Kapitel 66: breakdown

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Ich schaffte es mit meinem tränenüberströmten Gesicht noch bis von der Auffahrt, damit ich außer Sichtweite des Hauses und somit auch Jonas' Zimmerfensters war, bevor ich mich nicht mehr zurückhalten konnte und bitter zu schluchzen begann. Dicke Tränen versperrten mir die Sicht, doch ich wusste, dass, wenn ich jetzt anhalten würde, ich nicht wieder aufstehen könnte, also lief ich weiter.

Ich hatte es vermasselt. Ich hatte es richtig versaut und es war allein meine Schuld gewesen, weil ich so egoistisch gewesen war, weil ich so dumm gewesen war und die ganze Zeit versucht hatte mich davor zu schützen verletzt zu werden. Doch jetzt war ich diejenige, die Jonas verletzt hatte und das hatte er nicht verdient. Ich fühlte mich so schlecht wie lange nicht mehr, wenn ich mich überhaupt schonmal so schlecht gefühlt hatte.

Als ich nach einigen Minuten Fußweg durch die Stadt die Einfahrt zu meinem Haus hochlief, versuchte ich mich ein bisschen zu beruhigen, damit weder meine Mutter, noch Felix oder Ben merkten, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Ich drehte den Schlüssel im Schloss der Haustür um und wischte mir ein letztes Mal die Tränen aus dem Gesicht und hoffte einfach, dass mir niemand ansehen würde, dass ich geweint hatte.

Im Flur war zum Glück niemand, doch ich meinte Stimmen aus der Küche zu vernehmen. Möglichst leise zog ich meine Schuhe aus und stellte sie zu den restlichen ins Schuhregal, bevor ich die Treppe nach oben in mein Zimmer stieg und in diesem Moment musste ich daran denken, wie Jonas und Felix sich damals angestellt hatten, als ich mit dem roten Top zu der Party gegangen war, auf der wir eigentlich vorgehabt hatten, Lina von diesem widerlichen Alex abzubringen. Doch so weit ich wusste, waren sie immer noch zusammen, obwohl Lina nicht wirklich viel darüber redete oder seit der Sache generell nicht mehr so viel mit uns über sich selbst redete.

Die ganze Sache war sowieso eine total dumme Aktion gewesen, da hatte Leo einmal in seinem Leben Recht gehabt. Doch ich erinnerte mich noch ziemlich genau an diesen Abend, we dieser merkwürdige und sicherlich auch schon längst betrunkene Partyfotograf Jonas dazu gebracht hatte mich zu küssen und uns danach fast Alex durch die Lappen gegangen wäre, weil wir zu beschäftigt damit gewesen waren, herauszufinden, wer von uns beiden der Schwächere war.

Ich konnte mich auch noch genau daran erinnern, wie Jonas mich später zu einem Wettrennen aufgefordert hatte und wenn ich daran dachte, wie ich dann auf dem nassen Asphalt ausgerutscht war und auf der harten Straße gelandet war, tat es mir noch immer im Rücken weh. Aber ich wusste auch noch, wie Jonas mich zunächst ausgelacht hatte und es anschließend wieder diesen einen komischen Moment zwischen uns gegeben hatte.

Niedergeschlagen schloss ich meine Zimmertür von innen, ging auf direktem Weg in mein Bett und zog mir die Decke so weit nach oben wie es ging, ohne dass ich erstickte. Am liebsten wollte ich gerade nur hierbleiben und nie wieder mein Bett, meinen sicheren Ort, verlassen. So sehr schämte ich mich, ich konnte einfach nicht glauben, wie dumm ich gewesen war, wie dumm ich immer noch war.

Wenn es nach mir ging, würde ich nie wieder auch nur mit einem einzigen Menschen reden, sondern einfach nur hier bleiben und in Selbstmitleid für meine eigene Dummheit versinken. Wahrscheinlich war der Welt noch nie so ein Trottel wie mich untergekommen.

Nachdem ich circa eine Stunde einfach nur so dargelegen hatte und krampfhaft versuchte, mich davon abzuhalten erneut mit dem Heulen anzufangen, wurde es nur immer schlimmer. Ich fühlte mich schlecht dafür, dass ich mich so schlecht fühlte, weil ich mich nicht berechtigt dafür fühlte, weil ich diejenige war, die das ganze vermasselt hatte. Ich wollte auch nicht, dass irgendjemand davon erfuhr, was ich getan hatte, weil ich mich schämte. Dafür, dass ich so unfassbar dumm war und weil ich nicht gut damit umgehen konnte, wenn andere Menschen wussten, dass es mir schlecht ging und auch ich nicht immer stark war. Meine Gefühle hatte ich generell schon immer eher für mich behalten, ich war niemand, der gerne allen Leuten erzählte, wie es ihm ging, sondern machte alles eher mit mir selbst aus.

Und noch dazu hätte ich sowieso nicht gewusst, wem ich mich hätte anvertrauen sollen. Natürlich könnte ich zu meiner Mutter gehen, aber irgendwie war es komisch mit seiner Mutter über solche Dinge zu reden, Felix sollte erst recht nichts davon mitbekommen. Erstens hatte er wegen der Sache mit Emma und Tobias für jegliche Themen dieser Art keinen Nerv mehr und zweitens war er immer noch mein großer Bruder, der mich manchmal noch für das kleine Mädchen hielt, das ihm im Sandkasten Sand über den Kopf geschüttet hatte.

Und dann waren da noch meine Freunde, mit denen ich normalerweise auch über alles reden konnte, aber Lina war sowieso noch nicht wirklich gut auf uns alle zu sprechen und verbrachte in letzter Zeit gefühlt all ihre Zeit nur noch mit Alex und selbst wenn ich ihnen alles erzählen würde, sie waren auch Jonas' Freunde. Einerseits wollte ich sie da gar nicht mit reinziehen und andererseits wären sie eh nur sauer auf mich, weil ich ja immerhin einen ihrer besten Freunde verletzt hatte, dass es mir dabei auch nicht besser ging, war dabei dann ja doch irgendwie mein Problem.

Für den Rest des Tages tat ich genau das, was ich geplant hatte. Nichtmal um mich umzuziehen oder um meine Zähne zu putzen, verließ ich das Bett. Ich blieb einfach liegen und wartete darauf, dass ich endlich einschlief und meine Gedanken mich in Ruhe ließen.

Am nächsten Morgen wachte ich komplett ausgelaugt auf, ich fühlte mich fast noch schlechter, als am Abend zuvor. Also erholsamer Schlaf war definitiv etwas anderes. Irgendwie schaffte ich es dann aber doch mich aus dem Bett zu prügeln und mir wenigstens eine Jogginghose anzuziehen. Ich ließ meinen Laptop hochfahren und griff dabei wie in Gedanken nach meinem Handy. Greta wollte wissen, ob einer von uns heute Lust hatte etwas zu unternehmen, sonst hatte ich keine neuen Nachrichten. Schnell tippte ich ein kurzangebundenes "keine Zeit" und schaltete mein Handy in den Flugmodus.

Der letzte SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt