Weihnachten selbst sollte dieses Jahr etwas von dem Zauber zurückgewinnen, den man als Kind immer mit diesem Feiertag verbunden hatte. Jetzt, wo Ben bei uns eingezogen war, kam dieses Weihnachtsgefühl aus der Kindheit irgendwie wieder zurück. Und nachdem ich mich gestern irgendwie wieder mit Jonas vertragen hatte, sollte heute sowieso ein guter Tag werden. Besonders religiös war unsere ganze Familie nie gewesen, doch an Weihnachten gingen wir jedes Jahr mit unseren Nachbarn George und Mary in die Kirche.Schon seitdem ich denken konnte, feierten wir mit den beiden zusammen Weihnachten. Wir hatten nicht wirklich Familie, außer uns gegenseitig natürlich und da die beiden keine Kinder hatten, die sie an Weihnachten besuchen kommen könnten, saßen wir auch dieses Jahr alle gemeinsam wieder an dem großen Tisch in unserer Küche. Während Mary und meine Mutter sich wie jedes Jahr um das Essen kümmerten, George mit Ben unter dem Tannenbaum saß und ihm von seiner Heimat in England erzählte, wie er es früher auch immer mit Felix und mir getan hatte, saßen mein Bruder und ich am festlich gedeckten Tisch.
Ich bemerkte wie Felix mich skeptisch von der Seite beäugte. Eigentlich hatte ich versucht es so gut wie möglich zu ignorieren, doch als er dann mit diesem wissenden Gesichtsausdruck nach seiner Bierflasche griff, weil selbst Weihnachten für ihn nicht besonders genug war, um wenigstens aus einem Glas zu trinken, konnte ich nicht anders, als ihm einen verwirrten Blick zuzuwerfen.
Mein Bruder setzte daraufhin seine Flasche in einer langsamen Bewegung wieder auf dem Tisch ab und lächelte mir dann förmlich zu. "Wie war deine Party gestern eigentlich?", fragte er mit einem Unterton in der Stimme, der mir bedeutete, dass er anscheinend mehr wusste als ich.
"Gut.", erklärte ich kurzangebunden und konnte mir ein kleines Lächeln dabei nicht verkneifen. "Hättest mitkommen sollen." Doch Felix ging darauf gar nicht weiter ein. "Jonas war auch da, was?", betonte er auffällig unauffällig. Nun griff ich zu meinem Weinglas. "Ja.", antwortete ich ihm, bevor ich es ansetzte, einen Schluck daraus nahm und es in meiner Hand kreisen ließ, um dabei zu beobachten, wie die Flüssigkeit im Glas herumschwappte.
Ich blickte wieder auf und widmete meine Konzentration wieder meinem Bruder. "Wieso?", fragte ich so unbeteiligt wie möglich und streckte mich nach vorne, um das Glas wieder auf der weißen Tischdecke abzustellen.
Augenblicklich breitete sich ein fast schon dreckiges Grinsen auf dem Gesicht meines Bruders aus. "Ich wusste, dass da was läuft. Du siehst so viel glücklicher aus heute. Zumindest glücklicher als in der letzten Zeit."
Ich zuckte die Schultern und unterdrückte ein kurzes Lachen. "Es ist Weihnachten, Felix. Soll ich heulen oder was?"
"In letzter Zeit warst du schon oft schlecht drauf, irgendwie.", merkte er an. Mir war gar nicht so bewusst gewesen, dass es meinem Bruder so stark oder überhaupt aufgefallen war. Schließlich hatte er genug mit sich selbst zu tun gehabt.
Locker winkte ich ab. "Ach, ich hatte einfach viel Stress mit dem Vorabi und so. Immerhin wird's bald ernst.", lächelte ich.
Felix zuckte die Schultern. "Ich hab einfach das Gefühl, dass du dich verändert hast."
"Verändert man sich nicht immer?", merkte ich an.
Er zuckte nur die Schultern und ich hatte keine Möglichkeit mehr weiter darüber nachzudenken, denn Mary kam mit den dampfenden Kartoffeln an den Tisch und rief Ben und ihrem Mann zu, dass wir nun essen könnten.
Auch die restlichen Weihnachtsfeiertage verliefen weitestgehend nach Tradition. Ich tat nicht wirklich etwas anderes als den gesamten Tag im Schlafanzug auf dem Sofa herumzuliegen und das gesamte Weihnachtsprogramm zu schauen, dass das deutsche Fernsehen zu bieten hatte. Außerdem kam spätestens nun die allseits gemiedene "Was machen wir eigentlich an Silvester?" Frage auf und wer hätte es gedacht, fand natürlich mal wieder eine dieser riesigen Partys bei Tom stand. Dass seine Eltern selbst über Neujahr nicht zuhause waren, war eigentlich schon irgendwie ziemlich traurig, doch mich sollte es nicht stören, denn immerhin hieß das, dass ich Silvester nicht meiner Familie auf der Couch verbringen musste.
Es muss irgendwann zwischen den Jahren gewesen sein, ob es nun der 27. 28. Oder 29. Dezember war, konnte ich nicht genau sagen. Geduscht hatte ich sicher schon länger nicht mehr. Meine Mutter war mit Ben zum Supermarkt gefahren um Tiefkühlpizza fürs Abendessen zu besorgen und da Felix seit Stunden sein Zimmer nicht verlassen hatte und ich nicht einmal mehr wusste, ob er überhaupt noch am leben war, blieb mir wohl oder übel nichts anderes übrig als selbst die Tür zu öffnen, als es klingelte.
Zuerst hatte ich gedacht, ich hätte mir das Klingeln nur eingebildet, danach vermutete ich auf einen verirrten Postboten, der noch ein verspätetes Weihnachtsgeschenk abliefern musste. Doch nie im Leben hätte ich mit der Person gerechnet, die letztendlich vor der Tür stand.
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Der letzte Sommer
Teen Fiction"Du bist so wunderschön, wenn du glücklich bist.", hatte er gesagt und dabei in die Ferne geguckt. So, als würde er garnicht mit mir reden, sondern mit dem Universum, dem Himmel oder der ganzen restlichen Welt. Für Mia und ihre Freunde steht das le...