Kapitel 85

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Als ich am nächsten Morgen neben Lando aufwache, spüre ich sofort ein Kribbeln im Bauch. Die Erinnerung an unser langes Gespräch auf dem Dach von gestern Nacht kehrt zurück.
Der gutaussehende junge Mann neben mir ist jetzt mein Freund. Ein leises Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, doch die Realität holt mich schneller ein, als ich gedacht hätte.
Die Vorfreude auf das bevorstehende Treffen mit Landos Familie vermischt sich mit einem leichten Unbehagen, das sich in meiner Brust ausbreitet. Es ist nicht die Vorstellung, seine Familie zu treffen, die mir Sorgen bereitet. Vielmehr sind es die vielen Probleme, die uns durch diese Beziehung noch bevorstehen könnten.
Früher oder später wird die Presse von uns Wind bekommen. Wir können uns nicht ewig verstecken, und irgendwann werden wir das auch nicht mehr wollen.
Aber was passiert dann? Ich habe keine Ahnung.
Besonders präsent ist die Angst davor, dass die Presse erneut in das Leben meiner Familie eindringen könnte, wie sie es bereits getan hat, nach dem Unfall von Papa.
Mick hat einen guten Umgang mit den Journalist:innen, was aber vielleicht auch an seinem jahrelangen Medientraining liegt. Und ich habe keine Ahnung, was es emotional mit mir macht, wenn der Unfall unseres Vaters wieder präsenter in den Medien wird.
Dazu kommt, dass ich in Monaco am eigenen Leib erfahren musste, wie grausam die Öffentlichkeit zu Frauen sein kann, die an der Seite eines Formel-1-Fahrers auftauchen. Außerdem habe ich im Gefühl, dass ich für die Gerüchte um Charles und mich mir noch teuer bezahlen werde. Wenn ich einem weiteren Shitstorm entkommen möchte, müssen Lando & ich uns zumindest noch eine Weile bedeckt halten. Und ich Abstand zu dem Ferrari-Driver wahren.

Seit unserer Abreise aus Österreich habe ich meine mobilen Daten deaktiviert und meinen Engsten gesagt, dass sie mich anrufen sollen, wenn sie etwas brauchen.
Ich wollte einen klaren Kopf bewahren und mich nicht von den Schlagzeilen rund um den Österreich Grand Prix beeinflussen lassen.
Wem ich von meinem Vorhaben nichts berichtet habe, ist Charles. Der gerade anruft, als ich an ihn denke.
Während ich den Anruf annehme, frage ich mich, was Charles mir nach seinem Auftritt in Spielberg und meiner anschließenden Abreise nach England mit den McLaren-Jungs zu sagen hat.
"Hast du's schon gesehen?" Charles' Stimme am anderen Ende der Leitung klingt ungewohnt distanziert, als ich abhebe.
Ich lehne mich gegen das Geländer des Balkons und lasse den Blick über die stillen, morgendlichen Felder schweifen. Die Morgenluft ist warm an diesem 2. Juli und doch vermag sie die Kälte nicht zu vertreiben, die sich in meinem Magen ausbreitet.
"Ich war seit Sonntag nicht mehr online. Ich hab schon befürchtet, was kommt." erkläre ich bemüht ruhig.
Charles hat mich gewarnt, wenn auch nicht auf die einfühlsamste Art und Weise. Deshalb möchte ich jetzt auch gelassen wirken.
"Das Bild von Lando und dir war gestern auf allen Titelseiten, direkt neben der Story über Max' und Landos Crash. Ein gefundenes Fressen für die Presse."
Ich schlucke und Charles bemerkt, dass ich nicht antworte, weshalb er es für angemessen hält, noch einen draufzusetzen: "Darunter findet man auch die ganzen Fotos von dir mit Carlos und Oscar. Du weißt, was ich davon halte."
Ein frustrierter Seufzer entweicht mir.
"Diese Gerüchte sind gefährlich, Emilia. Sie haben mich zwar kurz aus dem Fokus genommen, aber jetzt stehen du und dein Ruf im Feuer."
"Gott, haben die alle so ein langweiliges Leben?" Meine Stimme ist schärfer, als ich beabsichtigt habe, aber ich kann die aufkommende Wut nicht unterdrücken. Dass Charles mir das ausgerechnet jetzt aufdrängt, wo ich mich doch eigentlich um eine stabile Basis mit Lando bemühen sollte, passt mir nicht. Doch ich darf's ihm nicht übel nehmen, schließlich weiß ich, dass er es nur gut meint. Er versucht mich zu schützen, so wie er es immer getan hat, und das in einer Situation, die er selbst nicht mal kontrollieren kann.
"Emilia, ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber ich mache mir Sorgen. Dein Name wird in einer Art und Weise in den Dreck gezogen, die nicht nur für dich, sondern auch für deine Familie und Lando schädlich sein könnte."
Für einen Moment bin ich versucht, einfach aufzugeben und zu sagen, dass es mir egal ist.
"Es ist nur..." Ich atme tief durch und senke die Stimme. "Charles, ich weiß, du willst mir helfen, aber im Moment kann ich das alles nicht gebrauchen. Ich bin mit Lando nach England gekommen, um unsere Beziehung zu festigen. Ich werde seine Familie kennenlernen, und das ist schon stressig genug. Ich kann mich nicht auch noch um das Chaos kümmern, das die Presse veranstaltet."
Am anderen Ende der Leitung ist es kurz still, dann spricht Charles wieder, diesmal jedoch mit einer kühlen Distanz, die mir nicht entgeht.
"Alles klar. Ich wollte dich nicht zusätzlich belasten. Aber ich denke du solltest vorgewarnt sein, vor dem Silverstone Grand Prix."
Damit legt er auf. Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, ohne sich zu verabschieden.
Ich starre einen Moment lang auf mein Handy und spüre, wie sich ein schweres Gefühl in meiner Brust ausbreitet. Charles' Verhalten irritiert mich. Er war immer derjenige, der Verständnis zeigte, der mich unterstützte, als wir beide mit unserer Vergangenheit kämpften.
Unsere Freundschaft entstand in einer Zeit, in der wir beide uns keiner neuen Person öffnen konnten, gefangen in den Schatten unserer Vergangenheit.
Und jetzt? Jetzt habe ich es irgendwie geschafft, eine neue Beziehung einzugehen, während Charles anscheinend noch immer an der gleichen Stellen feststeckt.
Ist er verletzt und verhält sich deshalb so? Oder ist es etwas anderes?
Vielleicht ist seine unterkühlte Reaktion ein Zeichen dafür, dass ihm diese neue Dynamik zwischen uns nicht passt – dass er sich durch meine neue Beziehung auf eine Weise zurückgesetzt fühlt, die ihn selbst überfordert.
Ich schüttele den Kopf, versuche, den Gedanken zu verdrängen, doch er bleibt.
Mit einem tiefen Atemzug gehe ich zurück ins Zimmer, wo Lando noch friedlich schläft. Sein Anblick sollte mich beruhigen, aber Charles' Worte klingen weiter in meinem Kopf nach.
Was, wenn diese Beziehung mehr verändert, als ich geahnt habe?

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