63. Kapitel (Albus): Das Treffen

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In dieser Nacht konnte ich (mal wieder) nicht schlafen. Also stand ich (mal wieder) draußen, in Nurmengards Vorhof und starrte die Sterne an, wie ein Ertrinkender ein Rettungsboot am Horizont.
Müde.
Hoffend.
Verzweifelt.
Morgen wäre der Tag, an dem ich offiziell Coral Everdal belügen musste, damit sie bloß nicht dahinterkam, dass Gellert noch am Leben und Melissa auf unserer Seite war. Morgen. Mir graute es schon davor. Würde sie mich umbringen? Vielleicht. Aber wenn sie ein bisschen so gepolt war wie Travers - oder eher Starling - war sie mehr darauf aus, mich leiden zu lassen. Nicht, mich umzubringen. Zumindest nicht sofort. Ob das jetzt gut oder schlecht war? Gute Frage. Sie fand es vermutlich großartig, ich eher nicht. Naja, es war schon irgendwie logisch, dass wir in dieser Sache geteilter Meinung waren. Coral Irina Everdal. Sie musste, genau wie Sam früher, eine ganz normale Aurorin gewesen sein. Hatte Sam sie zu seiner Nachfolgerin bestimmt? Sicher nicht. Wie ich ihn gekannt hatte, hatte er sich mit solchen Dingen immer Zeit gelassen. Mindestens drei Monate. Doch so lange war er gar nicht Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung gewesen. Nein. Ich war mir ziemlich sicher, dass unser Zaubereiminister, Andrew Wildblade, Coral Everdal ernannt hatte. Denn Sam... Sam hätte das nie getan. Er hatte jede Wette gewusst, welche Einstellung Coral Everdal mir gegenüber gehabt hatte. Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke, ich zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Und wenn Sam keinen Nachfolger ernannt hatte, weil es keinen passenden gab? Denn er hatte von mir und Gellert gewusst, er hatte gewusst, dass Gellert das größere Wohl nicht weiter verfolgte. Konnte es sein, dass er nie einen Stellvertreter ernannt hatte, weil er gewusst hatte, dass niemand es je verstanden hätte? Mir war klar, dass Sam alles getan hatte, um Gellert und mich vor dem Zorn des Ministeriums zu schützen, so gut er konnte. Vor allem mich. Weil Gellert und das Ministerium... Das würde in diesem Leben nicht wieder besser werden.
Gedankenverloren stützte ich mich auf die Stahlstreben und seufzte.
Durch die Tatsache, dass Sam immer ein Befürworter von mir gewesen war, hatte er sich bestimmt auch in den Reihen des Ministeriums Feinde gemacht und nicht nur den Hass von Starlings Auroren auf sich gezogen. War er sich dessen bewusst gewesen? Bestimmt.
Mit einem Stechen wurde mir klar, was Sam eigentlich für mich gegeben hatte.
Alles.
Er hatte sich im Ministerium unbeliebt gemacht, den Hass von Starlings Auroren riskiert. Und das nur, um dafür zu sorgen, dass ich unbehelligt blieb und Gellert vergessen wurde.
Das hätte er nicht tun müssen. Hatte er aber. "Oh Sam. Du hättest es nicht tun sollen.", flüsterte ich.
Wie immer bemerkte ich ihn erst, als er mir jetzt eine Antwort gab: "Hat er aber, Al."
Ich schluckte. "Gellert."
"Natürlich. Hast du Angst vor morgen?", fragte er sanft, trat hinter mich und legte die Arme um meine Schultern. "Was denkst du denn?", antwortete ich mit einem leeren Lachen. "Klar hab ich Angst. Davor, was Coral Everdal mit mir tun wird. Aber vor allem davor, was sie tun wird, sollte sie irgendwas rausfinden."
"Wird sie nicht.", murmelte er mir ins Ohr, ich spürte seinen Atem. "Wenn doch? Geh immer vom Schlimmsten aus, dann bist du weniger überrascht, wenn's tatsächlich eintrifft.", sagte ich. "Wenn? Nun, dann muss ich wohl von den Toten auferstehen.", erwiderte Gellert, da war ein Grinsen in seinen Worten. Ich zog die Augenbrauen hoch. "Und dann was?" Bevor er antwortete, legte er den Kopf auf meine Schulter, sodass seine Lippen nur noch Millimeter von mir entfernt waren. "Dann? Dann wird der weiße Marmor des britischen Zauberministeriums blutrot werden." "Sag doch einfach: 'Dann bringe ich sie um'.", ich blinzelte. "Ich mag Metaphern.", gab er zurück. "Ich weiß.", ich seufzte. "Siehst du. Aber sie wird nichts herausfinden. Es wird alles... gut gehen." Bei dem letzten Satz klang seine Stimme irgendwie seltsam. Ich wandte ihm den Kopf zu und musterte seine Gesichtszüge im blassen, kalten Licht des Halbmondes. "Was ist?", wollte ich wissen. Sachte schüttelte er den Kopf. "Nichts." "Sicher?", fragend suchte ich seinen Blick. Ohne mit der Wimper zu zucken sah er mich an. "Absolut."
"Gut. Wenn du's sagst.", murmelte ich und nahm den Blick wieder von ihm. Dann seufzte ich noch einmal und ließ den Kopf an seine Schulter sinken. "Klar sage ich das.", er lächelte, das hörte ich an der Art, wie er sprach. Darauf verdrehte ich die Augen. "Arrogant." "Dan-ke. Wirklich sehr freundlich von dir.", antwortete er. Er war mir nicht böse, das bewies der belustigte Unterton in seinen Worten. "Immer doch.", ich entwand mich seinem Griff und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Schweigend erwiderte er meinen Blick, da war kein Lächeln mehr, seine Augen brannten sich in meine. "Pass auf dich auf. Morgen. Ich werde es mir nicht verzeihen, wenn sie dir wehtut.", flüsterte er, seine Stimme war erstickt. "Ich werd aufpassen.", versprach ich ihm. Für einen winzigen Moment lächelte er. "Dann ist es gut." Bevor er weitersprach, machte er eine kurze Pause. "Ich liebe dich.", seine Worte waren noch leiser als zuvor. Ich zwang mich, seinem Blick standzuhalten. "Ich liebe dich auch.", sagte ich flüsternd. Wir küssten uns und in diesem Moment kam es mir so vor, als würden unsere Seelen sich berühren. Als wir uns voneinander lösten, legte er einen Arm um mich, ich lehnte den Kopf gegen seine Schulter. So blieben wir stehen, bis die Sonne ihre ersten, glitzernden, goldenen Strahlen über die schneebedeckten Berge am Horizont schickte und diese langsam aber stetig die Nacht zu vertreiben begannen.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt