82. Kapitel (Gellert): Worte wie Messer

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"Er ist verrückt geworden!", Melissa sagte es zum fünften Mal und ich nickte zum fünften Mal zustimmend. "Ich meine...", zum fünften Mal fing sie diesen Satz an "er weiß doch eigentlich ganz genau, dass ich nur Sam und du nur ihn liebst!" Darauf antwortete ich zum fünften Mal: "Zumindest sollte er es theoretisch wissen." Dann schwiegen wir, ehe Melissa zum fünften Mal seufzte und ich zum fünften Mal den Kopf schüttelte. "Aber jetzt mal ganz im Ernst", fuhr sie fort "wie kommt er auf sowas?" "Frage mich das nicht. Denn ich habe keine Ahnung.", ich seufzte. Melissa zwirbelte an einer braunen Strähne und murmelte etwas von 'Fensterscheiben' und 'an den Kopf hauen'. "Was?", fragte ich. "Nichts. Ich hab bloß überlegt, ob's was helfen würd, wenn ich ihm eine Fensterscheibe an den Kopf haue.", erklärte sie. "Achso. Wäre ein Versuch wert.", gab ich zur Antwort und grinste müde. "Okay. Wie dick soll die Scheibe denn sein? Einen halben Zentimeter? Wobei nee... wir wollen ihn doch nicht umbringen.", die Hand an ihrer Strähne hielt inne. "Oder?" "Nein. Das wäre sehr unerfreulich und absolut suboptimal. Ich spüre zwar jetzt schon, dass der Fluch stärker ist als seit einem Jahr, aber... wenn er tot wäre, wäre das noch schlimmer.", erwiderte ich. "Mhm stimmt. Der Fluch, da war ja was. Den hatte ich kurz vergessen.", sie verzog das Gesicht und blinzelte. "Denkst du ich? Ich hatte ihn auch vergessen. Und ich hätte ihn auch weiter vergessen, würde ich jetzt nicht sein Flüstern an meinen Visionen spüren." "Na super.", murmelte sie ironisch. Der Hauch eines Gefühls streifte den Teil meines Gespürs, der in meiner Seele verankert war. 
Trauer. 
Es war nicht meine Emotion. 
Trauer. 
Verzweiflung. 
Entsetzen. 
Hass. 
"Oh.", sagte ich und blinzelte heftig. "Was ist?" "Ich weiß nicht... Aber ich glaube, irgendetwas ist in Hogwarts passiert. Ich spüre seine Trauer, seine Verzweiflung, seinen Hass.", gab ich zurück. Melissa zog eine Augenbraue hoch und strich sich die braunen Haare aus dem Gesicht. "Und jetzt?" "Nichts.", ich zuckte die Schultern und blockte Albus' Emotionen an meinem Gespür ab. "Wenn er was von mir will, muss er mich rufen. Ich bin doch kein Hund, der zu ihm zurückrennt! Nein, nein. Er wird merken, dass ich ihn ignoriere. Egal. Wenn es wirklich wichtig ist, wird er mich okklumentisch rufen. Wenn nicht, lässt er es sein. Ich bin im vergangenen Jahr oft genug zu ihm gekommen, obwohl er mich fast nie gerufen hat. Aber dieses Mal nicht." "Okay.", sie schien mit meiner Entscheidung einverstanden. Dann sprach sie weiter: "Warum ist Irena so still?" "Nun, wir dürfen annehmen, dass sie uns auf diese Weise zermürben will. Da kann sie aber lange warten. Zumindest bei mir.", ich strich mir meine helle Strähne zurück. "Mir ist es auch egal. Soll sie ruhig ihre eigenen Nerven und die ihrer Auroren zerfetzen, wenn's ihr so viel Spaß macht.", Verachtung spiegelte sich in ihren grünen Augen, wie der Himmel auf der Wasseroberfläche. Coral Everdal sollte verflucht sein! Verflucht sollte sie sein, mit der ganzen Macht der Heiligtümer! Es war allein ihre Schuld, dass Albus jetzt der Meinung war, ich würde ihn nicht mehr lieben. "Ich reiße sie in Stücke, wenn ich sie das nächste Mal sehe!", versprach ich Melissa. Sie grinste und nickte. "Klingt gut! Kann ich mitmachen?" "Natürlich.", erwiderte ich und sah zu Nurmengards Torbogen, als müsste dort jeden Moment Coral Everdal auftauchen. Das tat sie selbstverständlich nicht. Schließlich hätte ich das gespürt. "Ich hasse sie.", knurrte Melissa mit zusammengebissenen Zähnen. "Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie. Seh ich sie nochmal dann... dann bring ich sie um. Ich mach sie kalt, ich bring sie um die Ecke, ich ermorde sie, ich erwürge sie. Wie auch immer. Ich bring sie um!" "Gute Idee!", pflichtete ihr bei. Darauf warf sie den Kopf zurück und lachte, wie immer mit einer Spur von Wahnsinn. Wie immer, seit Sam tot war. "Denk ich auch.", erwiderte sie dann und seufzte tief. "Was ist?", fragte ich und drohte dem Wispern des Fluches mit meiner mentalen Stärke, woraufhin er sich etwas zurückzog - jedoch nur vorübergehend. "Ich hasse es, wenn ihr euch streitet!", beschwerte sich Melissa. "Ich auch.", antwortete ich und biss mir auf die Lippe. "Aber momentan kann ich nichts daran ändern. So gern ich auch würde." "Jaaaah, schon klar. Es ist mir wirklich ein merlinverdammtes Rätsel, wie Albus darauf kommt, dass wir beide - oder du in mich - verliebt sein könntest! Ich meine, hallo?! Läuft er mit geschlossenen Augen durchs Leben? Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich allein Sam liebe. Und jeder der dich kennt, weiß, dass du Albus liebst und niemanden sonst. Aber ausgerechnet er kommt jetzt mit einer solch haarsträubenden Theorie! Ist das denn zu fassen?" "Nein.", ergänzte ich. Mit einer Miene wie ein Grab nickte sie. "Allerdings", fuhr ich fort "müssen wir wohl darauf klar kommen, dass er das glaubt." "Ich sag's ja: Er ist verrückt geworden!", rief Melissa. "So langsam glaube ich, dass du Recht hast.", stimmte ich ihr zögernd zu. "Weil... Klar, die Situation ist für und alle nervenaufreibend. Aber auszuhalten. Schließlich sind wir nicht allein! Und selbst alleine... Ich musste schon oft meine Nervenstärke beweisen." "Ich meine auch, wie du weißt.", gab sie mir zur Antwort. Ein trauriger Ausdruck schlich sich in ihren Blick. "Ich hasse Streit.", flüsterte sie. "Aber das hier ist schlimmer. Die Tatsache, dass er einfach gegangen ist, nur weil er glaubt, etwas zu wissen." "Muss ich darauf etwas antworten?", meine Erwiderung bestand aus einer Frage, meine Stimme zitterte leicht. "Nein. Dazu gibt es nichts mehr zu sagen.", engegnete Melissa sofort. Ja, das traf genau das, was ich dachte: Dazu gibt es nichts mehr zu sagen. Im absolut gleichen Moment lief ein Zittern durch mein Gespür. Dann hörte ich seine Gedankenstimme, zaghaft, flüsternd.
Gellert? 
Oh nein. "Ohhh nein!", ich schüttelte energisch den Kopf. Auf Melissas fragenden Blick hin erklärte ich: "Albus ruft mich. Aber ganz ehrlich? Ich werde es ihm nicht leicht machen." Sie nickte. "Recht haste!" Ich grinste kurz. 
Nein, Albus Dumbledore. Nein! Es gibt nichts mehr zu sagen! 
Es waren harte Worte, zugegeben, das ja. Aber verdient! Hatte er mir nicht vor einer halben Stunde ebenfalls harte Worte an den Kopf geworfen? Ja! Also. 
Was... Was meinst du damit?, fragte er leise. Zur Antwort ließ ich ich ein spöttisches Lachen durch meine Gedanken wallen. 
Was ich damit meine? Dass du mich in Ruhe lassen sollst!, erwiderte ich hart und begann, meine Gedanken von seinen zu trennen. 
Gellert, nein!, hallte sein Schrei durch den Rest unserer Verbindung. Bitte! Es ist ganz schrecklich!! Sie... Coral Everdal hat... Sie hat... Sie hat..., er verstummte. Mit einem Seufzen hielt ich inne, beließ es aber bei dem Hauch unserer Verbindung, ohne sie wieder zu festigen. Sie hat was?, wollte ich gelangweilt wissen und sagte laut zu Melissa: "Er ist komplett durch den Wind. Sagt etwas davon, dass Coral Everdal irgendetwas Schlimmes angestellt hat. Ich bin mal gespannt, was das ist." Melissa verschränkte die Arme und hob das Kinn. "Ich auch!" 
Wenn du nicht jetzt mit der Sprache rausrückst, trenne ich unsere Verbindung!, ließ ich ihn wissen. 
Er atmete aus und schluckte, sagte aber ansonsten nichts.
Das reichte. Mit einem Ruck zerriss ich das letzte Band und hatte nun meine Gedanken wieder für mich. "Und?", fragte Melissa neugierig. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. "Keine Ahnung. Er hat es nicht gesagt. Tja. Nicht mein Problem." "Stimmt. Trotzdem irgendwie schade. Ich hätt schon gern gewusst, was Irena gemacht hat.", nachdenklich begann sie wieder, an einer Strähne zu zwirbeln. "Ja, du hast schon Recht. Aber man kann nunmal nicht alles haben.", sagte ich. Mit einem kleinen Grinsen zuckte sie die Schultern. "Auch wieder wahr." Für einen Moment grinste ich ebenfalls. "Was denkst du, was Coral Everdal, beziehungsweise Irena Flary, gemacht hat?", fragte ich sie dann. "Gute Frage.", erwiderte sie und zwirbelte weiter, die grünen Augen nachdenklich zum Himmel gerichtet. "Vielleicht hat sie die Hälfte der anderen Lehrer gefangen genommen. Oder eine Horde Dämonen in Hogwarts stationiert. Oder eine Schar Dementoren. Mhm... Oder sie hat einige Schüler gefangen genommen und verhört. Oder alles zusammen." "So oder so klingt es unschön.", stellte ich fest. Sie zuckte erneut die Schultern, widmete sich nun einer anderen Strähne. "Das auf jeden Fall." "Oh nein.", sagte ich erneut, in der selben Sekunde, in der mein Gespür wieder erzitterte und mir andere Gedanken an meinen meldete. Das kam davon, wenn das Unterbewusstsein diesem jemand immer noch vertraute! "Er ist wieder da.", fuhr ich fort. Melissa verdrehte die Augen und seufzte. "Bei Merlins Bart, hoffentlich rückt er jetzt mit der Sprache raus!" "Das hoffe ich für ihn. Sonst finde ich einen Weg, ihm per Telepathie eine runterzuhauen.", antwortete ich entschlossen. Mit ernster Miene nickte sie. Noch bevor Albus auch nur seine Gedanken so weit sortieren konnte, um mir etwas zu sagen, legte ich los. 
Was willst DU denn jetzt schon wieder?, fragte ich ihn ungeduldig. Ich dachte, ich hätte klar genug gesagt, dass es zwischen uns nichts mehr zu bereden gibt! Und das habe nicht ich angefangen! So. Sollte er erstmal damit fertig werden. 
Ich... Ich weiß. Deswegen bin ich ja auch gar nicht hier. Es ist..., er holte tief Luft. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann sprach er weiter: Coral Everdal hat... Sie hat... Sie hat Hogwarts..., er zögerte. Sie hat Hogwarts was? In ein Gefängnis verwandelt? Alle nach Hause geschickt? Umgebaut? In 'Coral Everdal-Akademie' umbenannt?, ich haute ihm die Vorschläge nur so um die Ohren. 
Nein., murmelte er. Nichts davon. 
Bei den gewaltigen Heiligtümern des Todes, dann sag es!! Meine Geduld hat Grenzen!, rief ich und ließ eine Welle meines Zorns, meiner Enttäuschung, meiner Verletztheit und meiner Ungeduld in seine Gedanken schwemmen. Er zuckte zusammen und fuhr noch leiser als zuvor schon fort: Sie hat Hogwarts niedergebrannt. In Schutt und Asche verwandelt. Abgerissen. Zerstört. Das hat sie gemacht! Oh. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet! Doch ich ließ mir mein Entsetzen nicht anmerken. Alles, was ich dazu sagte war: Ach? Wie interessant.
Interessant?! Du findest das INTERESSANT?!, wiederholte Albus, als wäre ich verrückt geworden. Und nicht er.
Ja. Denn das zeugt davon, dass es ihr weder um mich noch um Melissa geht. Sondern nur um dich. Was wiederum heißt, dass ich jetzt auf der sicheren Seite bin, genau wie Melissa. Na ja und du halt nicht. Was soll ich dazu sagen? Ha, soll ich dich bemitleiden? Soll ich dich trösten, DARLING? Verzeih, aber das werde ich todsicher nicht tun. Wenn du dann fertig wärst... Ich muss schließlich noch eine Party feiern, dass Irena Flary mich künftig in Ruhe lassen wird. Ach jaaaa, ich zog das 'ja' in die Länge und fuhr genauso eiskalt-spöttisch und ironisch wie vorher fort und bei der Gelegenheit werde ich SELBSTVERSTÄNDLICH Melissa küssen, weil ich ja schon seit mehr als einem halben Jahr nichts anderes tue. Und oh, bevor ich es vergesse: Anschließend werden wir uns NATÜRLICH die Kleider vom Leib reißen, wie wir es seit mehr als einem halben Jahr schon tun. So. An dieser Stelle machte ich eine Pause. Eine unheilverkündende Pause. Dann sprach ich weiter, meine Gedankenstimme war nun kalt wie Eis. DAS ist es doch, von dem du denkst, dass ich es tun werde. Natürlich denkst du das. Weil ich ein Schwarzmagier bin, weil ich ein Verbrecher bin, ein Massenmörder, ein Psychopath, ein Verräter, ein Justizflüchtiger, ein größenwahnsinniges Reinblut. Nicht wahr? Ich kenne das Wort 'Loyalität' nicht, von diesem anderen Wort da... Wie hieß es noch gleich... Auch irgendetwas mit L. Mhm... Lachen? Nein. Ah, Liebe. Genau. Von diesem Wort mal ganz zu schweigen. Also wirklich. DAS kenne ich erstrecht nicht, ist doch klar, bei so einem wie mir! Wirklich, Albus-LIEBLING, wie kannst du nur glauben ich kenne die Liebe? Es ist eine wertlose Emotion, da stimmst du mir natürlich zu, nicht wahr, LIEBSTER? Und dann ließ ich das kälteste, grausamste Lachen, das ich jemals gelacht hatte, in seine Gedanken strömen. 
Nach einigen Sekunden zog ich es wieder zurück und wartete. Stille. 
Albus schwieg. 
Ich verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln und zerriss unsere Verbindung so abrupt, dass wehtat. Sowohl mir als auch ihm. "Okay", sagte ich dann zu Melissa "ich würde sagen, ich habe es ihm ganz schön gegeben." "Au. Gut, dass ich nicht an seiner Stelle war, was?", fragte sie und grinste ein bisschen. "Jepp. Sehr gut für dich.", erwiderte ich.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt