"Wer bist du?", fragt sie. Mir stockt der Atem. Vor genau dieser Frage hatte ich mich gefürchtet.
Was soll ich bloß antworten? Lügen wäre vermutlich keine gute Idee, doch die Wahrheit - dass ich seit Jahrhunderten als Assassine tätig bin - ist vermutlich eine noch schlechtere Idee. Ich öffne gerade den Mund um etwas zu sagen, als ich merke, dass sich meine Wunden schließen. Und genau die größte dieser Wunden - die an der Seite - zeigt genau zu Aisu. Warum muss ich ausgerechnet heute so viel Pech haben?!?
Sie schnappt nach Luft. "Verdammt nochmal, was bist du?" Es tut weh das zu hören - nicht körperlich, aber seelisch. Aber irgendwie ist das ja auch eine berechtigte Frage - weh tun tut es trotzdem.
Es scheint als wäre die Luft von ihrem Geruch durchzogen. Das einzige, das ich rieche ist ihre Angst und ein Hauch von ihrem ganz eigenen Duft, der mich irgendwie an einen frischen Nordwind erinnert. Ich mag diesen eisigen Geruch. Und auch das einzige Geräusch scheint ihr beschleunigter Herzschlag und ihr Atem zu sein. Auch mein Herz scheint den Hauch schneller zu schlagen als sonst - was jedoch nicht viel heißt, da meine Herzfrequenz deutlich geringer als die eines normalen Menschen ist. Ich drehe mich mit dem Rücken zu ihr, schaue über das Meer jenseits der Klippe und fahre mir mit der rechten Hand durchs Haar. Mein vernarbter Rücken mit dem Flügel des Drachen zeigt genau zu ihr.
Ich lächel schwach. "Das wirst du mir vermutlich sowieso nicht glauben...", sage ich leise und sehe nach unten. In meinem Spiegelbild auf der Wasseroberfläche erkenne ich einen goldenen Punkt und als ich genauer hinsehe merke ich, dass mein rechtes Auge sich golden färbt. Komisch. Mein rechtes Auge verfärbt sich zwar je nach Emotion (zum Beispiel bei Wut giftgrün oder bei Freude feuerrot), aber golden wird mein Auge eigentlich nur wenn ich Energie benutze. Hm...sehr komisch.
Ich merke wie ein klein wenig ihrer Angst, etwas Wut Platz macht. "Versuch es doch wenigstens!"
Ich atme tief durch, drehe mich um und schaue ihr in die Augen. "Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich bin ein Werwolf!" Kaum dass ich diese Worte ausgesprochen habe, würde ich sie am liebsten aus der Luft fischen. Das darf sie nicht wissen. Jetzt wird sie mir glauben und sich vor mir fürchten oder mir nicht glauben und für völlig verrückt halten. Mir gefällt keine dieser beiden Optionen. Ich beiße mir auf die Lippen, was bei meinen spitzen Zähnen nicht so angenehm ist.
Aisu schweigt etwa eine halbe Minute und fängt dann an zu ..... lachen? Ja, sie lacht. Das hätte ich jetzt gar nicht erwartet. "Du lachst?", frage ich ungläubig.
"Keine Ahnung was ich erwartet habe, doch das nicht. Aber es würde zumindest einiges erklären. Obwohl.... gibt es denn überhaupt Werwölfe?"
Jetzt fange ich an zu lachen. "Wenn jeder wissen würde wer wir sind, würden wir doch gejagt werden und wären bald ausgerottet. Klar, gibt es Werwölfe."
Der Geruch nach Angst, der von ihr ausging, ist vollkommen verschwunden. Jetzt erfüllt nur noch ihr eisiger Geruch die Luft. Nachdem sie mich etwa dreißig Sekunden fragend anschaut, sage ich: "Lass mich raten: Du willst einen Beweis dafür, dass ich recht habe?" Ich weiß doch, dass sie sogar dann einen Beweis braucht, wenn sie bereits davon überzeugt ist, dass es stimmt und irgendwie spüre ich, dass das hier der Fall ist. Sie glaubt mir.
Sie nickt. "Kannst du haben", sage ich, grinse und gehe ein kleines bisschen in die Knie.
Ich atme tief durch und verwandel mich in einen Wolf.
Aisu macht große Augen. Das kann ich ihr nicht verübeln. Ein nachtschwarzer großer Wolf kann einem schon Angst einjagen.
Doch ich rieche nicht den geringsten Hauch von Angst und sehe auch nichts dergleichen in ihrem Gesicht. Es scheint eher so etwas wie ..... Faszination zu sein. Sie überracht mich jetzt nach so vielen Jahren immer noch andauernd.
Sie kommt ein paar Schritte auf mich zu, bis sie direkt vor mir steht. "Du hast immer noch die gleichen Augen", murmelt sie und krault mir den Kopf. Ich knurre leise und zufrieden. Mein Auge, dass durch die Verwandlung in einen Wolf wieder grün wurde, wird wieder golden. Wie ich das so genau sagen kann weiß ich auch nicht so genau - es ist halt einfach so ein Gefühl. Hoffentlich bemerkt Aisu es nicht.....
Ich lege mich gemütlich etwa eine Wolfslänge vom Klippenrand entfernt hin und Aisu setzt sich neben mich. Sie krault mich weiterhin. So sitzen wir einige Minuten hier und schauen zur untergehenden Sonne. Nach gefühlten wenigen Sekunden fragt sie jedoch: "Wo hast du eigentlich so kämpfen gelernt? Wieso bist du verschwunden?" Ich seufze und verwandel mich zurück. Als Wolf kann ich ja leider nicht antworten.
"Ersteres ist eine lange Geschichte. Letzteres liegt mehr oder weniger an den Männern von vorhin. Sie gehören zu einem anderen Rudel. Ich habe damals ihren jetzigen Alpha, also ihren Anführer, verärgert. Werwölfe regeln das natürlich nicht durch einfaches reden und nach einer Weile war mir klar, dass es vermutlich am sichersten wäre, wenn ich verschwinden würde. Ich dachte ich hätte es jetzt endgültig geklärt, aber das scheint doch nicht so zu sein."
Jetzt hatte ich mich entschieden ihr zumindest die halbe Wahrheit zu sagen. Die ganze Wahrheit wäre wohl keine gute Idee gewesen. Schließlich hatte ich den alten Alpha getötet, weshalb der neue Alpha sich an mir rächen wollte. Na ja, ich hatte den Auftrag bekommen und erst eine ganze Weile später herrausgefunden, dass es ein Alpha war.
"Glaub mir, ich hatte nicht wirklich eine andere Möglichkeit", füge ich leise hinzu.
Sie lächelt: "Nachdem was ich vorhin gesehen habe, bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig."
Puh, da hab ich ja ausnahmsweise mal Glück gehabt. Sie hält mich weder für verrückt, noch für ein Monster und glaubt mir sogar. Wer weiß ob das so bleibt, wenn sie die ganze Geschichte erfahren sollte....
So langsam ist es stockdunkel geworden, weshalb ich Aisu nach Hause bringe. Als Abschied sage ich noch: "Danke, dass du mir glaubst und mich nicht für ein Monster hälst. Und solltest du ein Problem haben, komm zu mir."
Auf der Türschwelle, dreht sie sich nochmal um: "Danke." Nach ein paar Sekunden fährt sie fort. "Du bist kein Monster. Du bist einfach ein kleiner Wolf."
Bei dem 'klein' fange ich an zu lachen und sobald sie im Haus ist, mache ich mich auch auf den Weg.
Der Sonntag verläuft recht ruhig mit etwas Trainig. Kurz vor 23 Uhr stehe ich an der Klippe und warte auf den Dimensionswechsel. Mir will einfach immer noch nicht in den Kopf, wieso Aisu das alles einfach so akzeptier hat. Aber egal.
Ich mache mich bereit die Dimensionen zu wechseln. Doch einen Augenblick bevor dies geschieht, spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehe mich um und genau in dem Moment indem ich die Dimensionen wechsel, sehe ich in Aisus Gesicht.
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Der Wächter der Dimensionen
FanfictionMein Name ist Yuya Shadowhunter. Ich bin keinesfalls normal. Ich mag vieles sein - aber normal gehört ganz sicher nicht dazu. Dementsprechend chaotisch ist auch mein Leben - was nicht nur damit zu tun hat, dass ich hauptberuflich Leute umbringe. D...