Kapitel 8: Shadow (Teil 6)

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Julio fasst nach den Ringen um seinen Hals. Ich wollte ihn nicht unbedingt daran erinnern.
"Danach habe ich auch eine ganze Weile Albträume gehabt", murmelt er.
"Tut mir leid. Ich wollte dich nicht daran erinnern. Ich wünschte nur, ich hätte es verhindern können", entschuldige ich mich, schiebe nach ein paar Sekunden mit schuldbewusster Grimasse jedoch hinterher: "Sagst du mir nun endlich, ob ich es war? Das es ganz allein meine Schuld war, wissen wir beide. Ich will nur wissen, ob ich es selbst getan habe oder ob es nur durch meine Schuld geschehen ist."
Ich blicke ihn entschlossen an. Diese Frage habe ich ihm seit Ewigkeiten nicht mehr gestellt.

Meine Arme habe ich auf meinen Knien abgelegt, sodass Julio (der links von mir sitzt) meinen rechten Unterarm gut sehen kann. Eben diesen mustert er auch gerade ausgiebig. Um genau zu sein eine Narbe, die sich über mehrere Namen zieht. Es ist die einzige Narbe auf der Innenseite meines Unterarms, vermutlich die einzige, die je Namen dieser Todesliste verdecken wird. Sie verdeckt genau die Namen, nach denen ich Frage. Na gut, ich kann nicht mal erkennen, ob diese etwas mehr als ein Dutzend Zeichen Striche oder Namen sind.

"Nein", sagt Julio langsam, entschlossen und ernst. "Ich habe dir schon damals gesagt, dass ich dir diese Frage nicht beantworten werde. Außerdem gebe ich nicht dir die Schuld daran."

Er schaut mir die ganze Zeit nicht direkt in die Augen.
Seufzend stehe ich auf und halte ihm meine Hand hin. "Darüber werden wir uns wohl auf ewig uneinig sein. Komm, lass uns etwas trainieren. Ich will meinen Kopf leer kriegen."

"Geht mir genauso", seufzt Julio, nimmt meine Hand und lässt sich von mir hochziehen. "Na dann lass uns mal loslegen."

Und somit beginnen wir mit einem der härtesten Trainingskämpfe seit langem. Eine gute Stunde später gehen wir rauf und duschen kurz, um anschließend zum Dragons zu gehen.
Na ja um genau zu sein humpel ich ein wenig, da mein Bein bei unserem Kampf leicht geprellt wurde. Genau wie Julios rechter Arm.
Na ja, wir sind Werwölfe, also wird es relativ schnell verheilt sein.
Julio und ich wechseln uns heute mit dem Kochen ab.

So kommt es, dass ich gegen acht Uhr abends den letzten Kunden des Tages verabschiede (wir machen heute wegen den Leuten vom FBI ein wenig früher zu), als Aisu mit drei Leuten das Dragons betritt.
Eine indisch aussehende Frau und zwei amerikanische Männer, die beide ebenfalls schwarze Haare haben. Der eine hat kurze Stoppelhaare und die des anderen sind schulterlang. Bei dem mit den kurzen Haaren sehe ich eine Marke des FBI unter seiner Jacke hervorblitzen.
Dem Aussehen und dem Geruch nach müssten sie Brüder sein.

Meine Augen wandern wieder zurück zu Aisu. Sie trägt eine Jeans, ein blaues Shirt und dazu eine hellbraune Jacke.
Nach diesem Moment der Musterung, fragt Aisu verwundert: "Was machst du denn hier Yuya? Ich wusste gar nicht, dass du in einem Restaurant arbeitest."

Ich lächel. Sie schafft es doch immer wieder mich aufzumuntern. Während ich die Gruppe zu einem größeren Tisch nahe des Eingangs führe, antworte ich: "Ich arbeite ja auch nicht bloß hier. Mir gehört der ganze Laden."

"Und wieso arbeitest du dann hier?", hinterfragt die andere Frau.

"Ich habe mehr oder weniger nur einen weiteren Mitarbeiter. Dank gewisser Probleme ist es nicht gerade einfach gute Mitarbeiter zu finden. Nun sag schon Aisu, wen hast du da mitgebracht?"

Sie zeigt zuerst auf die Frau: "Das ist Amita Ramanujan. Wir studieren zusammen an der CalSci und sind gute Freundinnen geworden. Das hier..."
Sie zeigt auf den Bruder mit den längeren Haaren und fährt fort: "...ist Charles Eppes, ihr Doktorvater und ein äußerst genialer Mathematiker, der seinem Bruder..."
Sie zeigt auf dem vom FBI. "...Don öfters hilft. Du musst wissen, dass Don beim FBI ist."

"Hab ich schon an seiner Marke erkannt", werfe ich ein, während ich das OPEN-Schild an der Tür umdrehe, sodass "CLOSED" von außen zu sehen ist.

"Ähm eigentlich warten wir auf jemanden", kommentiert Aisu mein Tun. "Um genau zu sein sind wir deshalb sogar hier. Für uns wurde der Tag in der Uni etwas länger und so beschlossen wir noch gemeinsam was essen zu gehen. Da kam gerade Don vorbei, um Charlie um etwas wegen seinem aktuellen Fall zu bitten. Wir dachten uns, wir laden ihn ein mitzukommen."

Ich öffne den Mund um zu antworten, doch Don übernimmt bereits Aisus Geschichte: "Ich wollte absagen, da ich hier noch jemanden treffen soll, aber dann hat Amita vorgeschlagen, dass wir einfach hier zusammen essen gehen."

Bevor noch jemand weiter reden kann, hebe ich ergebend meine Hände und sage: "Hey, wartet doch mal! Ich weiß doch schon längst, dass Don hier mit jemanden verabredet ist."

"Woher?", fragt Don verwirrt.

"Ich habe dich hergebeten. Du bist mit mir hier verabredet, weshalb ich auch gerade geschlossen habe. So was wollt ihr nun Essen?", antworte ich belustigt.
Ihre Gesichter sind köstlich. Aisu wirft mir lediglich einen das-musst-du-mir-später-alles-erklären-Blick zu, während Charlie und Don lediglich verblüfft sind. Obwohl bei Don noch einiges an Skepsis dabei ist.

Don will was sagen - vermutlich ziemlich nervige Fragen stellen -, doch ich unterbreche ihn: "Bevor ihr irgendwelche Fragen stellt, sagt was ihr essen wollt. Dann beantworte ich euch eure Fragen."

"Ich wollte zwar eigentlich asiatisch essen, aber habt ihr etwas von deinem genialen Eintopf?", fragt Aisu bettelnd.
"Gerade noch so."
Don will diesen von Aisu so gepriesenen Eintopf ebenfalls probieren und auch die anderen bestellen. Ich schreibe alles auf, gebe mit diesem Zettel zu Julio und erkläre ihm kurz die Situation.
Er nickt, liest sich kurz die Bestellungen durch und fragt dann verwirrt: "Für wen ist denn die doppelte Portion gebratener Eierreis mit Gemüse und Hähnchen?"

"Ich hab halt Hunger", antworte ich unschuldig. "Ich werde erst mal einige Fragen beatworten müssen, also mach dir auch was zu essen und komm dann doch mit nach vorne."

Er stimmt mir zu und ich setze mich zu den anderen.

"Also du bist nun der Experte was Projekt Shadow angeht? Der, den die CIA geschickt hat?", fragt Don skeptisch.
"Moment CIA? Wie bist du überhaupt zur CIA gekommen? Du bist schließlich nicht älter als wir und Aisu hat nie etwas in der Richtung erwähnt, obwohl sie viel über dich geredet hat", wirft Amita noch ein.

Ich kann solche Fragen einfach nicht ab. Dennoch antworte ich: "Ja, ich bin der Experte zu Shadow. Und Aisu konnte nichts über meine Zugehörigkeit erzählen, da sie nichts davon wusste. Ich war schon lange bei den Navy SEALS und durch einige Zufälle bin ich an die CIA geraten."

"Du bist ein SEAL?", fragt Charlie verwundert. "Wie kam es denn dazu?"

Ich verstehe, dass er diese Frage stellt, schließlich sehe ich auf den ersten Blick nicht unbedingt danach aus.
Ich antworte relativ ausweichend, da ich ja schlecht sagen kann, dass ich deutlich älter bin als ich aussehe. "Das ist eine etwas längere Geschichte, also sagen wir einfach ich habe einige Talente, die für sie von Nutzen sind."

Sie scheinen zu verstehen, dass ich nicht mehr dazu sagen werde - ich scheine generell kaum etwas über mich zu erzählen - und Don bringt es endlich auf den Punkt: "Wieviel weißt du über Projekt Shadow?"

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Der Wächter der DimensionenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt