Kapitel 90

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Noch zwei Rennwochenenden vor der Sommerpause, die wir alle so dringend nötig haben.
Die kommenden Tage im Prema-Headquarter in Mailand sind vollgepackt und chaotisch. Ich verbringe meine Zeit von morgens bis abends in Meetings. Ob mit Kolleg:innen, um die Übergabe zu planen, die bevorsteht, wenn ich das Team am Jahresende verlasse, oder mit Sponsoren, die sich Sorgen um die Zukunft des Teams machen. Denn wahrscheinlich bin ich nicht die Einzige, die Prema verlassen wird, und im Vergleich zu unseren beiden Fahrern Ollie und Kimi bin ich wohl die Unbedeutendste. Während Kimi noch auf den Sitz bei Mercedes hofft und darauf, dass Carlos bald seine Entscheidung bekannt gibt, klopfte während des Silverstone-Wochenendes das Haas-Team bei Prema an, um Ollie für die nächste Saison unter Vertrag zu nehmen. Ihr könnt euch also vorstellen, was hier im Headquarter in Mailand los ist.
Die Bekanntgabe soll am Hungaroring übernächste Woche stattfinden und bis dahin gibt es Einiges zu tun.
Die Luft im Headquarter ist geladen mit Erwartungen und Unsicherheiten. Telefonate mit Sponsoren und Investoren, die Klärung von Vertragsdetails und endlose Diskussionen über die Zukunft des Teams füllen jeden Tag bis zum Rand. Zwischendrin fallen immer wieder Worte wie "Aufstieg", "Karrierewechsel" und "Teamumbau". Es ist, als wäre das gesamte Team in einem permanenten Schwebezustand.
In den wenigen freien Momenten, die ich habe, merke ich, wie sich eine gewisse Melancholie in mir breitmacht.
Der Gedanke, Prema bald zu verlassen, fällt mir schwerer, als ich erwartet hätte. Dieses Team, für das mein Bruder einst gefahren ist, für das ich so viele Sommer gearbeitet habe, und das mir vor rund einem Jahr meine erste Festanstellung im Rennsport anbot, hat mich mehr als geprägt.
Und obwohl ich weiß, dass es Zeit ist, weiterzuziehen, und, dass bei Mercedes ganz Großes auf mich wartet, fühle ich mich überfordert.
Der erste richtige Job, der Umzug nach Mailand und nicht zuletzt die Nähe zu Micks Arbeitsplatz, waren letztes Jahr wie eine Rettungsleine für mich. Ich konnte London und all die schlimmen Erinnerungen hinter mir lassen und fand hier den nötigen Halt. Und jetzt, wo ich diesen sicheren Ort verlassen soll, um zu Mercedes zu gehen, fühle ich mich überwältigt von der Angst vor dieser Veränderung.

"Es fühlt sich an, als wäre ich in einem endlosen Strudel von Erwartungen und Urteilen gefangen." sage ich schließlich und blicke von meinem Kaffee auf, hin zu meinem Bruder, der mir in diese Coffeeshop im Herzen Mailands gegenüber sitzt.
Die neuesten Bilder von Charles und mir, die durch die Medien geistern, haben die Situation nur noch verschärft.
Es ist Freitagnachmittag, das freie Wochenende vor dem Ungarn Grand Prix, und mein Bruder besucht mich übers Wochenende.

"Als Frau in der F1 an Charles zu geraten, ist fantechnisch echt das Schlimmste, was dir passieren kann

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"Als Frau in der F1 an Charles zu geraten, ist fantechnisch echt das Schlimmste, was dir passieren kann." stöhne ich auf und versuche gar nicht erst die Verzweiflung in meiner Stimme zu unterdrücken. Mick nickt mit finsterem Blick.
"Das war schon immer so. Jede Frau, die man an seiner Seite sieht, wird zum Feindbild."
Er blickt auf meine Hände, mit denen ich zwar die Kaffeetasse umklammere und somit versuche das Zittern zu unterdrücken, doch es klappt nicht.
Die letzten Tage bei Prema haben mich gut abgelenkt, doch jeden Abend lasse ich mich aufs Neue in die Flut von Meinungen und Kommentaren auf den F1-Fanpages ziehen. Die alten Gerüchte aus Monaco schwappen wieder auf. Mir wird erneut vorgeworfen, mit Charles bloß meinen Vaterkomplex zu stillen, mich an seinen Erfolg zu klammern, da mein Vater keinen mehr hat, und so weiter. Zudem kommt jetzt auch noch, dass ich mich ja nicht entscheiden könne, welcher F1-Fahrer es denn nun sein solle und nicht mal die Finger von den Vergebenen lassen könne. Dabei fällt jedoch nicht nur Oscars Name, sondern zum allerersten Mal auch Georges. Georges und meine Beziehung ist es nicht gewöhnt, von der Öffentlichkeit negativ auseinandergenommen zu werden. Man hat uns stets als Kollegen gesehen, später dann als Freunde, vor allem, da ich mindestens so oft mit Carmen oder beiden zusammen unterwegs war. Doch jetzt zählt das alles nicht mehr. Den Medien und den Fans ist alles Negative was ihnen über den Weg läuft Recht, um meinen schlechten Ruf zu verstärken. Und ich hätte nicht erwartet, dass mich das so sehr beschäftigt.
"Wir müssen die Kontrolle zurückgewinnen." sagt mein Bruder nun bestimmt und sieht besorgt von meinen zitternden Händen zurück in mein Gesicht. "Ich nehm dich in Ungarn mit zu einem Interview-Termin."
Ich sehe ihn zweifelnd an, da ich mir im Moment nichts Schlimmeres vorstellen kann, als mich selbst den Medien zum Fraß vorzuwerfen.
"Es wird nicht leicht, aber du musst die Kontrolle über deine eigene Geschichte zurückgewinnen. Egal, wie wir es angehen, du musst bestimmen, wie über dich geredet wird. Das bist du dir, aber auch unserer Familie und Lando schuldig."
Ich nicke langsam, nehme einen tiefen Atemzug und spüre ein kleines Gefühl der Entschlossenheit in mir aufsteigen.
Dann erscheint eine neue Nachricht von Lando auf meinem Handy.

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