73. Kapitel (Albus): Obliviate

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Nur um das mal klarzustellen: Ich wusste nicht, wohin ins Ministerium wir disapparieren mussten. Aber das war auch gar nicht nötig. 
Denn Gellert wusste es. 
Ich spürte es in dem Moment, da mich an sich heranzog und seine Augen zu glitzern begannen. Für einen Moment sah ich seine Schatten wie ein Dämon hinter ihm, mit gefletschten Zähnen, die Klauen gruben sich in den Stein. Das Etwas, zu dem seine Schatten sich formiert hatten, stand so dicht hinter ihm, dass er den Atem des Wesens spüren musste. Doch er zuckte mit keiner Wimper.
Als ich das nächste Mal blinzelte, war die Gestalt verschwunden. Dann disapparierten wir auch schon.

Wenig später sah ich mich, zugegeben ziemlich erstaunt, im, naja 'Keller' des Ministeriums um. Schier beeindruckt schenkte Gellert seiner Umgebung einen kurzen Rundumblick und schnalzte tadelnd mit der Zunge. "Dummköpfe.", schnurrte er und spielte mit dem Elderstab, wie immer wenn ihm langweilig war, die anderen beiden Heiligtümer schwebten hinter ihm. "Alles viel zu klein." Mit einem verächtlichen Zischlaut warf er den Kopf hoch. "Unterschätz sie nicht. Coral Everdal hat schonmal alles gewusst.", erinnerte ich ihn leise. Darauf warf er mir einen kurzen Blick zu, für einen Moment wurden seine Augen schmal. "Hat sie. Aber jetzt...", er beendete den Satz mit einem kleinen Lächeln. Als wäre das das Stichwort gewesen, hörte ich, wie viele Menschen sich näherten. Lauschend neigte Gellert den Kopf. "Auroren. Fünfzehn Stück. Coral Everdal ist auch dabei. Wie interessant." "Interessant?", wiederholte ich langsam und sah ihn an, als hätte er nicht mehr alle Zauberstäbe im Regal. "Aber ja doch.", antwortete er seidenweich, seine Lippen verzogen sich zu einem äußerst seltsamen Lächeln - schon wieder. Im nächsten Moment stürmte tatsächlich Coral Everdal mit mehreren Auroren hinter sich herein. Ihre eisblauen Augen loderten und ihre kupferroten Haare wehten wie eine Flamme hinter ihr her. Als sie mich sah, blieb sie abrupt stehen. Als sie Gellert sah, riss sie ungläubig die Augen auf. "Unmöglich! Sie sind tot, Grindelwald!", rief sie. Die Auroren zogen ihre Zauberstäbe. Einige Momente lang musterte Gellert sie, als überlegte er, ob er ihr überhaupt irgendeine Antwort geben sollte. Dann leckte er sich über die Lippen und grinste. "Die Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung.", flüsterte er. "Wie schön, dass ich Sie hier treffe. Was führt Sie denn hierher?" Er stellte die Frage, als würden wir nicht im Ministerium, sondern in Nurmengard stehen. "Die Frage ist eher, was Sie hierher führt, Grindelwald.", Coral Everdal zog die Augenbrauen zusammen. "Warum sind Sie überhaupt noch am Leben?" Verächtlich starrte Gellert sie an. "Ich bin nicht 'noch' am Leben, Everdal. Ich bin es wieder." Sie blickte ihn an, rang sichtlich um Worte. "Unmöglich!", knurrte sie schließlich. "Wirklich?", fragte Gellert gedehnt und seufzte gelangweilt. "Das glaube ich ehrlich gesagt nicht.", fuhr er fort. Coral Everdal starrte ihn an, als wollte sie ihn erwürgen. "Wie?", fauchte sie. Darauf seufzte Gellert erneut. "Das wird mein Geheimnis bleiben. Und jetzt Schluss mit den Spielchen." Vom einen Moment auf den anderen wurde seine Stimme dunkler, bedrohlicher. Um Klassen bedrohlicher. "Wo ist Melissa? Sag es. Sonst wirst du es bereuen."
Sekundenlang schwieg Coral Everdal, die eisblauen Augen starr auf Gellert gerichtet. Dann sagte sie langsam: "Also gut, Grindelwald. Ich werde Ihnen Melissa Starling überlassen. Unter einer Bedingung."
Gellerts zweifarbige Augen verengten sich zu Schlitzen. "Die wäre?", der Hass in seinen Worten ließ mich erschaudern. "Ich werde ihn", die Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung nickte zu mir "vergessen lassen, dass er Sie liebt." Für einen winzigen Moment glaubte ich, dieser Satz würde Gellerts Selbstbeherrschung in sich zusammenstürzen lassen. Aber das geschah nicht. Sein Gesichtsausdruck blieb ungerührt, nichtmal seine Augen flackerten. Das hier, wurde mir klar, war ein Duell der Meister. Ein Duell in Sachen Gefühlsregung und -kontrolle. "Gut, Everdal. Wenn das Ihre Bedingung ist, von mir aus. Aber zuerst Melissa.", selbst Gellerts Stimme war noch genauso kalt, genauso ungerührt. Und das war die Sekunde, in der ein kaum merkliches Flackern in Coral Everdals Blick trat. Nur für einen Atemzug. Doch ich hatte es gesehen und Gellert jede Wette auch. "Nun gut, Grindelwald. Wie Sie wollen.", obwohl ihre Antwort ruhig war, war da der Hauch eines tiefen Durchatmens. Gellert lächelte. Nicht mehr, als ein Zucken seiner Lippen. Es war, als würde jedes Licht erlischen, die Schatten verließen ihre Plätze, sammelten sich hinter ihm, formten sich zu den Gestalten, die ich einige Minuten zuvor hinter ihm gesehen hatte. Rote Auge, scharfe, kratzende Krallen, gebleckte Zähne. Die Heiligtümer standen in Flammen. In blau-weißen Flammen. "Eldarí therrem vynthyr.", flüsterte er. Es war die Runensprache und ich verstand davon kein Wort und dennoch war mir klar, was er gesagt hatte: Meister des Todes. "Ich werde den Fluch brechen, Everdal. Jeden einzelnen. Ich werde zusehen, wie du brennst. Und jetzt gib mir Melissa, bevor ich ungeduldig werde.", er zog leicht die linke Augenbraue hoch und irgendwie wusste ich, dass er gerade irgendwelche Gedanken las. "Nicht doch. Mich umbringen? Unmöglich. Ich werde immer wieder von den Toten zurückkommen.", er schüttelte missbilligend den Kopf und sah Coral Everdal an, die hastig nickte. Darauf lächelte er das gleiche unheimliche Lächeln wie zuvor, machte eine leichte Kopfbewegung woraufhin die.... Kreaturen hinter ihm verschwanden, und lehnte sich gelassen an die Wand.
Auf den Befehl von Coral Everdal hin disapparierten zwei Auroren. Sie kamen nach wenigen Sekunden wieder. Zwischen sich hatten sie Melissa, die zu meinem Entsetzen mehr tot war als lebendig. Unzählige Kratzer, Schnitte und Brandwunden zierten ihr Gesicht und ich wollte mir ihre Schmerzen, sobald sie wieder bei Bewusstsein war, gar nicht erst ausmalen. Die Auroren sammelten sich hinter Coral Everdal, die dastand wie erstarrt. Dann plötzlich, riss sie den Zauberstab hoch, richtete ihn auf mich und kreischte: "Obliviate!!!"
Innerhalb von Millisekunden verdunkelten sich Gellerts Augen. Ich sah ihn an, sah in seine zweifarbigen Augen in dem Wissen, dass ich sie nicht würde festhalten können. "Ryhthan syram!", fauchte er, in der Runensprache. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, sein Akzent rollte jedes R wie ein Donner, kehrte der hellblaue Blitz um und schlug knisternd in die Wand ein. Gellerts dunkler Blick flog zu den Auroren, er hob den Elderstab. "Vyntha!", blaffte er und riss den Elderstab herunter. Es knackte und ein Auror brach zusammen, Gellerts Zauber hatte ihm offensichtlich das Genick gebrochen. "Sharys amthyr lyssonthyr!", fuhr er fort. Feuer entsprang dem Boden, blau-weiße Flammen, die die Auroren zu Asche zerfallen ließen. Nur Coral Everdal blieb verschont. Weil Gellert es so wollte, wurde mir klar. Jetzt blickte er die Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung an und flüsterte bedrohlich sanft: "Mache dir nie wieder den Meister des Todes zum Feind, Coral Irina Everdal. Und jetzt verschwinde." Kurz starrte sie ihn an, dann disapparierte sie.
Die blau-weißen Flammen, sowohl am Boden als auch an den Heiligtümern, erloschen. Langsam wandte Gellert mir den Kopf zu und sah mich an. Immer noch war seine Aura dunkel, verfinstert von seiner dunklen Seite, die er gerufen hatte, weil... Weil sie ihm die Radikalität gab, die er gebraucht hatte, um Obliviate abzuwehren und zum ersten Mal dafür zu sorgen, dass eine seiner Visionen sich nicht erfüllte. Dann löste er seinen Blick von meinem und ließ sich an Melissas Seite nieder. Sein sanftes Kopfschütteln machte mir Angst. "Was ist?", flüsterte ich heiser. Erneut schüttelte er den Kopf. "Gellert! Was ist? Mit ihr? Sag!" Nach kurzem Zögern richtete er sich auf und als ich den Ausdruck in seinen Augen sah, wurde mir eiskalt. "Sie ist tot, Al. Sie haben sie gefoltert und anschließend als Opfer für drei weitere Dämonen benutzt.", sagte er leise. "Was?! Nein! Nein!! Das kann nicht sein!", rief ich aus. "Das ist nicht wahr!" "Doch.", er biss sich auf die Lippe und zuckte die Schultern. "Aber..." "Aber was?", fragte ich ungeduldig. Ein weiteres Mal zuckte er die Schultern. "Ich bin der Meister des Todes. Ich kann es bei ihr nicht abschätzen, aber... Nun ja, ich könnte versuchen, sie zurückzuholen." Wäre er jetzt nicht drei Meter von mir entfernt sondern würde direkt vor mir stehen, so würde ich ihn schütteln und schreien 'Mach! Red nicht lange, bei Merlins Zauberstab! Mach!!'. "Dann tu es!", antwortete ich stattdessen und um Klassen ruhiger, als ich mich eigentlich fühlte. "Gut.", Gellert senkte leicht den Kopf, ließ sich auf die Knie nieder und schloss die Augen. Einige Sekunden lang hörte ich nur meine angespannten Atemzüge. Aber dann begann der Stein der Auferstehung zu glühen, in einem silber-weißen Licht, das Zeichen der Heiligtümer war nun deutlich auf seiner normalerweise schwarzen Oberfläche zu erkennen. Im gleichen Moment riss Gellert die Augen auf, stützte sich am Boden ab und rang keuchend nach Luft. Dann plötzlich, hörte ich Melissa: "Meine Güte, hat Coral Everdal ein schreckliches Parfüm!", sie stöhnte schwer, richtete sich auf und starrte dann abwechselnd von Gellert zu mir und wieder zurück. Langsam stand Gellert auf, so langsam, als wäre er mal gerade um dreißig Jahre älter geworden und nun sechsundachtzig. Er trat an meine Seite und legte zögernd einen Arm um mich. Kurz verharrte ich wie erstarrt, dann schmiegte ich mich vorsichtig an ihn. "Leute. Kann mir jetzt vielleicht mal jemand erklären, was hier los ist?", fragte Melissa und zog die Augenbrauen hoch. "Du warst tot.", sagte ich. Melissa seufzte. "Ich. Weiß. Das hab ich gemerkt. Es war ja auch nicht zu über... überspüren. Weißt du... Ich hab Sam getroffen." "Hast du? Und?", fragte ich. Sie lächelte. "Er hat mir gesagt, dass ich... vielleicht zurückkommen werde.", sagte sie leise. "Weil du deine Aufgabe noch nicht beendet hast?", ich legte den Kopf schräg. Melissa zuckte die Schultern und heilte mit einem Schnippen ihres Zauberstabs, den einer der Auroren offenbar hier zurückgelassen hatte, ihre Wunden. "Ich nehme es an.", erwiderte sie und sah mich an. In ihren grünen Augen lag das gleiche, harte, spöttische, bittere Glitzern wie sonst auch. Es war ihr nicht anzusehen, dass sie bis vor fünf Minuten noch tot gewesen war. "Wann hat Coral Everdal dich eigentlich umgebracht?", ich stellte die Frage, bevor ich mich daran hindern konnte. Zum Glück schien Melissa mir nicht böse zu sein. "Vor sechs Stunden.", antwortete sie kurz, zog die rechte Augenbraue leicht nach oben und dachte kurz nach. "Vielleicht schon früher. Das Blöde war, dass diese Furie mir vorher noch Blut abgenommen hat um die Dämonen davon trinken zu lassen.", sie schnaubte. "Sie hat mich ja auch nicht irgendwie umgebracht. Richtig theatralisch. Mit 'ner Steinplatte, Fesseln, Fackeln, gesungenen Beschwörungen und Messern. Pah!" Verachtung stand auf ihren Gesichtszügen, sie presste die Lippen zusammen. Ich grinste schief. "Dann hattest du's wenigstens hell.", murmelte ich. Sie grinste ebenfalls. "Hatte ich. Glaub mir, wenn ich nicht gefesselt gewesen wäre, hätte ich Coral Everdal eine reingehauen. Eigentlich wollte ich ihr ins Gesicht spucken, aber... Naja, diese Dämonen die dann plötzlich kamen.", sie blinzelte und musterte sorgfältig ihre Hände. Bestimmt überprüfte sie sie auf weitere Wunden. Plötzlich fiel mir auf, dass Gellert dir ganze Zeit kein einziges Wort gesagt hatte, was für ihn mehr als untypisch war. Blinzelnd sah ich ihn an, wandte ihm den Kopf zu.
Seine zweifarbigen Augen waren so müde, dass es mir Angst machte. "Was ist?", fragte ich leise. Er schüttelte sanft den Kopf, immer noch schwer atmend. "Tote zurückholen ist kräfteraubend, Al.", murmelte er und lehnte kurz den Kopf an meine Schulter. "So ähnlich wie 'Finite arrestesium'?", hakte ich nach. Kaum merklich zuckte er die Schultern. "Ja.", seine Stimme war genauso kraftlos wie sein Blick. "Nur mit dem Unterschied, dass als Meister des Todes auch ein anderer nicht sterben würde. Du weißt, dass ich 'Finite arrestesium' nur überlebt habe, weil meine mentale Stärke ungewöhnlich mächtig ist." Schweigend sah ich ihn an, er erwiderte meinen Blick. "Ich werde nicht zulassen, dass Coral Everdal euch auch nur ein Haar krümmt.", fuhr er fast unhörbar fort und blickte sekundenlang zu den Heiligtümern, die hinter ihm schwebten. "Du musst nicht dich selbst immer hinter mich oder Lissa anreihen.", sagte ich sanft. Gellert seufzte. "Werde, habe und würde ich aber, Al.", flüsterte er und sah Melissa an, als er weitersprach: "Bist du soweit wieder in der Spur?"
"Natürlich! Ich schlage vor, dass wir schnell von hier verschwinden. Bevor Coral Everdal sich von ihrem Schock erholt.", sie strich sich eine braune Strähne aus dem Gesicht, ihre dunkelgrünen Augen glitzerten. "Gute Idee.", pflichtete Gellert ihr bei und löste sich von meiner Seite, ohne mich anzusehen. Dann zog er den Elderstab, flocht seine Finger zwischen meine - immer noch ohne mich anzusehen - und wir disapparierten. Zurück nach Nurmengard.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt