäre es zu laut.", bestimmte ich. Sie blinzelte mehrmals, strich sich sorgfältig die Haare aus dem Gesicht und schloss die Augen. Zauberstablose Magie war schwer, es gab in der Regel nur bestimmte Zauber, die nonverbal eingesetzt werden konnten. Nur sehr begabte Zauberer konnten auch eigentlich laut gesprochene Zauber wortlos benutzen. Zum Beispiel Albus und ich. Voldemort leider auch. Tja. Mit einem Seufzen konzentrierte ich mich jetzt auf den Zauber. Avada Kedavra!, ich dachte es nur, flehte meine Magie an, mir noch dieses eine Mal zu gehorchen. Tat sie.
Aus dem Nichts kam der grüne Blitz, fuhr lautlos zwischen den Gitterstäben hindurch und traf Lissa. Sie lächelte kurz und brach dann tot zusammen. Ich schluckte, rief noch einmal meine Magie an und ließ ihre Leiche verschwinden, zerfallen, wie ich es vor vielen Jahren mit Vinda getan hatte. Dann wich ich an die Wand zurück, ließ mich nieder und vergrub das Gesicht in den Händen. Tot. Jetzt waren sie alle tot. Albus, Sam, Lissa, Sean. Nur ich nicht. Warum ich? Warum ausgerechnet ich? Keiner der vier hätte vor mir sterben müssen! Vor mir sterben dürfen. Ich hätte als aller erstes von uns fünf sterben müssen. Weil ich es so verdient hatte. Tja. Aber hier war ich. Und hier werde ich bleiben, bis Voldemort mich tötet!, dachte ich bitter. Jaaah, komm nur. Komm nur, Tom Vorlost Riddle. Komm nur her. Du willst den Elderstab, du kriegst ihn. Aber du wirst nie sein Meister sein! Sollte er mich töten. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. "Gina.", flüsterte ich in Nurmengards Dunkelheit. "Gina, bitte. Sag mir, dass du noch wartest." Kurz hallte ein klares, glockenhelle Lachen durch die Finsternis. "Immer, mein Lieblingsbruder.", erklang ihre sanfte Stimme. Ein Lächeln zuckte um meine Lippen. "Du hast nur einen.", murmelte ich. Ein weiteres, fernes Echo ihres Lachens. Dann war da wieder die Stille. Ich seufzte.
Plötzlich war da... Licht. Funken. Gesang.
Fawkes. Der Phönix flog zu mir, hüpfte zwischen Stäben hindurch, dann zu mir und stupste mich an. "Hey Fawkes.", flüsterte ich und strich ihm vorsichtig über die Federn. "Du kommst mich besuchen?" Fawkes sang. Ich nahm das als ein Ja. "Das ist aber schön. Du hast es auch gesehen, oder?", fragte ich. Fawkes gurrte und ich spürte seine Gedanken an meinen.
Bilder.
Albus, von Schmerzen geplagt.
Der junge Malfoy, totenblass, zitternd.
Harry Potter, erschrocken, angsterfüllt.
Severus Snape, Albus' Doppelagent, entschlossen zückte er den Zauberstab und sprach die Worte: "Avada Kedavra!"
Bellatrix, lachend, triumphierend.
Wieder Harry Potter, ungläubig, verzweifelt.
Dann wieder Albus, wie er fiel, das Licht des Lebens erlosch in seinen unendlich blauen Augen. Das letzte Wort schwebte um seine Lippen. 'Gellert.'
Ich blinzelte. Meine Tränen tropften zu Boden, ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand das Herz aus der Brust gerissen. Fawkes schnurrte und schmiegte sich an mich, ich schluckte heftig. "Danke, dass du es mir gezeigt hast. Voldemort wird nicht gewinnen. Das verspreche ich dir. Und ihm. Allen.", ließ ich den Phönix wissen. Fawkes gurrte erneut und hüpfte auf meinen Schoß. Dort kauerte er sich hin wie in einem Nest und spreizte einen seiner Flügel. Dann schob er den Kopf vor und riss sich eine Feder aus. Mit der Feder im Schnabel erhob er sich, hüpfte vor mich und hielt mir die Feder hin. Behutsam nahm ich sie. Sie glühte leicht, strahlte Wärme ab, Asche klebte daran. "Ich danke dir.", sagte ich leise und senkte den Kopf. Fawkes begann wieder zu singen, stupste mich ein letztes Mal und hüpfte dann davon. Außerhalb meiner Zelle verharrte er und musterte mich mit seinen großen, dunklen Augen. "Sag Albus, dass ich ihn liebe.", bat ich. Der Phönix schnurrte leise und schwang sich wieder in die Luft. Funken spritzten, Licht flackerte, als er davonflog. Er würde nie wieder zurückkommen. Mit einem Seufzen richtete ich den Blick auf die Feder in meiner Hand. "Er wird nicht gewinnen! Er kann nicht gewinnen! Dieser Zauberstab wird nie und nimmer ihm gehören!", zischte ich. Dann riss ich meine Selbstbeherrschung ein und meine Tränen flossen. Sie tropften auf meine Hand, vermischten sich mit der Asche. Mit jeder Träne wuchs meine Entschlossenheit, noch eine letzte Tat zu vollbringen. Erst dann würde ich gehen.

1 Jahr später

Gelangweilt saß ich da. Seit einer halben Stunde erwartete ich das Kommen des Dunklen Lords. Inzwischen kannte ich die Anzahl der Gitterstäbe vor meiner Zelle auswendig, dennoch begann ich wieder von vorne. Sieben Stück waren es. Sowohl vorwärts als auch rückwärts. Sowohl von links als auch von rechts. Auch wenn ich einige wegließ und erst im Anschluss wieder dazuzählte. Es blieben sieben Stäbe aus Metall. Meine Armbänder waren immer noch nicht wieder funktionsbereit. Aber mir war das ganz Recht. Inzwischen hatten wir Anfang, fast schon Mitte 1998. Vor hundert Jahren war Gina gestorben. Und ich war seit neunundneunzig Jahren in Albus verliebt. Daran würde sich nichts ändern. Nicht in diesem Leben und auch später, im Reich der Toten, nicht. Ich seufzte und strich mit einem Finger über Fawkes' Feder. Natürlich hatte ich sie immer noch und sie glühte und war noch genauso warm wie vor einem Jahr. Das war eine gute Hilfe, wenn der Abgrund in meiner Seele wieder nach mir griff. Der Fluch tat nichts. Manchmal wagte er einen Vorstoß, doch wenn ich ihm mit meiner mentalen Stärke drohte, zog er sich wieder zurück. Warum? Vermutlich, weil meine Liebe zu Albus so rein war, wie nur irgendwie möglich. Meine Reue zerriss mich, mein Hass zerriss mich, meine Sehnsucht zerriss mich. Doch ich hielt stand, denn ich hatte nicht vor, daran zu zerbrechen. Nicht noch einmal.
Auf einmal zuckte ich zusammen und ließ Fawkes' Feder sinken. Mein Gespür meldete mir pure Schwarzmagie, so ähnlich wie damals bei den Dämonen. Das war dann wohl eindeutig Lord Voldemort, der Dunkle Lord, beziehungsweise Tom Vorlost Riddle. Hach ja. Endlich. Als er in einem Wirbel aus Dunkelheit vor mir auftauchte, zog ich nur die Augenbrauen hoch. "Ich habe erwartet, dass du kommst.", bekannte ich. Die roten Augen meines Gegenübers wurden schmal. "Tatsächlich?", zischte er. "In der Tat.", ich nickte und fuhr sanft fort. "Aber du irrst. Deine Reise war umsonst. Er war nie in meinem Besitz." "Die Geschichte spricht eine andere Sprache!", zischte Voldemort. Ich seufzte und musterte betont gelangweilt meine Hände. "Ja, ja. Aber ich sage es dir noch einmal, Tom Riddle: Er war nie in meinem Besitz. Ich hatte ihn nie. Den Elderstab. Wegen ihm bist du doch hier, oder?" "Sei still! Wer hatte ihn nach dir? Sag es mir, Grindelwald, oder ich bringe dich um!" Das wurde ja wirklich verlockend! Kurz betrachtete ich schweigend sein schlangengleiches Gesicht, die unnatürlich bleichen, langen Finger. Dann warf ich den Kopf zurück und lachte. Ein raues, kaltes, höhnisches Lachen. "Dann töte mich doch, Voldemort! Aber mein Tod wird dir nicht bringen, was du suchst! Dann töte mich doch!", ich lachte erneut. Es schüttelte mich nur so und ich wusste, dass das hier meine letzten Atemzüge, die letzten Herzschläge, waren. "Doch ich heiße den Tod willkommen! Dann töte mich doch! Du wirst nicht gewinnen. Du kannst nicht gewinnen. Dieser Zauberstab", ich hörte auf zu lachen, verengte die Augen und starrte ihn an "wird nie und nimmer dir gehören!" Blinder Zorn loderte in dem roten Blick mir gegenüber auf. Ich spürte seine Gedanken an meinen, wusste, dass er mir die Erinnerungen entreißen wollte. Blitzschnell flocht ich meine mentale Stärke um sein Bewusstsein und stieß ihn aus meinem Kopf. Voldemort funkelte mich hasserfüllt an, riss seinen Zauberstab hoch. Ja! Ja! Tu es! Töte mich! Komm schon! Mach! Dann, endlich, hörte ich die erlösenden Worte. Endlich. "Avada Kedavra!!" Sein Zorn entlud sich, alles wurde grün. Dann weiß.
Ginas Schweigen erfüllte meine Gedanken.
Ich blinzelte.
Da vor mir, stand sie und grinste mich an. "Hi Bruderherz.", begrüßte sie mich. Einige Sekunden lang musterte ich sie wortlos. Dann zog ich sie ganz fest zu mir und vergrub das Gesicht in ihren weichen Haaren. "Gina.", hauchte ich und ließ zu, dass die Schluchzer mich schüttelten. "Meine Gina."

~ENDE~

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt