Kapitel 19: Der Dark Angel tritt aus dem Schatten (Teil 4)

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"Ich fordere ein vollständiges Groß-Tribunal!"

Nach einem Augenblick des erstaunten Schweigen bricht um mich herum Gemurmel aus.
"Was?!?"
"Das kann doch nicht sein ernst sein."
"Ich habe noch nie alle Fürsten an einem Ort gesehen..."
"Gab es das bisher nicht nur einmal zur Gründung Yaos?"
"Stimmt, seit dem kamen nie wieder alle zusammen. Noch nicht mal im letzten Krieg!"
"Woher nimmst du dir das Recht so etwas zu fordern!"
"Der spinnt ja."
"Wie kann er jetzt noch so etwas verlangen?"

Und noch viel mehr ist um mich herum zu hören. Während ich immer noch mit den Händen in den Hosentaschen entspannt in der Mitte stehe, durchbricht die Stimme des Königs das allgemeine Gemurmel: "Ruhe!"
Mit einem Mal ist es totenstill. Keiner wiedersetzt sich der Autorität, die Royaru ausstrahlt.

"Wieso sollte ich einer so dreisten Forderung zustimmen", fragt er anschließend in die Stille hinein.

Ich höre nun auf zu grinsen und schaue ihn ernst an, während ich antworte: "Ihr werdet darauf eingehen. Im Gegenzug dazu werde ich mich nämlich ohne Gegenwehr von euch in Gewahrsam nehmen lassen."

Erneut bricht Gemurmel aus. Mila, Aisu und Durcerion sieht man den Schock an, als sie meine Worte realisieren. Julios und Lucians Blick verfinstert sich. Sie erahnen meinen Plan und kennen auch die Risiken dabei. Aber ich muss endlich mal etwas unternehmen. Fallatas Mundwinkel gehen leicht nach oben (man könnte es fast als Ansatz eines Lächelns bezeichnen), während unser Vater kurz Überraschung zeigt, sich dann jedoch wieder fängt.
Bevor irgendjemand etwas sagen kann, werfe ich noch mit einem bedrohlichem Funkeln in den Augen ein: "Sollte das Groß-Tribunal allerdings nicht innerhalb von vier Wochen vor mir zusammen kommen, werde ich die Mitglieder selbst aufsuchen."

Ein Schaudern durchfährt die Reihen. Sie erkennen, dass ich es ernst meine. Und dass es als Drohung gemeint ist.
Royaru überlegt ein paar Minuten ehe er seinen Entschluss verkündet.
"Dann soll es so sein. Das Groß-Tribunal wird über deine Zukunft entscheiden. Nehmt ihn fest!"

Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen, als ich mich wie versprochen verhaften lasse. Der erste Schritt meines Plans scheint zu funktionieren. Der Veteran, der gestern Miros Sekundant war, fesselt mir hinter meinem Rücken die Hände mit Handschellen, die die Kraft der Elemente unterdrücken und führt mich zusammen mit dem Kerntrupp der Königlichen Leibgarde ab.
Sie führen mich durch das Haupttor und anschließend einige Gänge entlang und Treppen hinab. Nach mehreren schweren Türen kommen wir zum Wachraum vor der obersten Ebene des Kerkers. Natürlich bringen sie mich hier her.

Nach ein paar Erklärungen überlassen mich die Veteranen dem Wachtrupp und gehen wieder. Einige nervige Minuten und eine Drohung meinerseits später gehen wir endlich durch die nächste (noch schwerere) Tür, hinter der die ersten Zellen liegen. Wir kommen in einen etwa zwanzig Meter langen Flur, den man gemütlich zu zweit nebeneinander entlanglaufen kann. Am Ende des Ganges liegt noch eine Tür, die zu einem weiteren Abschnitt des Kerkers führt. Links und rechts von uns liegen je zwei Zellen, wobei die hinteren ein Stück größer sind als die vorderen. Die Gitterstäbe, die die Zellen vom Gang trennen, sind genau wie die Handschellen, die ich trage, aus einem Material, das die Nutzung der Elemente neutralisiert. Sie stecken ebenfalls in den Wänden, der Decke und dem Boden. Soweit ich weiß konnte dadurch bisher jeder Ausbruch verhindert werden.
All dies hier wurde von meinem Vorfahr - dem Drachentöter - errichtet. Heutzutage könnte das keiner mehr.

"Wird das heute noch was?", frage ich mittlerweile leicht gereizt. Schon im Vorraum haben die uns ewig aufgehalten. Sie wollten mir meine Sachen (dem Protokoll gemäß) abnehmen, doch nachdem ich gedroht hatte sie einen Kopf kürzer zu machen - sollten sie noch einmal meinen Schal oder meinen Gürtel anfassen - hatten sie schnell nachgegeben. Und nun ist diesem Tölpel, der mich in die Zelle bringen sollte, schon zum dritten mal der Schlüssel aus seinen zitternden Händen gefallen. Beim vierten Versuch schafft der junge Wachmann es endlich und löst meine Handschellen, sobald er die Zelle wieder verschlossen hat. Kurz darauf ist er mit den Handschellen wieder im Wachraum verschwunden.

Mit einem Gähnen lege ich mich auf mein Bett, das in einer Ecke steht und verschränke die Arme hinter dem Kopf. Jetzt wäre ein super Zeitpunkt für ein kleines Nickerchen. Ich will gerade meine Augen schließen, als mich eine Stimme aus der Zelle gegenüber unterbricht: "Du hast doch vorgestern gegen mich gekämpft. Bist du nicht ein Sohn des Königs?"

"Hä?", mache ich und lehne meinen Kopf so zurück, dass er vom Bett runter hängt. Kopfüber schaue ich in die Zelle gegenüber. Im Prinzip sieht sie aus wie meine. Ein einfaches Bett an der einen Wand und ein Schreibtisch mit einem einzelnen Stuhl an an einer anderen. An der Rückwand ist die vergitterte Öffnung eines kleinen Schachtes zu erkennen, der ins Freie führt und für die Belüftung zuständig ist. Die tiefer liegenden Zellen sind nicht annähernd so komfortabel eingerichtet und später auch stickiger. Wir sind hier in den obersten, die ursprünglich für höher gestellte Gefangene (wie zum Beispiel Adlige) angelegt wurden. Worum man da einen Unterschied macht, verstehe ich nicht so recht. Aber egal.
Auf dem Bett gegenüber sitzt ein Mann, der durch seine bereits grauen Haare älter scheint. Ich vermute allerdings, dass er kaum dreißig ist. Wirklich auffällig sind nur seine katzenhaften Augen und die Katzenohren. Er ist ein Kitari. Obwohl.... Nein. Er ist nur ein halber Kitari. Ich hatte vergessen, dass ich ihn hatte  hier her bringen lassen.

"Ja", antworte ich einfach. "Und du bist ein halber Kitari, nicht wahr?"
Mein Gegenüber nickt. "Was macht ein Prinz hier im Kerker?"
"Schon mal vom Dark Angel gehört?"
"Natürlich. Er hat die Schlacht vor sieben Jahren, die den Krieg beendet hat, entschieden. Insgesamt sind tausende gefallen, aber auf Seiten der Kitari waren es deutlich mehr. Deshalb wird er auch von beiden Seiten gesucht, aber keiner weiß wer es eigentlich ist."

Ich habe noch nie jemanden so sachlich über den Dark Angel reden hören.
"Das bin ich", erkläre ich monoton.
Seine Augen weiten sich vor Schreck und er fängt urplötzlich an entsetzlich zu husten. Ist er etwa krank? "Geht es dir nicht gut?", frage ich nach.

"Nein, nein geht schon", winkt er ab, nachdem sein Hustenanfall vorbei ist. "Aber das erklärt natürlich einiges. Eins beschäftigt mich allerdings immer noch. Dir hätte es leicht fallen müssen zu fliehen. Also warum bist du dann hier?"

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Der Wächter der DimensionenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt