65. Kapitel (Albus): Trauer

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Er atmete nicht.
Sein Blick war leer und ausdruckslos.
Reglos lag er da, am Boden, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als würde er nur schlafen.
Tat er aber nicht.
Wenn es etwas bringen würde, so würde ich ihn durchschütteln, bis er mich ansah, bis er blinzelte.
Wach auf!, ich schrie in Gedanken, immer wieder.
Natürlich brachte es nichts.
Es war wahrlich seltsam, wozu die Verzweiflung die Menschen trieb. Zu unlogischen, seltsamen Dingen.
Ich verzog das Gesicht und kauerte mich an seine Seite.
Sanft strich ich ihm über die Wange. Sie wurde schon kalt. "Sieh mich an.", flehte ich. "Bitte! Du bist der Meister des Todes. Du kannst nicht tot sein. Hörst du, ich verbiete es dir!"
Bei Merlins verfluchter Kristallkugel! Es brachte nichts, das wusste ich doch!
Warum tat ich es dann?
Verzweiflung.
Was denn sonst? Zitternd zog ich die Luft ein und lehnte meine Stirn gegen seine. "Bitte, Gellert.", flüsterte ich erstickt. "Komm zu mir zurück. Nur noch einmal."
Die Heiligtümer des Todes schwebten immer noch in der Luft. Der Himmel hatte sich in den letzten Minuten verdunkelt. Schwarze Wolken waren gekommen. Mir dämmerte, warum.
Der Meister des Todes war tot.
Blinzelnd richtete ich mich auf und starrte die Heiligtümer an, die weiterhin in ihrem Zeichen verharrten.
Ein Blitz zuckte über den Himmel.
Noch einer. Er löste sich aus den Wolken und schlug in die Heiligtümer ein. An die Stelle, an der sich Tarnumhang und Elderstab trafen.
Funken spritzten, geisterhafte, graue Flammen fraßen sich knisternd an den drei Heiligtümern des Todes hinauf.
Sie lösten sich auf.
Verschwanden.
Nein!
Denn der Stein der Auferstehung wäre meine letzte Chance gewesen - sofern er mir überhaupt gehorcht hätte. Aber es wäre ein Versuch wert gewesen. Nichts war's. Der Stein war fort, wie die anderen beiden auch. Warum? Tja. Vermutlich, weil sie gespürt hatten, dass ihr Meister ge-... Nein. Ich konnte das Wort nichtmal denken
Vermutlich, weil sie gespürt hatten, dass ihr Meister... weg war. Deshalb. Mit einem müden Seufzen schloss ich die Augen und blinzelte auch nicht, als der erste Regentropfen fiel.

5.7.1899

"Gellert! Wo warst du?! Ich hab zwei Tage lang nichts von dir gehört! Und Bathilda wusste auch nicht, wo du bist! Kannst du mir jetzt bitte mal sagen, wo du warst?!", ich stemmte die Hände in die Seiten. Gellert lehnte sich an den Baum hinter ihm, griff in die Äste und klaute sich einen Apfel. Genüsslich biss er hinein, kaute und schluckte, bevor er mich angrinste. "Wo soll ich denn gewesen sein, Liebster? In Atlantis oder was?" Ich verdrehte die Augen. "Gellert!" "Siehst du. Nein.", erwiderte er gelassen und benetzte seine Lippen. "Natürlich warst du nicht in Atlantis! Trotzdem warst du nicht hier! Wo. Warst. Du?" Er seufzte theatralisch, biss erneut ab und tat, als würde er angestrengt nachdenken. "Ich war im Nebelwald.", erwiderte er schließlich. Entsetzt riss ich die Augen auf. "Was?! Bist du verrückt geworden?! Wolltest du dich umbringen?" "Nee. Mein Lebenswille ist im Übermaß vorhanden, danke. Nein. Ich habe den Tarnumhang gesucht, wenn du es genau wissen willst.", er ließ sich auf ein Knie nieder. Das Eichhörnchen, das, von wo auch immer gerade herbeigekommen war, nahm ihm den Apfel ab und hüpfte davon. Er lächelte, richtete sich auf und strich sich die blonden Locken aus dem Gesicht.
Merlin, er war so wunderschön!
Fast vergaß ich, dass ich ja eigentlich böse auf ihn sein wollte.
"Du warst im Nebelwald.", sagte ich nach einer Weile. "Alleine." Ich konnte nicht verhindern, dass ein Hauch Kränkung in meiner Stimme mitschwang. Nach kurzem Zögern richtete Gellert seinen zweifarbigen Blick auf mich und seufzte. Dann antwortete er: "Ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass wir beide von einem Mantikor gestochen werden, Al-Liebling. Hätte schon gereicht, wenn es mir passiert wäre."
"Bist du-?!", ich beendete den Satz nicht.
Zu meiner Erleichterung schüttelte er den Kopf. "Nein. Sonst würde ich wohl kaum hier stehen. Wenn, dann würde ich ziemlich tot im Nebelwald herumliegen."
"Ziemlich tot?", wiederholte ich. "Gibt's dann auch 'komplett tot'?" Darauf lachte er. "Du weißt, was ich meine." "Ja, klar. Aber das machst du nie wieder! Gellert!! Das. Machst. Du. Nie. Wieder." Einige Sekunden lang musterte er mich schweigend. "Nie wieder.", flüsterte er endlich und schenkte mir sein berühmtes Gellert-Grindelwald-Lächeln, das mich immer ganz zittrig machte. "Nie wieder, Al. Ich lasse dich nie wieder allein."
"Versprichst du's mir?", fragte ich.
"Mehr als das."

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt