94. Kapitel (Gellert): No more Love

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1995

Ich hatte ja bekanntlich ein Gespür für menschliche Anwesenheit und Emotionen, oft genug konnte ich sogar sagen, wer gerade wohin apparierte, sofern ich die Person kannte.
Doch als Albus urplötzlich vor mir stand, erschrak ich mich doch ziemlich. "Bei den Heiligtümern!", stieß ich hervor und sah zwischen ihm und dem Gang, aus dem er üblicherweise kam, hin und her. "Bist du jetzt... oder-?", ich blinzelte. "Appariert. Direkt hierher. Einmal muss ich es ja wohl ausnutzen, einen Phönix und den Elderstab zu haben.", antwortete er gelassen und Fawkes flatterte von seiner Schulter. "Jetzt bin ich noch verwirrter. Warum Fawkes? Was?", verständnislos schüttelte ich den Kopf. "Es war so.", begann Albus und ließ die Stäbe zwischen uns schmelzen. Dann erzählte er mir alles, was sich in diesem Jahr rund um Harry Potter ereignet hatte - bisher. Denn das Schuljahr lief ja noch. "Wow.", sagte ich. "Nicht schlecht." "So kannst du es auch sagen. Und da ich nicht vorhabe, nach Askaban zu gehen bin ich mit Fawkes davon und wir haben beschlossen, als allererstes dich zu besuchen.", er legte den Kopf schräg und musterte Fawkes zärtlich. "Und deine Schüler sind jetzt in den Klauen dieser... Tyrannin?", ich zog die Augenbrauen hoch. "Jaaaah. Nicht, dass mir das gefällt, Merlin nein! Aber... es war die einzige Möglichkeit. Denn jetzt kann sich das Ministerium hübsch den Kopf zerbrechen, wo ich bin. Na ja und was meine Schüler angeht... Die anderen Lehrer sind keine Fans von Umbridge. Sie werden die Schüler beschützen, so gut es geht." "Wie heißt sie?", ich starrte ihn an. "Dolores Jane Umbridge. Warum?", fragte er. "Einer meiner Akolythen war Robert Umbridge. Und er hatte eine Tochter namens Dolores. Als ich meine große Zeit hatte dürfte sie ungefähr zehn, elf gewesen sein." Albus' blaue Augen weiteten sich. "War sie... von dir... vom größeren Wohl... fand sie es gut?" "Gut?", wiederholte ich und lachte ein spöttisches, raues Lachen. "Nein, Al. Sie war eine Fanatikerin von mir. Ihr Vater nahm sie regelmäßig mit, wenn ich meine Akolythen nach Nurmengard rief. Sie hat mich angebetet wie einen Gott. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie eines Tages einen Altar mitgebracht hätte, um mir darauf Opfer zu erbringen." "Oh meine Güte!", flüsterte er. "Und sie ist jetzt Schulleiterin in Hogwarts. Na wunderbar.", er seufzte. "Trotzdem. Noch kann ich nicht zurück." "Tja. Dann stelle dich darauf ein, dass einige deiner Schüler, vielleicht sogar ein Großteil, davon nicht sehr begeistert sein werden. Dass ihr wunderbarer, über alles auf dieser Welt erhabener Schulleiter sie im Stich gelassen hat.", erwiderte ich. "Hör auf!", protestierte er. "Ich mache dir keinen Vorwurf.", gab ich zurück. "Das, was wir hier in der Welt der Lebenden tun, ist schlussendlich nur ein Spiel und der Tod das Ziel. Es gibt verschiedene Arten, dieses Spiel zu spielen. Tue, was du für die richtige hältst." Ich fixierte ihn mit meinen zweifarbigen Augen. "Du kannst mich nicht vor der Leere in meiner Seele retten, Albus. Niemand kann das, auch ich nicht. Ich weiß, dass ich in wenigen Jahren tot sein werde. Aber das heißt nicht, dass ich die Zügel für mein Schicksal aus der Hand gebe. Zwei, drei Jahre habe ich noch hier. Und diese Zeit wird den Abgrund nur noch tiefer reißen."
"Gellert..."
"Nein. Geh.", ich wandte mich von ihm ab. "Geh und tue, was und wie du es tun musst. Geh. Ach ja", mitten in der Bewegung, wieder in den Schatten zu verschwinden, hielt ich inne "vergiss nicht, die Gitterstäbe wieder herzustellen. Alles andere wäre äußerst... unklug. Und das will sich Albus Dumbledore, der große Hogwarts-Schulleiter, natürlich keinenfalls vorwerfen lassen, nicht wahr? Unklug sein, also bitte! Das können alle anderen sein, aber du doch nicht!"
"Gellert, es-"
"Nein.", ich schnitt ihm das Wort ab. "Geh. Geh einfach." Der leise singende Ton verriet mir, dass die Gitterstäbe wieder intakt waren. Sekunden später meldete mir mein Gespür, dass er fort war. Seufzend ließ ich mich an der Wand nieder und stützte den Kopf in die Hände.
Die Welt zerbrach.
Und ich konnte nichts anderes tun, als zuzusehen.

15.2.1897
Mit Grabesmiene saß ich in meinem Zimmer, den Rücken an den Fuß meines Bett gelehnt und ging den Stapel Bücher, der neben mir stand, durch. Auf der verzweifelten Suche nach einem Buch, bei dem ich noch nicht alle Wörter auswendig kannte. Es war ja schon ein Wunder, dass mir meine Eltern überhaupt erlaubten, dass ich mir diese Bücher hatte anschaffen dürfen. Aber seit vier Jahren hatte ich für jedes einzelne neue Buch kämpfen müssen wie ein Löwe.
Warum?
Weil Gina seit vier Jahren da war. Heute hatte sie ihren vierten Geburtstag und deshalb war ich auch in meinem Zimmer. Okay, das war ich oft und genauso oft war auch, wie jetzt, die Tür verschlossen. Aber heute hatte Vylanara mir besonders radikal gedroht. Sie hatte mir versprochen, höchstpersönlich meinen Zauberstab zu zerbrechen, dafür zu sorgen, dass ich von Durmstrang flog und mir dann auch noch den Rest meines Lebens zur Hölle zu machen, sollte sie heute auch nur eine Haarspitze von mir außerhalb meines Zimmers sehen. Na ja und da ich weder besonders wild darauf war, dass mein Zauberstab zerbrach (ich meine, ich brauchte ihn ja noch, bis ich den Elderstab gefunden hatte), ich von Durmstrang flog (Durmstrang war mein Zuhause, verdammt nochmal) noch den Rest meines Lebens zur Hölle gemacht zu bekommen (die Kindheit reichte doch schon), befand ich mich nun seit geschlagenen sieben Stunden in meinem Zimmer und gab keinen Mucks von mir und jedes Mal, wenn mir ein Buch herunterfiel, was bisher zweimal passiert war, fürchtete ich, Vylanara würde jeden Moment vor Wut schäumend vor mir stehen. Bisher war sie zum Glück nicht aufgetaucht. Wenn ich genau lauschte, hörte ich, dass sie unten mit Naryc stand und Gina umgarnte. Manchmal hörte ich sie 'Schätzchen!' oder 'Ach, mein lieber Engel!' flöten. Diese Frau war wirklich die Hölle, schon wenn ich ihren Tonfall hörte, so übertrieben zuckersüß, könnte ich mich rückwärts aus meinem Fenster stürzen. Tat ich nicht. Schließlich konnte ich Gina nicht alleine lassen. Denn... Meine Schwester liebte mich und ich sie auch. Zwar beobachteten unsere Eltern unsere liebevolle Bindung mit Misstrauen, ließen uns aber bisher gewähren, was mich ehrlich gesagt sehr erstaunte. Aber es hinterfragen würde ich todsicher nicht. Gerade legte ich kopfschüttelnd ein weiteres Buch zur Seite und sog im nächsten Moment triumphierend den Atem ein. '101 Zauber, die nicht schwarzmagisch sind aber ähnlich wirken'. Ah, endlich mal ein Buch, dass ich noch nicht auswendig kannte. Ja, ich hatte dieses Buch schon gelesen, aber solange mir die 101 Zauber nicht spontan einfielen, war alles gut. Zufrieden zog ich die Beine an, strich mir die blonden Locken aus dem Gesicht und schlug das Buch auf. Just in dem Moment, in dem ich begann, mich vollends auf das Buch zu konzertieren, vernahm ich ein leises Kratzen an meinem Fenster, wie Fingernägel. Zeitgleich meldete mir mein Gespür eine Mischung aus Aufregung, Freude und Angst. Blinzelnd klappte ich das Buch wieder zu, legte es zur Seite und stand auf, um aus meinem Fenster zu sehen. Ich schnappte nach Luft. Denn wer balancierte mit einem hoch konzentrierten Ausdruck auf dem jungen Gesicht außen auf meiner Fensterbank?
Gina.
Blitzschnell war ich an meinem Fenster, riss es auf und dankte den Heiligtümern dafür, dass es nach innen aufging und nicht nach außen.
"Gin!", zischte ich und hielt sie mit einem Arm fest, auch wenn ich mich dafür ziemlich weit nach draußen lehnen musste. "Was tust du denn hier?" "Na was wohl?", trotzig sah sie mich an. "Dich fast zu Tode stürzen?", schlug ich vor. Sie stieß ein kleines Seufzen aus. "Ich hab Geburtstag, Gellert. Und Mum und Dad haben mir verboten, dich zu sehen. Also hab ich ihnen gesagt, ich geh spielen und bin zu dir hoch geklettert."
"Geklettert?", wiederholte ich, zog sie enger an mich und warf einen Blick in die Tiefe, denn mein Zimmer lag immerhin im zweiten Stock. "Ja. Hab ich das nicht toll gemacht?", sie strahlte mich an. "Hm. Schon. Wie bist du denn hier hoch geklettert?", fragte ich. "Ich konnte plötzlich an der Wand hoch. Wie eine Spinne.", antwortete sie. Magie!, dachte ich. Sie wollte so unbedingt zu mir, dass es ihre Magie ausgelöst hat!
Das war irgendwie süß.
"Dann hol ich dich mal rein. Nicht, dass du mir noch runterfällst.", ich schlang die Arme um ihre Taille und hob sie zu mir herein. Dann setzte ich sie neben mir ab und schloss das Fenster. Jetzt stand Gina neben mir und strahlte mich an, mit ihren himmelblauen Augen und den hellblonden Locken. In einer Sache hatte meine Mutter Recht: Gina war wirklich ein Engel. "Wissen Mum und Dad, wo du bist?", fragte ich und ließ mich auf die Knie nieder, damit wir einigermaßen auf Augenhöhe waren. "Nein. Ich hab gesagt, ich geh im Wald spielen. War das gut?", erwiderte Gina arglos. "Du hast... gelogen?", ich zog die Augenbrauen hoch. "Ja.", meine Schwester nickte. "Mum und Dad gucken immer böse, wenn du da bist. Deswegen dacht ich... es wär vielleicht in Ordnung, wenn ich ihnen nicht sage, dass ich zu dir will." Meine Gina! Sie war noch so jung und doch schon so klug! Wie würde das erst sein, wenn sie älter wäre? "Das hast du schön gemacht.", sagte ich sanft. Sie lächelte. "Danke. Muss ich das... öfter machen? Wegen Mum und Dad?", zögernd senkte sie den Blick. "Ich weiß nicht. Vielleicht. Aber... ich hoffe es nicht, Gin.", flüsterte ich. "Ich mag es nicht, Mum und Dad anzulügen. Aber ich mag es auch nicht, dass sie nicht lieb zu dir sind.", murmelte sie. Dazu sagte ich nichts. Was auch? Was meine Eltern taten oder sagten, war mir schon lange egal. Ich liebte sie nicht, sie mich auch nicht. Aber bei Gina war es etwas anderes. Vylanara und Naryc liebten meine Schwester, wie sie mich niemals geliebt hatten und lieben würden. Auch Gina liebte die beiden, das wusste ich. Und ich ließ sie, hatte ihr nicht gesagt, dass unsere Eltern mich schlugen. Zum einen war sie noch so jung, sie würde es vermutlich noch gar nicht wirklich verstehen, zum anderen wollte ich aber auch ihre Beziehung zu Vylanara und Naryc nicht vergiften. Gina war noch so jung, sie brauchte die beiden noch - sie war erst vier. Hingegen ich war 14, ich brauchte die beiden nicht, hatte sie nie gebraucht. Selbst früher nicht, weil ich einfach gewusst hatte, dass sie mich hassten. "Liest du?", wollte Gina nun wissen. "Vorhin, ja.", ich nickte. Interessiert sah sie mich an, ihre hellblauen Augen trafen meine zweifarbigen. "Über was denn?" "Zauber. 101 Zauber, die sehr mächtig sind.", erklärte ich. "Tolle Zauber?", fragte meine Schwester. Ich lächelte. "Sehr tolle." "Bringst du mir die bei, wenn ich auch nach Durmstrang gehe?", sie riss die Augen zu ihrem legendären Dackelblick auf. Aber der wäre gar nicht nötig gewesen. "Natürlich. So viele du willst. Mehr als diese 101.", versprach ich ihr. "101. Ist das... viel?", überlegte Gina laut. Nicht zu fassen, dass sie heute erst vier wurde. Sie wusste schon so viel! Aber gut, wenn es um Bildung ging, waren meine Eltern sehr freizügig. Immerhin irgendetwas Positives. "Sehr viel. Stell es dir vor wie fünf Stücke Schokokuchen.", sagte ich, damit sie es sich besser vorstellen konnte. "Hm. Das ist viel!", stellte meine Schwester fest. "Richtig viel." "Ja, das stimmt. Es ist viel. Aber nicht zu viel.", erwiderte ich. "Nein. Nicht für dich!", ihr Blick hatte nun etwas Bewunderndes. "Ganz Recht. Nicht für mich.", pflichtete ich ihr bei. Denn ja, es entsprach der Wahrheit und außerdem tat es einfach gut, dass jemand, der zu meiner Familie gehörte, so etwas sagte. "Gellert?", fragte sie. "Ja, Gin?", ich blinzelte sie an und strich ihr zärtlich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. "Warum mögen Mum und Dad dich nicht?", wollte Gina wissen. Ha, das war heikel! Denn was sollte ich zu ihr sagen? Etwa 'Sie hassen mich, weil ich ein Junge bin. Weil meine Augen zwei verschiedene Farben haben und weil ich mich niemals in ein Mädchen verlieben werde'? Niemals. Das würde sie nur verwirren, weil sie es noch gar nicht wirklich verstehen würde. "Ich weiß nicht.", sagte ich darum. Schweigend blickte sie mich an und ich wusste, dass sie mich sooft fragen würde, bis ich es ihr sagte. Doch vorerst ließ sie es auf sich beruhen, nickte nur. Auf einmal hörte ich Schritte und zeitgleich meldete mit mein Gespür Vylanaras Aura. Oh-oh. "Mum kommt.", flüsterte ich. Zögernd sah meine Schwester mich an, dann ging sie blitzschnell unter meinem Bett in Deckung. Genauso schnell setzte ich mich wieder zwischen meine Bücher, schnappte mir irgendeins und schlug irgendeine der hinteren Seiten auf. Das Kratzen des Schlüssels im Schloss war zu hören, dann öffnete die Tür sich und Vylanara trat ein. Ihre hellblauen Augen, denen Ginas so ähnlich, blitzten vor Wut. "Du!", fauchte sie und stolzierte auf mich zu. "Steh auf!" Folgsam legte ich mein Buch zur Seite und erhob mich. Ich war inzwischen genauso groß wie sie und das, obwohl sie für eine Frau nicht klein war. "Ja, Mutter? Was ist?", fragte ich betont langsam. Sie verengte die Augen hasserfüllt zu Schlitzen. "Tu nicht so unschuldig du wertloser Versager!! Wo ist Gina?! Sie ist nicht dort, wo sie sonst immer im Wald spielt! Wo ist sie?! Los! Sag!", fuhr sie mich an. Da ich es gewohnt war, dass sie mich in jeder erdenklichen Weise niedermachte, zuckte ich mit keiner Wimper. "Ich weiß es nicht.", log ich. Im nächsten Moment holte sie aus, ein brennender Schmerz entflammte auf meiner linken Wange, doch ich blinzelte nur. "Wenn du mich schlägst wird es auch nicht besser. Ich kann dir nicht etwas sagen, das ich nicht weiß.", sagte ich ruhig und fuhr provokant fort: "Wer weiß. Vielleicht ist sie ja sogar abgehauen. Würde mich ja bei euch beiden nicht wundern. Ihr seid alle beide auch zum Weglaufen." Damit hatte ich es eindeutig übertrieben, das war mir klar. Aber es war mir auch genauso egal. Auf meine Aussage hin erfolgten sechs weitere Ohrfeigen, drei auf jeder Seite, die ich alle wort- und reglos hinnahm. "Ja, ja.", ich spazierte an meiner Mutter vorbei und lehnte mich mit der einen Schulter an die Wand. "Schlag mich, foltere mich, verpass mir Schnitte, wenn's dir und Naryc so Spaß macht. Aber ihr werdet mich nicht brechen. Nichts wird mich jemals brechen."
"Halt sofort den Mund du unerwünschter, fehlgeschlagener, wertloser Sohn! Abschaum!", blanker Hass lag in Vylanaras Stimme. Ich sah sie an und zog nur eine Augenbraue hoch, musterte dann meine Hände, begutachtete die unzähligen Narben an meinen Fingern. Nicht mehr als weiße Linien. "Hast du sonst noch etwas zu sagen außer kundzutun, dass du mich hasst? Ich bitte dich, das ist mir wirklich nichts neues. Ich weiß seit mindestens sieben Jahren, dass du mich hasst. Kann ich dann weiterlesen? Ich würde mich gerne noch etwas Vergnüglicherem zuwenden, als mich anschreien zu lassen, nur weil du und Naryc nicht in der Lage wart, auf Gina aufzupassen.", erwiderte ich, schier unendlich gelangweilt, obwohl in meinem Inneren der Hass wie ein kaltes Feuer brannte. "Wie kannst du es wagen du... du... Monster!!", zischte Vylanara. Darauf seufzte ich theatralisch und antwortete nur: "Dann geh. Du hast ja sonst wirklich nichts zu sagen." Mit vor Hass lodernden Augen starrte sie mich an, ging dann aber und knallte die Tür hinter sich zu. Einige Sekunden vergingen und mir fiel ein, dass ich ganz vergessen hatte, dass Gina auch noch da war. Oh. Ohhhh. Oh-oh. Sie... wusste jetzt, dass Vylanara und Naryc mich schlugen. Oder zumindest von Vylanara wusste sie es jetzt. Zögernd biss ich mir auf die Lippe, sandte mein Gespür aus und versicherte mir, dass Vylanara weit genug weg war - außer Hörweite. Dann flüsterte ich: "Gina?"
Kurze Stille.
Dann kam Gina unter meinem Bett hervor, die Wange tränennass. "Sie tut dir weh!", schluchzte sie, kam zu mir und umarmte mich. "Sie... Sie ist böse zu dir. Richtig böse." Ihre zarten Schultern bebten. "Oh, Gina.", murmelte ich, kniete mich hin und zog sie ganz fest zu mir. "Das ist sie. Aber dich liebt Mum. Und Dad liebt dich auch." "Ja!", stieß sie, immer noch schluchzend, hervor. "Aber dich haben sie nicht lieb!" "Nein. Mich haben sie nicht lieb.", ich schüttelte den Kopf. "Aber das müssen sie nicht. Ich brauche ihre Liebe nicht." "Wieso?", Gina rückte ein bisschen von mir ab und sah mich an, die hellblauen Augen glasig von Tränen. "Weil du mich lieb hast, Gin. Das reicht. Mehr Liebe brauche ich nicht. Nur deine.", gab ich sanft zurück. Meine Schwester lächelte ein bisschen. "Du bist mein Held.", flüsterte sie. "Und ich werd dich immer lieb haben, auch wenn Mum und Dad dich nicht lieb haben.", sie zögerte. "Muss ich die beiden... jetzt auch nicht mehr lieb haben? Weil du hast sie nicht lieb." "Nein, Gina. Du sollst sie sogar weiter lieb haben. Und... du darfst dir nicht anmerken lassen, dass du das hier gesehen hast.", ich strich ihr liebevoll die Tränen von den Wangen. "Mach ich. Ich werd's versuchen.", sie blinzelte, weitere Tränen rannen ihr Gesicht hinab. "Tu das. Tu es für mich, Gina.", antwortete ich sanft. Sie schluckte und schenkte mir ein zittriges Lächeln. "Mach ich, versprochen. Für dich würd ich alles tun." Ebenfalls lächelnd drückte ich sie noch mal kurz an mich. "Danke. Jetzt komm, Mum hat vergessen, die Tür wieder abzusperren. Am besten gehst du jetzt zu ihnen runter.", fuhr ich fort, stand auf und wir gingen zur Tür. Vorsichtig öffnete ich sie und lauschte kurz. Nichts. Nur unten, entfernt, vernahm ich die Stimmen derer, die ich meine Eltern nennen musste. "Ich sag ihnen, dass ich schon seit einer Weile wieder hier bin. Vom Spielen zurück.", Ginas zarte Gesichtszüge nahmen einen entschlossenen Ausdruck an. "Mach das, Gin.", bestärkte ich sie, sie huschte aus meinem Zimmer. "Vergiss nicht, dass ich dich lieb hab.", sagte sie leise. "Ich dich auch. Vergiss auch du das nicht.", erwiderte ich zärtlich. Sie lächelte, nickte und machte sich auf den Weg nach unten. Kurz verharrte ich noch, bevor ich die Tür schloss. Mit einem Seufzen ging ich wieder in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett. Müde stützte ich mich auf meine Beine. Ein Zittern durchlief mich, dann vergrub ich das Gesicht in den Händen und schluchzte. Jetzt hatte ich es doch getan; Ginas Vertrauen in unsere Eltern zerstört. Was war ich nur für eine toxische Person.
Unerwünscht.
Ungewollt.
Unnötig.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt