Epilog

5.8K 309 215
                                    

Hier stehe ich. Nicht im Stande, etwas zu sagen oder gar hinzusehen. Es ist jedes Mal dasselbe Spiel. Mit geschlossenen Augen lasse ich mich langsam nieder, und schlage die Augen erst auf als ich das Grass unter meinen Händen spüre. Mein Blick fällt zunächst auf meine Blumen, welche ich fallengelassen habe, es waren weiße Pfingstrosen, die mir im Laden sofort aufgefallen waren. Sie hätten ihm gefallen, da bin ich mir sicher. Ich hebe sie zaghaft vom Boden auf und seufze einmal tief, ehe ich endlich den Mut aufbringe, nach vorne zu schauen.

„Was machst du nur mit mir Weather", murmle ich und lasse mein Blick über sein Grab schweifen. Heute ist sein Geburtstag. Am liebsten würde ich es ihm auch sagen, aber das kann ich nicht, außerdem weiß er es sowieso. Mit einem Stirnrunzeln pflücke ich ein paar Blätter, die sich auf seinem Grab verirrt haben und zupfe hier und da das Unkraut weg. Auch sein Grabstein glänzt nicht mehr so wie bei meinem letzten Besuch, innerlich verfluche ich mich dafür, meinen Lappen Zuhause vergessen zu haben. Doch später werden noch seine Eltern, Jai und Austin kommen, einer wird schon etwas dabeihaben. Wie jedes Mal bin ich früh hier, früher als alle anderen, um etwas Zeit mit ihm alleine zu verbringen und vielleicht auch weil ich es nicht übers Herz bringe, meine Trauer mit ihnen zu teilen. Es ist das Einzige voran ich mich noch festhalten kann, das Einzige was mich jetzt noch an ihn bindet.

„Ich habe Angst", flüstere ich und starre seinen Stein an, als würde er selbst mir gegenübersitzen. „Ich habe Angst mein Leben weiterzuleben", fahre ich fort, „ich möchte dich nicht vergessen, oder durch jemand anderen eintauschen. Bei Finn habe ich es getan und ich hasse mich dafür. Weather, sag mir was ich tun soll!"
Ich hatte es zuvor noch nie laut ausgesprochen, aber ich fühle mich immer noch so, als ob ich Finn hintergangen hätte, weil ich Kai liebte, weil ich Kai immer noch liebe. Ich liebe beide, und beide sind mir genommen wurden. Das kann und will ich nicht ein drittes Mal miterleben.

„Vielleicht möchte ich mein Leben auch gar nicht weiterleben", spreche ich die Worte aus, die mir seit seinem Tod im Kopf rum schweben.

Es ist wahr, vielleicht will ich das gar nicht oder vielleicht bin ich einfach noch nicht bereit dazu? Es ist ein Jahr her, seit Kai mich, uns alle verlassen hat. Ich bin in eine kleine Wohnung umgezogen, habe alles hinter mir gelassen, bis auf das Hochzeitsfoto, Finns Brief, Finns Pullover, tausend Fotos von Kai, von denen ich kein einziges wegwerfen konnte und meinen Pullover, den Kai sich immer stibitzt hatte. So hatte ich etwas von beiden immer bei mir, so fühlte ich mich nicht ganz so alleine. Doch genauso gut weiß ich, dass beide den Kopf schütteln würden, wenn sie hier wären. Aber sie sind nicht hier. Diese Erkenntnis ist der Grund dafür, dass ich mich seit der Beerdigung geradezu in meine Arbeit stürze und darin versinke. Ich verbringe so viel Zeit wie möglich im Krankenhaus, denn nur so schaffe ich es, nicht über Kai nachzudenken und bewirke gleichzeitig noch Gutes durch meine Arbeit.

„Die Arbeit lenkt mich ab, wenn ich meinen Kittel anhabe, dann ist es irgendwie so, als ob sich in mir ein Schalter umlegt. So, als wäre ich dann ein Superheld oder so. Oh Gott, bitte streich letzteres aus deinem Gedächtnis", ich klatsche mir mit der Hand gegen die Stirn, „Außerdem kannst du deinen Freunden bitte klar machen, dass es mir gut geht und die Arbeit der einzige Grund ist, warum ich meinen Verstand noch nicht endgültig verloren habe. Austin möchte mich unbedingt verkuppeln, weshalb er sich mit meiner Schwester zusammengetan hat, die beiden verstehen sich übrigens prächtig, und Jai möchte mich immer in irgendwelche Clubs schleifen. Mal ganz ehrlich, bin ich nicht etwas zu alt für sowas?"

Nach einigen Minuten der Stille grinse ich, „Schweigen ist ein Zeichen der Zustimmung, Weather."
„Wo wir aber gerade bei Austin sind-", ich unterbreche mich selbst und beiße mir auf die Lippe. Soll ich ihm wirklich erzählen, wie es Austin geht? Er wird sich nur vor Sorge im Grab umdrehen. Aber verdient es, die Wahrheit zu kennen, ich möchte ihm nichts verschweigen.

Steps of WeatherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt