Sixty Nine

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Hasst ihr das auch, wenn Leute sagen, "Ich verstehe dich" oder "Ich weiß wie du dich fühlst"? Ich tue es nämlich. Was fällt denen eigentlich ein? Du weißt wie ich mich fühle? Bullshit. Ist ja nicht so, als ob du vor mir stehst und gehen kannst, während ich im Rollstuhl sitze und dich mit meinen Blicken in Flammen aufgehen lassen will. Ich meine, es ist ja nett, dass du mir 'helfen' willst, aber bitte, du verstehst mich überhaupt nicht. Niemand kann wissen wie ich mich fühle, denn jeder würde anders mit dieser Situation umgehen. Ich hoffe bloß nicht, dass heute alle in die Mitleidsschiene geraten.

Heute ist mein 1.Schultag und sagen wir es mal so, ich wär am liebsten wieder umgekehrt, als das riesen Gebäude in Sicht kam. Ich habe so viel Unterricht versäumt, dass ich die 10. Klasse wiederholen muss. Was aber auch heißt, dass Austin mit mir in einer Klasse sein wird, da er wieder Sitzengeblieben ist. Jai dagegen ist eine Klasse über uns, weil er insgeheim ein kleiner Streber ist. Zugegeben, Alexis und Elena sind auch mit Jai in einer Klasse, also sind eher Austin und ich die Spätzünder.

"Da wären wir, der heiß begehrte Ort, an denen die Jugendlichen Wissen erlernen und auf das Berufsleben vorbereitet werden", seufzt Mom dramatisch und schaltet den Motor aus.

Ich schnaube. "Auch bekannt als die Hölle der Teenager, wo Schülern der Spaß am Leben geraubt wird und mehr Dummschwätzer als Genies rumlaufen", murmel ich und schnalle mich ab.

"Ach nun sei doch nicht so negativ!", sagt sie und steigt, etwas zu motiviert, aus.

Bestimmt ist sie einfach froh, mich in die Schule abschieben zu können. Ich sehe ihr durch den Rückspiegel zu, wie sie meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum holt und öffne die Tür. Sie stellt ihn vor mir ab und zieht die Bremsen an, ehe sie mir in den Stuhl hilft.

"Willst du noch auf deine Freunde warten?", fragt Mom und während sie neben mir her zum Schultor geht.

Ich nicke, "Das wäre wahrscheinlich am Besten."

Schon jetzt fühle ich die Blicke auf mir, was mich innerlich zusammenzucken lässt. Äußerlich verziehe ich jedoch keine Miene. Als wir stehen bleiben, nutze ich die Gelegenheit und rücke meine Mütze wieder zurecht, ohne welche ich heute nicht aus dem Haus gegangen wär. Es ist schon schlimm genug, dass man mich wegen meines Rollstuhls anstarrt, da muss ich ihnen nicht noch einen extra Hingucker geben. Klar, meine Haare sind schon wieder um ca. 1cm gewachsen, aber man sieht immer noch meine Narbe am Hinterkopf.

Mom berührt sachte meine Schulter und lächelt mich aufmunternd an. "Du packst das schon."

"Ich weiß. Aber kann ich nicht doch lieber noch einen Tag Zuhause bleiben?", schmolle ich.

Doch sie zieht lediglich eine Augenbraue hoch. "Nein."

Bevor ich noch etwas sagen kann gibt sie mir einen Kuss auf die Wange und umarmt mich, ehe sie mir einen schönen Schultag wünscht und wieder in das Auto steigt. Kurz winkt sie mir noch zu, dann fährt sie auch schon weg. Am liebsten hätte ich ihr hinterher gerufen, dass sie mich wieder mitnehmen soll und dass ich das alleine nicht schaffe. Aber Austin müsste bald hier sein und dann könnten wir ganz schnell zum Unterricht flitzen. Ich lasse meinen Blick umher schweifen und sehe das fast alle Blicke auf mich gerichtet sind. Sie alle stehen in ihren Grüppchen und tuscheln. Nervös trommle ich mit meinen Fingern auf den Beinen.

Ein Junge, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, winkt mir plötzlich zu. Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen und versuche ihn so gut es geht zu ignorieren, doch der Typ kommt trotzdem geradewegs auf mich zu.

"Hey, Du!", lächelt er und hält mir die Hand hin, "Ich bin Logan."

Ich gebe ihm kurz die Hand, ziehe sie aber gleich wieder zurück. "Kai", murmel ich kurz gebunden.

Steps of WeatherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt