Kapitel 15: Kartoffelsack

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Ich warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Mein Kleid in zartrosé harmonierte wirklich gut mit meinen dunkelblonden bis braunen Haaren, die ich leicht gelockt hatte.

"Hilfst du mir mit der Krawatte?", kam Felix fragend in mein Zimmer.

Ich nickte und versuchte ihm den Schlips zu binden ohne seinen Hals zu strangulieren, was mir eher weniger gut gelang.

"Mia! Was machst du denn da?! Du bringst ihn noch um!", rief meine Mutter auf einmal aufgebracht und kam hektisch in mein Zimmer gestürmt und zuppelte nun an Felix herum, der sich ähnlich wie ich, vor lachen kaum noch halten konnte.

"Was grinst ihr denn so dämlich!", sah unsere Mutter uns strafend an.

"Wir haben dich nur lieb, Mama.", setzte Felix sein unschuldigstes Lächeln auf.

"Aww!", sie blickte von Felix' Krawatte auf und murmelte: "Meine beiden kleinen", während sie uns gleichzeitig in ihre Arme zog, obwohl Felix mindestens einen Kopf größer war als sie selbst und ich Mama mittlerweile auch schon um ein paar Zentimeter überragte.

"Und jetzt hast du schon Abitur.", sagte sie leise an meinen Bruder gewandt und ich könnte schwören, dass eine kleine Träne ihr Gesicht hinunterrann.

Doch nach diesem kurzen Moment, in dem die meine Mutter so etwas wie Schwäche gezeigt hatte, wischte sie sich über die Augen, setzte ein strahlendes Lächeln auf, drehte sich um und lief zurück in den Flur, wo sie Ben bemerkte, der sich schüchtern am Treppengeländer festhielt und in mein Zimmer blickte. Wie lange er wohl schon dort stand?

"Na Ben, sehen deine Geschwister nicht toll aus?", fragte sie ihn und deutete begeistert auf Felix und mich. Ben hielt verunsichert seinen Stoffhasen in den Armen und nickte mit glitzernden Augen, die genauso blau waren wie die von Felix. Meine sahen eher so aus wie die meiner Mutter.

Lächelnd blickte ich zu ihr. Sie stand neben Ben und erst jetzt fiel mir auf, wie kaputt sie eigentlich aussah. Für mich war sie noch immer die schönste Frau der Welt und wenn ich ein Vorbild hätte, dann wäre es sicherlich sie, aber sie machte in diesem Moment einen unglaublich müden und überarbeiteten Eindruck. Dennoch sah sie fast vor Stolz  platzend zu ihren beiden Kindern, die eigentlich schon gar keine Kinder mehr waren.

"Wir müssen unbedingt noch Bilder von euch machen.", stellte sie fest, während sie jetzt aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten in ihr Schlafzimmer rannte, um die Digitalkamera zu holen und uns in den Garten zu dirigieren.

Felix und ich mussten vor den geliebten Rosen unserer Mutter posieren und man sah ihr richtig an, wie sehr sie sich auf den Abend freute. Ich konnte mich garnicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal ausgegangen war. Auf jeden Fall musste es schon lange hergewesen sein.

Auch mit Ben zusammen machten wir ein paar Fotos, obwohl er ein bisschen verloren in seinem Pyjama und mit dem Stoffhasen im Arm aussah, während Felix und ich schicke Ausgehklamotten trugen. Dann machte Ben auch noch ein paar Schnappschüsse von Mama, Felix und mir und anschließend half ich ihm noch eins von dem Abiturienten und der stolzen Mutter zu schießen.

Bevor wir zum Ball fuhren, brachten Felix und ich Ben noch zu unseren Nachbarn George und Mary. Die beiden hatten schon auf uns aufgepasst, als wir klein gewesen waren und sich nun angeboten auch Ben für diesen Abend bei sich aufzunehmen, als wir ihnen seine Geschichte erzählten, denn ein Abiball ist nun wirklich nichts für kleine achtjährige Jungen.

"Mia, Felix, schön euch zu sehen. Hach, ihr seht ja toll aus!", begrüßte Mary uns entzückt. "Und du musst Ben sein. Hallo, ich bin Mary.", wandte sie sich freundlich lächelnd an unseren kleinen Bruder.
"George! Come on! You won't belive how cute the little boy looks!", rief sie in den Hausflur hinein. "Genauso niedlich wie sein Bruder in dem Alter.", grinste Mary Felix an und wuschelte ihm durch seine frisierten Haare.

Der letzte SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt