Kapitel 6: Trautes Heim - Glück allein? (Teil 3)

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Beim Frühstück fällt mir noch eine wichtige Frage ein. "Du Aisu, kannst du eigentlich reiten?"

"Ähm nö", meint sie ehrlich. Ein Funkeln kommt in meine Augen. "Dann werde ich es dir heute noch beibringen müssen."

Nach dem Essen begeben wir uns zum Stall und begegnen auf dem Weg Julio, als mir etwas einfällt. "Ach Julio, kümmerst du dich darum Proviant und dergleichen? Ich muss Aisu heute noch das Reiten beibringen. Es ist in etwa ein drei-Tages-Ritt. Wenn alles klappt und wir morgen früh aufbrechen, werden wir vermutlich Freitag vormittags ankommen."

"Klar mach ich. Sie nimmt Ice, nicht wahr?", antwortet er.

"Na wen denn sonst? Und wehe du vergisst den Kaffee!" Letzteres füge ich mit einem sehr sehr bösem Blick hinzu.

"Als ob ich jemals deinen hochheiligen Kaffee vergessen würde", lacht Julio und verschwindet.

Beim Stall angekommen fragt Aisu mit einer hochgezogenen Augenbraue: "Hochheiliger Kaffee?!?"

Nun muss auch ich lachen. "Ich bin halt irgendwie immer noch ein Waldläufer. Wir sind halt alle ein kaffeeverrückter Haufen."

Anschließend stelle ich ihr die Pferde vor und zeige ihr auch Ice - ab jetzt ihr Pferd. Sie finden Gefallen aneinander, doch Aisu fragt leicht zweifelnd: "Sie ist zwar sehr schön, aber sind diese Pferde nicht etwas klein? Sind sie überhaupt kräftig genug?"

Jetzt lache ich mich endgültig schlapp. Dieselbe Frage hat uns damals jeder neue Lehrling gestellt - ohne Ausnahme. "Diese Pferde und nicht kräftig genug?!? Das sind echte Waldläuferpferde!!! Es gibt gar keine besseren Pferde. Diese hier könnten tagelang weiterlaufen, beherrschen die unterschiedlichsten Befehle und haben im Prinzip sogar ne Diebstahlsicherung", erzähle ich stolz.

Sanft streichel ich Kages Kopf. Um nichts auf der Welt würde ich ihn wieder hergeben. Bekomme ich noch einen Apfel?  

Ich muss den Kopf schütteln - verfressenes Pferd. "Vielleicht heute Abend wenn du ganz brav bleibst", flüstere ich Kage ins Ohr. Tja, wir Waldläufer haben irgendwie die Angewohnheit uns mit unseren Pferden zu unterhalten. Wieso wir immer noch diese Pferde haben, obwohl es schon lange her ist, dass ich bei den Waldläufern war? Ich kann es selbst nicht so genau erklären, aber irgendwann haben sie aufgehört zu altern und sind uns gefolgt.

"Diebstahlsicherung?", fragt Aisu verwirrt, die zum Glück nichts von meinem Gespräch mit Kage mitbekommen hat.

"Ein Waldläuferpferd muss erst um Erlaubnis gebeten werden, bevor man es reiten darf. Allerdings muss man dies nur beim ersten mal tun und das Pferd merkt sich das dann. Jedes Pferd hat seinen ganz persönlichen Satz."

Aisu nickt ehrfurchtsvoll. Sie scheint den Vorteil der Pferde verstanden zu haben. Anschließend zeige ich ihr wie man die Pferde sattelt und sich darum kümmert. Als wir dann endlich mit den fertigen Pferden draußen stehen, will Aisu gleich aufsteigen doch ich unterbreche sie. "Warte, hast du nicht irgendwas wichtiges vergessen."

Sie überlegt einige Minuten, bis es ihr endlich einfällt: "Ach ja stimmt. Was muss ich denn zu Ice sagen?"

Ich grinse. "théleis éna pagotó. Das bedeutet: 'Willst du ein Eis' auf griechisch."

"théleis éna pagotó", wiederholt sie.

"Zum Pferd und nicht zu mir", antworte ich ihr grinsend. Das ist ein alter Witz bei den Waldläufern, den jeder neue Lehrling zu hören bekommt.

Beshämt dreht sie sich wieder zu Ice um, doch zuvor sehe ich noch einen leichten Rotschimmer auf ihren Wangen und muss lächeln.
Der Rest des Tages vergeht darin Aisu das Reiten beizubringen (sowie einige spezielle Befehle) und der Vorbereitung für die Reise. So kommt es, dass wir auch früh zu Bett gehen.

Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und packen die letzten Sachen in die Satteltaschen - auch unsere Waffen. Meine Schwerter schnalle ich mir auf den Rücken, der Köcher mit Pfeilen wird an einer der Schwertscheiden befestigt, die sieben Dolche - von meinem Lehrmeister bei den Schatten - kommen an meinen Gürtel und ein paar weitere normale in ein Fach der Satteltaschen. Den Bo und mein Bogen werden am Sattel befestigt.

Zu guter letzt gehe ich nochmal in mein Schlafzimmer und hole einen Holzkasten unter meinem Bett hervor. Sanft lächelnd öffne ich diesen Kasten.
Er ist mit smaragdgrünen Samt gefüllt und darin liegen zwei schmale Schwerter - die Schwerter eines Samurai - in schwarzen Scheiden. Ein langes und ein kurzes - beide leicht gebogen.

Das größere nennt sich Katana und das kleinere Wakizashi.


Beide Schwerter verfügen über eine nachtschwarze Klinge und ihr Griff ist mit ebenso schwarzem Leder umwickelt.

Diese Schwerter sind aus dem selben Material, wie all meine Waffen. Ich habe sie allerdings schon ewig nicht mehr verwendet, doch wenn ich mein Versprechen an Julio halten möchte, gehören diese Schwerter dazu. In engeren Räumen sind sie deutlich vorteilhafter als meine langen schweren Doppelschwerter.
Mit einem entschlossenen Blick stecke ich beide an meiner linken Seite in meinen Gürtel - da wo sie hingehören.
Ich nehme die Kiste mit, verstaue sie ebenfalls in meinen Satteltaschen und anschließend reiten wir - alle in schwarze Umhänge gehüllt - los.

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Der Wächter der DimensionenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt