Kapitel 8: Shadow (Teil 5)

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Mit diesen Worten springe ich aus dem Fenster, breite meine Flügel aus und gleite auf dem Wind - nach einem kleinen Umweg - nach Hause.
Als ich ankomme, ist es bereits kurz nach Mitternacht. Julio wartet dennoch auf mich und wir gehen gemeinsam nach unten.

Während ich meine Waffen zurücklege, fragt Julio: "Und? Was wollte dein Kontakt von dir?"

"Mir drohen mein Geheimnis offen zulegen, womit er höchst wahrscheinlich Aisu umgebracht hätte und/oder ich wieder verschwinden müsste. Nur damit ich den Berater für das FBI und andere Bundesbehörden spiele", antworte ich leicht gereizt.

"Und du hast natürlich zugestimmt", seufzt Julio Kopf schüttelnd.

Während ich mich wieder umziehe und die Verkleidung aufhänge, meine ich bloß schulterzuckend: "Ich hatte keine andere Wahl. Allerdings habe ich ihm klargemacht, dass ich ihn umbringen werde, sollte er es noch einmal wagen mir zu drohen. Das Team vom FBI, dem ich helfen soll, kommt morgen Abend ins Dragons."

"Hab nichts anderes von dir erwartet. Wir können ihnen ja morgen was leckeres kochen."

Typisch Julio. Während ich mir den Ruß aus dem Gesicht wasche, gähne ich zu Julio: "Ich bin totmüde und gehe jetzt gleich ins Bett. Solltest du auch tun."

Julio nickt, wir verschließen die Tür und gehen beide ins Bett. Nach wenigen Sekunden bin ich eingeschlafen.

Ich stehe auf einem Schlachtfeld. Über und über mit Blut besudelt. Meine Zwillingsschwerter in den Händen - ebenfalls mit Blut verschmiert. Ich brauche ein paar Momente um zu verstehen wo ich bin. In Yao. Auf dem Schlachtfeld. Ich wirbel in einem tödlichen Tanz der Klingen. Noch mehr Blut spritzt mir ins Gesicht. Keine zwanzig Meter entfernt sehe ich Astral einen ähnlichen Tanz vollführen. Mein Herz macht einen Hüpfer, als ich ihn sehe. Mein liebster Bruder.
Ein Pfeil saust durch die Luft. Mitten in Astrals Brust. Dann noch einer. Ich sehe dahin, wo die Pfeile herkommen. Ich sehe den Schützen. Ich sehe den Mann, der ihn beschützt. Beide in den Farben meines Vaters gekleidet. Ich blicke wieder zu Astral und sehe wie der dritte Pfeil ihn trifft. Wie Astral langsam auf die Knie sinkt. Wie er endgültig tot zu Boden fällt.
Erst jetzt realisiere ich was gerade passiert ist. Mein Bruder. Astral. Er ist tot. Schon wieder.
Ich schreie.

Schreiend fahre ich aus meinem Traum hoch. Ich schreie, ich schwitze.
Ich höre auf zu schreien und keuche nur noch. Langsam stehe ich auf, ziehe mir über meine Boxershorts bloß eine dreiviertel lange Hose und gehe wieder nach unten in meinen Trainingsraum. Ich habe keine Stunde geschlafen und bin mir ganz sicher, dass ich nicht wieder einschlafen kann. Außerdem will ich nicht schon wieder von Astrals Tod träumen.

Also trainiere ich.

Ich schlage auf Dummies ein (drei gehen noch vor dem Morgengrauen kaputt), mache Kräftigungsübungen und übe Techniken, bei denen ich quer durch den Raum wirbel. Ich lasse Tennisbälle vor mir springen und nagel sie mit Pfeilen an die Wand, um nicht aus der Übung zu kommen. Alles in allem tue ich alles um meinen Körper und meinen Geist auf Trabb zu halten, um nicht wieder an die Schlacht vor sieben Jahren zu denken.
Es hilft allerdings nicht, da andauernd wieder Bilder von dem Tag in meinem Kopf auftauchen.

Ich sehe immer wieder wie Astral von Pfeilen durchbohrt wird. Und ich kann nichts tun. Schon wieder war ich vollkommen hilflos.

Gegen sechs Uhr morgens zerstöre ich (völlig ausversehen natürlich) den nächsten Trainingsdummy und höre hinter mir eine Stimme: "Was hat er dir denn getan? Und die anderen drei in der Ecke da hinten?"

Es ist natürlich Julio, der im Eingang zum Trainingsraum steht. Er scheint gerade erst aufgestanden zu sein, da er auch nicht mehr an hat als ich.
Ohne mich von der Stelle zu bewegen, antworte ich ihm: "Er war zu instabil und stand zur falschen Zeit am falschen Ort."

"Was beschäftigt dich diesmal? Du trainierts nur dann so durchgehend wenn dich etwas quält oder dir langweilig ist und ich glaube kaum, dass dir langweilig ist. Liegt es nur an der CIA oder ist da noch was?" Julio klingt ernsthaft besorgt. Nicht ganz zu unrecht, da er so etwas schon öfters mit mir erlebt hat.

"So offensichtlich?", frage ich ihn zurück.

Er wirft mir einen Nicht-dein-Ernst-Blick zu, antwortet jedoch: "Wie lange kennen wir uns schon? Insgesamt sind es jetzt sicher schon mehrere Jahrtausende. Ich erkenne es wenn dich etwas beschäftigt. Außerdem liegt in der Ecke ein Trümmerhaufen aus Dummies und die Wand gleicht einem Nadelkissen." Letzteres gibt er belustigt von sich.

Ein schwaches Lächeln schleicht sich in mein Gesicht, ich bedeute ihm neben mich zu kommen und wir lehnen uns zusammen an eine Wand.

"Ich hatte einen Albtraum", antworte ich zögerlich. "Einen Albtraum von dem ich gehofft hatte, er sei vorbei."

"Was hast du gesehen? Ich hätte nicht gedacht, dass dich jetzt noch irgendein Albtraum aus dem Konzept bringen könnte. Ging es um Aisu?", fragt er vorsichtig.

Ich schüttel den Kopf. Wie kommt er denn darauf?
"Ich hatte in den letzten drei Nächten zweimal den selben Albtraum und in einer Nacht davon habe ich noch nicht mal geschlafen."

"Worum ging es in dem Traum?"

Ich lehne meinen Kopf nach hinten und antworte langsam: "Ich habe wieder von Astrals Tod geträumt. Nicht dem ersten, sondern dem zweiten. Jedes mal wenn ich meine Augen schließe, sehe ich wie sein Körper von Pfeilen durchbohrt wird. Und ich kann nichts dagegen tun. Die ersten Wochen nach seinem Tod habe ich jede Nacht davon geträumt, doch danach hat es irgendwann aufgehört. Nun ja, bis vor ein paar Tagen."

Julio fasst nach den Ringen um seinen Hals. Ich wollte ihn nicht unbedingt daran erinnern.
"Danach habe ich auch eine ganze Weile Albträume gehabt", murmelt er.
"Tut mir leid. Ich wollte dich nicht daran erinnern. Ich wünschte nur, ich hätte es verhindern können. Beides", entschuldige ich mich, schiebe nach ein paar Sekunden mit schuldbewusster Grimasse jedoch hinterher: "Sagst du mir nun endlich, ob ich es war? Das es ganz allein meine Schuld war, wissen wir beide. Ich will nur wissen, ob ich es selbst getan habe oder ob es nur durch meine Schuld geschehen ist."
Ich blicke ihn entschlossen an. Diese Frage habe ich ihm seit Ewigkeiten nicht mehr gestellt.

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Der Wächter der DimensionenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt