Kapitel 57: 500km

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„Jetzt erzähl doch mal, Mia!", drängte Lina mich zu einer Erklärung meiner Stimmungsschwankungen im Matheunterricht, den ich eben gerade mit einem möglichst unbeteiligten Gesicht verlassen hatten.

„Du siehst aus wie drei Tage Regenwetter, Mia.", teilte Leo mir unverblümt mit. Dieser Charmeur auch wieder.

„Danke", antwortete ich grimmiger, als ich vorgehabt hatte. „Ohhhh", kam es von Leo. „Da hat wohl jemand seine Tage oder was? Immer diese Weiber.", stöhnte er genervt.

„Kannst du dich mal verpissen, oder so?", brachte Greta ihm entgegen. „Ist ja schlimm mit deiner Dummheit."

„Das einzige was schlimm ist, bist du. Immer gibt's gleich Stress, wenn du dich einmischt. War doch alles gut, bis du deine unwichtige Meinung dazugegeben hast.", ein bisschen überrascht über seinen harschen Tonfall war ich schon. Diesmal klang er wirklich ehrlich sauer und nicht wie sonst, nur ein bisschen gespielt beleidigt. Aber so wütend wegen so einer kleinen Sache hatte ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.

„Entschuldige mal bitte, Leonardo. Bist du denn komplett bescheuert, oder was?", schrie Greta nun schon fast. Gott, das eskalierte hier gleich wirklich noch. Wann hatten die beiden sich denn das letzte Mal so gestritten? Musste auch schon wieder ein bisschen her sein.

„An mir liegt es garantiert nicht, dass es gleich Stress gibt, wenn du Scheiße laberst. Irgendjemand muss dich nur daran erinnern, sonst drehst du irgendwann noch vollkommen ab und irgendwie muss das immer ich machen.", wies Greta ihn weiter zurecht.

Leo fixierte seinen Blick an einem Punkt in Gretas Gesicht. Scheinbar um nicht komplett auszurasten, denn nicht nur seine Gesichtszüge verhärteten sich, sondern auch sein Kiefer spannte sich an. Er blieb still als er mit gefährlich langsamen Schritten auf sie zugin. Sogar ich fand, dass Leo wütend immer ein bisschen beängstigend war. Doch Greta, der es sonst vor jeder Art von kleinster Auseinandersetzung graute, machte nicht den Anschein Angst vor Leo zu haben. Im Gegenteil. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schaute Leo herausfordernd und selbstsicher an, was diesen geradezu durchdrehen ließ. Aber er gab alles, dass niemand etwas davon mitbekam.

Mittlerweile stand Leo direkt vor ihr, sodass deutlich würde, dass er sie circa um einen Kopf überragte. Doch Greta ließ diese Tatsache scheinbar unbekümmert, obwohl ihre Sicht durch Leo versperrt würde. Er flüsterte ihr etwas zu, dass wahrscheinlich niemand außer Greta gehört hätte, wenn es nicht so still gewesen wäre, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

„Und ich bin nicht dumm!", erklärte er langsam mit fester bedrohlicher Stimme, bevor er sich schlagartig umdrehte und mit bestimmten Schritten davon ging. Greta ließ er einfach vollkommen verwirrt stehen.

Für ein paar Sekunden traute sich niemand etwas zu sagen. Mir stand vor Staunen der Mund offen und Greta war wie eingefroren.

So standen wir eine Weile lang da, bis Lina schließlich das Schweigen brach. „Was war das denn?!", stieß sie aus.

„Keine Ahnung.", antwortete ich leicht paralysiert, während Greta immer noch unverändert und total verwirrt herumstand. Lina und tauschten einen kurzen Blick aus. Langsam wurde das echt gruselig.

Auf einmal schüttelte Greta sich und wechselte unbefangen das Thema. „Was wolltest du uns denn jetzt erzählen Mia? War irgendwas?"

Kurz war ich noch ein bisschen verdutzt über ihren plötzlichen Stimmungswandel, aber dann nahm mich die Euphorie von vorhin wieder komplett ein. Irgendwie vergaß ich sogar den Haken an der ganzen Sache. Shoutout zu meinen Verdrängungskünsten an dieser Stelle.

Ich musste grinsen wie ein Honigkuchenpferd, als ich gerade ansetzen wollte, um meinen Freundinnen die guten Neuigkeiten zu berichten.

„Es geht um Jonas.", stellte Greta mit einem wissenden Lächeln fest.

Der letzte SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt