Kapitel 15: Wie war das nochmal? Ehrlich währt am längsten? (Teil 3)

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Mit diesen Worten verlasse ich endgültig das Wohnzimmer.

Wenige Minuten später kommt Julio mir hinterher und teilt mir mit, dass Aisu beschlossen hat sich nicht hinzulegen, sondern nur kurz duschen zu gehen und dann zu uns zu kommen.
Als sie etwa eine halbe Stunde später runter kommt, haben Julio und ich bereits ein reichhaltiges Frühstüch vorbereitet. Ich will gerade aufstehen um abzuräumen, als Aisu sagt: "Bleibt sitzen, ich mach das."

Julio und ich schauen uns wortlos an, zucken mit den Schultern und lassen sie einfach machen. Nach ein paar Sekunden bedeutet Julio mir meinen Schal abzuwickeln. Ich befolge seine Anweisung und er entfernt langsam den Verband. "Keine Verbesserung", murmelt  der blonde Arzt, während er die Wunde an meinem Hals mechanisch untersucht. "Das wird auf keinen Fall bis zu deinem nächsten Kampf mit Heath verheilt sein. Dauert vermutlich noch etwas länger. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich nicht verbrennen sollst? Andauernd muss ich dich wieder zusammen flicken."

"Ein paar Millionen Mal garantiert", beantworte ich seine Frage und rechtfertige mich auch gleich. "Ich gebe mir ja allergrößte Mühe vorsichtig zu sein, aber irgendwie klappt das nicht."

Julio lacht schallend. "Wenn du einen Job hast, kannst du so unglaublich unauffällig sein. Rein und wieder raus ohne das dich auch nur einer sieht. Aber sobald du einen offenen Kampf austrägst, scheinst du alle Vorsicht über Bord zu werfen."
Grinsend zeige ich meine spitzen Zähne. "Wozu Vorsicht, wenn man auch Spaß haben kann?"

"Spaß?!?", fragt Aisu, die sich gerade die Hände abtrocknet, entgeistert. "Was daran soll spaßig sein? Du wurdest schwer verletzt, fast getötet und dann auch noch zu einem Duell auf Leben und Tod herausgefordert! Was soll daran Spaß machen?"

"Eigentlich alles", anworte ich mit leuchtenden Augen. "Ich liebe solche Kämpfe und auch wenn es mir nicht gefällt, dass Heath mich dazu zwingt ihn zu töten oder zuzulassen, dass euch etwas zustößt, freue ich mich auf den Kampf. Es wird kein einfacher Kampf - im Gegenteil! Ich weiß noch nichtmal, ob ich gewinnen kann... Aber genau das ist es, was mich reizt - genau darauf freue ich mich. Für so etwas lebe ich!", versuche ich ihr zu erklären. Ihrem entsetzten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ist ihr das ganze immer noch nicht ganz geheuer.
"Wieso..."

Ich überlege ein paar Momente und antworte dann: "Schwere Frage... Hmm... Wie erkläre ich das am Besten?" Nach ein paar weiteren Momenten fällt mir etwas ein.
"Du liebst es doch surfen zu gehen, nicht wahr? Wieso?"

Von der Frage ein wenig überrumpelt antwortet sie: "Puh... Es macht mir Spaß. Es gibt mir ein Gefühl der Freiheit. Es ist vieles, was mir Zuhause immer gefehlt hat."
"So ähnlich ist es für mich mit dem Kämpfen, auch wenn ich es schon mein Leben lang tue. Es beflügelt mich. Was mit mir passiert ist nicht so wichtig. Ob ich lebe, ob ich sterbe ist nicht wichtig. Solange ich einen guten Kampf bekomme, ist mir egal was mit mir dann passiert."

Ehrlich währt am längsten heißt es doch so schön. Ob mir das hilft ist eine andere Frage. Aisu wird sich nicht so leicht daran gewöhnen, dass ich ein Killer bin. Falls sie es jemals akzeptieren wird.
"Es ist dir also wirklich egal? Wie kann dir dein Leben so völlig egal sein?"
"Hab ich doch schon bei Tazuna erzählt. Das ist noch schwerer zu erklären, als das mit dem Kämpfen. Lassen wir es vorerst dabei, dass in den letzten Jahrhunderten viel passiert ist. Ich hoffe, dass es nie dazu kommt, dass du dies nachvollziehen kannst."

Sie will etwas erwiedern, doch ich unterbreche sie: "Ach ja, von wegen Tod. Sollte Heath gewinnen, versprecht ihr mir dann zu verschwinden? Irgendwo unterzutauchen?"
"Ich pass schon auf sie auf", flüstert Julio mir auf altägyptisch zu. Ich werfe ihm einen dankenden Blick zu und er erwiedert streng: "Zieh dein Shirt aus, ich muss noch die restlichen Wunden untersuchen."
"Ja, ja, Herr Doktor", erwieder ich witzelnd, ziehe jedoch ganz brav mein Shirt aus.

"Wie könnt ihr so ruhig sein?!? Yuya hat gerade gesagt, dass er sterben könnte und ihr macht Witze?"
"Wieso nicht?", zucke ich mit den Schultern. "Wir beide leben eigentlich schon immer mit der Möglichkeit zu sterben. Der Tod ist etwas ziemlich alltägliches für uns. Nur dass es leider nicht so richtig klappt." Ich kann ja schließlich sterben, nur ist es nicht ganz so einfach...
Fassungslos schüttelt sie den Kopf, geht dann allerdings auf den anderen Aspekt meiner Aussage vorhin ein.

"Du glaubst wirklich, dass du verlieren könntest? Ich habe doch gesehen, wie stark du warst. Trotz deiner Verletzungen hast du ihn extrem zurück gedrängt. Müsstest du ihn nicht locker besiegen können?"

"Ähm... So einfach ist das nicht... Das was du gesehen hast ist nicht so wie du es denkst... Stell dir einfach ein Gefäß mit zwei Öffnungen vor. Durch die eine kommt stetig Gas rein, welches nur durch die andere wieder raus kann. Jetzt verschließen wir die zweite Öffnung, aber es kommt immer noch Gas dazu. Es baut sich ein immer größer werdender Druck auf, nicht wahr?"
Aisu nickt, wirkt allerdings ein wenig verwirrt.
"Genau so könnte man diese Kraft vergleichen. Mit den Siegeln habe ich sozusagen den Ausgang verschlossen und genau wie mit dem Gas entweicht es mit einem ziemlichen Druck, aber sobald das weg ist, ist es nicht mehr annähernd so stark. Hast du das so in etwa verstanden?"

"Ich glaube schon..."

"Ähm.. Wie willst du das eigentlich erklären?", fragt Aisu nach ein paar ruhigen Momenten und zeigt auf meinen Rücken, wo Julio seine Untersuchung gerade beendet hat und mir bedeutet meine Flügel auszubreiten, was ich auch tue bevor ich Aisu antworte.
"Gar nicht. Wie sollte ich normalen Menschen erklären, dass ich mich in einer Nacht derart verletzt habe, nicht ins Krankenhaus gehe und alles viel schneller verheilt als normal?"

"Keine Ahnung. Genau das hatte ich gerade gefragt."
"Genau", bestätige ich. "Ich wüsste auch nicht wie ich das erklären soll, weshalb ich es gar nicht erst versuche. Mit etwas Glück wird es nicht einmal jemand mitbekommen."

"Mit deinem Flügel ist alles in Ordnung", stellt Julio fest. "Auch deine anderen Wunden verheilen gut, aber du solltest es in nächster Zeit nicht übertreiben."

Ich bedanke mich bei ihm und ziehe mein Shirt wieder an.
"Sag mal... Du hast dich doch auf deinem Aufrag verletzt, oder?", fragt Aisu skeptisch.
"Ja..."
"Was war das für ein Auftrag?", kommt sie auf den Punkt.

Ungünstig. Sehr ungünstig. "Willst du eine schöne Lüge oder die unschöne Wahrheit, die du ganz bestimmt nicht mögen wirst?", biete ich ihr die Auswahl an.

"Du hast versprochen mich nicht mehr anzulügen", erinnert sie mich.
Ich schaue auf die Uhr und antworte: "Wir müssen los. Wir wollten uns ja noch mit den Detective Boys treffen. Ich erzähle es dir heute beim Abendessen, okay?"

Sie nickt, wir ziehen uns die Schuhe an, werfen uns unsere Taschen über die Schulter und machen uns auf den Weg Richtung Schule.

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Der Wächter der DimensionenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt