Ich stand noch immer regungslos da. Jonas' Worte hatten irgendetwas in mir getroffen. Er hatte Recht. Er kannte mich. Aber ich hatte das Gefühl, ich kannte ihn nicht mehr. Ihn so derartig von mir zu stoßen, wie ich es getan hatte, war lediglich eine Schutzreaktion von mir gewesen. Ich hätte es nicht ausgehalten, dass er einfach so mir nichts dir nichts aus meinen Leben verschwunden wäre und mich zurück gelassen hätte. Sowas wollte ich nicht mit mir machen lassen.Aber genau das, war ja auf irgendeine Art und Weise schon längst geschehen. Schlimmer konnte es schon fast nicht mehr werden. Ich hatte schlichtweg Angst gehabt, dass Jonas mir zu wichtig geworden wäre. Denn ich wusste, dass ich mir nie die Frage gestellt hatte, ob sich unsere Wege trennen würden, sondern lediglich wann sie das tun würden.
Doch mittlerweile hatte ich das Gefühl, dieser Kontaktabbruch hatte irgendetwas in mir verändert. Ich hatte versucht vor meinen Gefühlen wegzulaufen und Jonas einfach von mir zu stoßen, um mich selbst davor zu schützen, verletzt zu werden.
Aber was mir wirklich wehgetan hatte, war, wie Jonas einfach so aus meinem Leben verschwunden war. Denn auch gegen meinen Willen, war es mir klar geworden. Jonas bedeutete mir etwas. Vielleicht sogar etwas mehr, als mir lieb war.
Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Warum ich mich in den letzten Wochen und Monaten seit unserem Kontaktabbruch so verhalten hatte. Auf diese Partys gegangen war, so viel getrunken hatte und alles auf allen möglichen Kanälen gepostet hatte. Ich hatte ihn eifersüchtig machen wollen. Weil ich eifersüchtig gewesen war.
„Weil ich dich kenne.", kreiste noch immer die Stimme von Jonas in meinem Kopf herum und jagte mir wahnsinnige Angst ein. Weil er mich kannte. Ich entgegnete noch immer nichts, denn egal, was ich jetzt gesagt hätte, es hätte nichts an der Situation geändert.
So stand ich also einfach eine Weile so da und starrte auf den Boden, während Jonas mich anstarrte.
Schließlich gab ich mir einen Ruck und erwiderte Jonas' Blick, der noch immer auf mir lag. Für einen kurzen Moment dachte ich, ich würde gleich ohnmächtig werden, so intensiv war er. Fast so, als würde er direkt durch meine Augen hindurch in mein Inneres sehen, was mir fast schon Angst einjagte. Es machte mich nervös, dass er dort etwas finden würde, das ich lieber in Verborgenheit lassen würde.
„Können wir wieder zurück gehen?", fragte ich unsicher. „Mir ist echt kalt" Jonas nickte nur und setzte sich in Bewegung. Ich folgte ihm wortlos.
Diese merkwürdige Stille zwischen uns war unaushaltbar. Ich richtete meinen Blick wieder auf die vom Schnee nasse Straße.
„Erzähl mal, wie ist es denn so in der neuen Mannschaft.", forderte ich ihn auf, um überhaupt irgendwie ein Gespräch zu starten.
Ich sah wie er kurz die Luft anhielt. Über irgendwelche Banalitäten zu reden würde rein gar nichts bringen und niemandem weiterhelfen. Dessen war ich mir genauso bewusst, wie Jonas. Aber ich hatte gerade einfach keinen Nerv mehr auf irgendwelche Auseinandersetzungen. Ich wollte wenigstens einmal ganz kurz so tun, als wäre alles in Ordnung zwischen uns und außerdem interessierte es mich wirklich, was Jonas so machte, wie es ihm ging und wie es so war in der Bundesliga zu spielen. Ich konnte mir das immer noch nicht so ganz vorstellen ihn bald mit dem Profis zusammen spielen zu sehen. Wahrscheinlich sogar im Fernsehen.
Im Gegensatz zu mir schien Jonas der Idee mit dem scheinbar unverfänglichen Smalltalk nicht allzu viel abgewinnen können, aber nachdem er einmal kurz leise geseufzt hatte, begann er zu erzählen. Es war eigentlich ziemlich geschickt von mir gewesen das Gespräch auf ihn zu lenken, denn wenn Jonas über ein Thema stundenlang reden konnte, dann war es definitiv Fußball.
„Einerseits natürlich total anstrengend und was ganz anderes als in der Schule. Meistens steh ich morgens früh auf, dann erstmal Training vom Internat aus, Schule und danach Training vom Verein. Ich hab meistens noch ne Stunde extra, weil die anderen noch viel, viel besser sind als ich. Für lernen und Hausaufgaben hab ich dann vielleicht nur abends noch Zeit.", begann er zu erzählen.
„Achso, lernen und Hausaufgaben.", schmunzelte ich. „Als ob du sowas jemals machst."
Jonas lächelte mich kurz an, doch dann wurde seine Miene wieder ernster. „Die schmeißen mich raus, wenn ich entweder in der Schule zu schlecht bin oder im Fußball. Und meine Mutter bringt mich um, wenn ich mein Abi nicht besteh. Gute Noten waren Bedingung fürs Stipendium und für meine Eltern.", gab er leise von sich.
Ich hielt kurz inne. Jonas hatte sich wirklich verändert. Er war erwachsener geworden, pflichtbewusster und verantwortungsvoller. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was dieser ganze Druck mit ihm machte. Dieser Druck, immer und überall Leistung zu bringen. Mir schoss eine Frage durch den Kopf, die ich mich jedoch nicht traute auszusprechen. Auch überhaupt etwas auf Jonas zu erwidern konnte ich gar nicht erst, da er gleich weitersprach.
„Aber ich bereu es nicht eine Sekunde. Weißt du wie genial jeden Tag seinem Traum einen Schritt näher zu kommen und wenn man jeden Tag das machen darf, was man liebt?", fragte er mich mit diesem begeisterten Funkeln in seinen Augen. Jonas liebte den Fußball und ich wusste, dass er sich nichts mehr gewünscht hatte, als das, was er gerade hat. Der Fußball war sein Leben.
Doch trotzdem trafen mich seine Worte irgendwo in meinem Inneren. Ich wusste nicht, wie es sich anfühlte, seinem Traum Tag für Tag einen Schritt näher zu kommen, ich wusste nicht, wie es war, wenn sich endlich auszahlte, wofür man jahrelang gearbeitet hatte. Immerhin machte ich bald mein Abitur, das war ja schonmal etwas und dann würde ich anfangen zu studieren. Und ich hatte das große Glück, etwas machen zu dürfen, was mir wirklich Spaß machte. Ich freute mich auf mein Sportstudium und musste kurz lächeln. Das Leben hatte auch für mich noch einiges zu bieten. Das einzige, was dieser Euphorie einen kleinen Dämpfer verpasste, war, dass Jonas nicht in dieser Zukunft vorkommen würde.
Ich sah ihn an, wie er so neben mir herlief und versuchte es zu akzeptieren. Ich versuchte zu akzeptieren, dass wir uns auseinandergelebt hatten. Aber irgendetwas in mir sagte mir, dass er noch immer der Jonas war, den ich kannte. Er war noch immer er und ich war noch immer ich. Auch jetzt noch. Und irgendwie fühlte es sich so normal und so richtig an, mit ihm hier doch die Straßen zu laufen. Ich in seiner übergroßen Winterjacke, die mich mit seinem Duft umhüllte, der mir so gefehlt hatte.
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Der letzte Sommer
Fiksi Remaja"Du bist so wunderschön, wenn du glücklich bist.", hatte er gesagt und dabei in die Ferne geguckt. So, als würde er garnicht mit mir reden, sondern mit dem Universum, dem Himmel oder der ganzen restlichen Welt. Für Mia und ihre Freunde steht das le...