80. Kapitel (Gellert): Wie Eis

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Die Zeit verging.
Nurmengards Schutzzauber waren wieder so stark wie eh und je.
Wir alle - Melissa, Albus und ich - hatten aufgehört, die Zeit zu zählen. Natürlich war uns klar, dass mittlerweile November 1940 war.
Die Zeit verging.
Ohne, dass Coral Everdal kam.
Zum Glück. Wobei dieser Frieden, wie immer, an unseren Nerven zerrte. Es war einfach schwer zu ertragen. Die ständige Warterei. Aber ich hatte im Laufe der Jahre gelernt, geduldig zu sein.
"Das hier", sagte Albus "ist definitiv kein Narmenard."
Er, Melissa und ich standen zu dritt an der Mauer, die nach Westen wies. "Nein. Absolut nicht!", pflichtete ich ihm bei. Melissa seufzte. "Narmenard wär's erst, wenn Irena weg wär.", stellte sie fest und stützte den Kopf in die Hände. "Sie regt mich auf.", fuhr sie etwas lebhafter fort. "Ich mein, zuerst tanzt sie hier mit ihren Dämonen an, oder schickt sie her, und dann plötzlich zack! - ist mindestens ein halbes Jahr lang nichts. Jetzt sogar schon länger. Ihr letzter Angriff war immerhin im Februar.", sie schnaubte verächtlich. "Sie will uns halt auf die verschiedensten Arten testen, schon klar. Allerdings, wenn ihr mich fragt, strapaziert sie mit diesem Nichtstun sich und ihre Auroren noch mehr, als uns. Merlin. Es wird wirklich Zeit, dass ich sie umbringe. Oder sonst irgendjemand. Was ist eigentlich mit deinen ehemaligen Akolythen? Sind die noch am Start?"
Ich zuckte die Schultern. "Keine Ahnung. Vielleicht. Ich kann mir aber jedenfalls nicht vorstellen, dass sie aufgegeben haben. Und ich denke auch nicht, dass sie wissen, dass ich noch lebe."
"Warum?", das war Albus, er legte den Kopf schräg und sah mich fragend an. "Ganz einfach.", antwortete ich. "Weil meine Akolythen - mich damals eingeschlossen - nie etwas davon hielten, was der Tagesprophet sagt. Alles, was darin steht, ist sowieso gelogen. Das war unser Prinzip. Deswegen selbst wenn vor einiger Zeit darin gestanden hätte 'Irrtum - Grindelwald doch nicht tot!' dann geben sie keinen Deut darauf. Nicht, weil sie mich nicht zurückwollen. Sondern weil es eben der Tagesprophet ist."
"Was glaubst du, wer jetzt der 'neue' Anführer ist?", überlegte Melissa laut. "Carrow. Oder Grimmson.", erwiderte ich sofort.
Sie zog die Augenbrauen hoch. "Wieso einer von denen?" "Weil", ich grinste ein bisschen "sich die beiden immer mit Vinda um die Position als 'Lieblingsakolyth' gestritten haben. Ich gehe davon aus, dass einer der beiden jetzt an der Spitze meiner ehemaligen Akolythen steht. Welcher, ist die Frage. Abgesehen davon denke ich, dass sie sich jetzt nicht mehr 'Grindelwalds Akolythen' nennen. Ihr erinnert euch an das, was letztes Jahr im Tagesprophet stand, als sie da die vielen Auroren getötet haben. Kurz, bevor meine Todesfluch-Vision sich erfüllt hat? 'Grindelwalds Rächer' hat der Tagesprophet sie genannt. Meine ehemaligen Akolythen mögen nicht glauben, was der Tagesprophet schreibt, doch ein solcher Titel gefällt ihnen bestimmt. So, wie ich sie kenne.", für einen Moment spielte ein bitteres Lächeln um meine Lippen.
"Es ist nicht deine Schuld.", sagte Albus leise. "Nein.", langsam schüttelte ich den Kopf. "Ist es nicht. Dennoch. Es waren meine Akolythen. Über tausend. Einhundert ungefähr habe ich umgebracht. In etwa tausend sind noch übrig. Tausend. Sie wissen nicht, dass ich noch lebe. Das sagt mir mein Gespür. Sie können nicht hierher kommen. Das verhindern die Zauber. Aber all das wird sie nicht daran hindern, Menschen zu töten, wenn ihnen danach ist.", ich blinzelte einige Male. "Sie waren nicht umsonst meine Anhänger. Ich habe nicht umsonst zugelassen, dass sie mir folgten. Sie waren und sind bereit, Gewalt anzuwenden, um zu zeigen, dass sie glauben, der Herrschaft würdig zu sein."
"Der. Herrschaft?", wiederholte Melissa. "Über wen? Die Muggel? Die Zauberer?"
"Alle.", antwortete ich schlicht. "Sowohl die Herrschaft über die magische als auch über die nicht-magische Welt. Wenn sie sich noch an das halten, was ich ihnen in die Köpfe gesetzt habe - und davon gehe ich aus - dann geht es ihnen vor allem darum, die Zauberer über die Muggel zu erheben. Auch wenn sie natürlich damit beschäftigt sind, nebenbei alle zu töten, die dem im Weg stehen könnten."
"Aber wie?", Melissa schüttelte verständnislos den Kopf. "Wie kommt man zu solch einer Weltansicht? Das ist doch komplett irre! Ich meine ja, das Verstecken nervt. Jeden. Aber mit Gewalt... Irrer geht's doch gar nicht!" "Vermutlich hast du Recht.", stimmte ich ihr zu und grinste schwach. "Aber zu meinen gefährlichsten Zeit... Wir hatten genug davon, uns zu verstecken. Wir hatten genug davon, dass das Ministerium uns befahl, uns zu verstecken. Wir wollten die Freiheit für uns, die wir magisch sind. Ein großer Teil meiner 'Akolythen' sind Reinblüter, wie ich. Es gibt immer bestimmte Reinblut-Familien die... der Meinung sind, sie seien besser als andere. Sogar besser als andere Reinblüter. Ich habe bei meinen 'Akolythen' nie darauf geachtet, ob sie Rein-, Halbblüter oder muggelstämmig waren. Es kam mir nicht auf die Abstammung an. Wichtig war, dass sie Magie hatten. Natürlich, ich habe die Verbindung von Zauberern mit Muggeln verurteilt. Wie hätte ich auch nicht gekonnt, zu einem Zeitpunkt, da ich der Meinung war, dass die Zauberer erhaben und die Muggel wertloser Abschaum waren? Außerdem waren es oft Reinblüter, die sich mir anschlossen, weil sie sowieso eine geringe Meinung von Muggeln hatten oder haben. Halbblüter und Muggelstämmige, bei denen ein, beziehungsweise zwei, Elternteile Muggel sind, waren schwerer für das größere Wohl zu begeistern. Zielte es doch darauf ab, die Art von Menschen zu unterwerfen, die diese Angehörige unserer Welt zu ihrer Familie zählen. Natürlich gab es dennoch Halbblüter und sogar Muggelstämmige, die sich mir anschlossen. Sei es, weil ich sie überzeugt hatte oder weil sie aus irgendeinem Grund zu dem Ergebnis gekommen waren, die Muggel zu hassen. Ich weiß nicht, was einige meiner Akolythen dazu bewogen hat, sich meinen Reihen anzuschließen. Aber sie haben es getan und werden mein 'Erbe' fortführen, bis sie entweder gesiegt oder die Gewissheit haben, dass es sinnlos ist."
"Okay. Das klingt... plausibel und gleichzeitig wirklich irre.", Melissa seufzte. "Meine Rede.", sagte Albus. "Ja. Es ist Wahnsinn.", gab ich den beiden Recht. In diesem Moment durchfuhr ein stechender Schmerz meine Schläfen. Ich sog scharf den Atem und strich mir zögernd meine helle Strähne aus den Augen. "Was ist?", fragte Albus. "Ich weiß nicht.", gab ich langsam zur Antwort. "Es könnte... eine Vision sein. In der Regel schmerzen nur jene, die besonders weit in die Zukunft reichen. Und auch davon nicht alle."
Eine weitere Schmerzenswelle ließ mich nach Luft schnappen. "Okay, es ist defintiv eine Vision.", ich grinste schief. "Stellt euch einfach vor, ihr müsst in Feuer fassen. Ohne Schutzzauber."
"Au!", Melissa sah aus, als bereite ihr allein die Vorstellung ungeheuere Schmerzen. "Jepp. Das trifft es ziemlich gut.", ich lachte ein leeres Lachen. "Tun sie das öfter?", Albus blinzelte. "Ohh, na jaaah", ich blinzelte gegen die nächste Welle von Schmerz an "hin und wieder. Aber ich glaube, das hat sich gleich. Wenn ich sie sehe." Er nickte, trat zu mir und legte einen Arm um mich. Dankbar lehnte ich den Kopf gegen seine Schulter. Die Vision breitete ihren dunklen Schleier über mir aus. Blinzelnd ließ ich zu, dass sie kam.

Only once more || Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt