Am nächsten Morgen hatte ich überhaupt keine Lust aufzustehen. Kein Wunder, denn nachts hatte ich noch ewig lange wach gelegen und nachgedacht. Ich freute mich einen weiteren Bruder zu bekommen, aber wusste nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Ich wusste ja nichtmal was für ein Mensch er überhaupt war. Würde er überhaupt mit uns sprechen? Wir waren doch komplett fremd für ihn.
Als Mama, Felix und ich abends vom Restaurant wiedergekommen waren, hatte eine merkwürdige Stimmung geherrscht. Jeder hatte für sich allein sein wollen, um in Ruhe nachdenken zu können und nicht mehr sprechen zu müssen, sondern sich ganz damit zu beschäftigen das Chaos im Kopf ein wenig ordnen zu können.
Dementsprechend müde war ich dann auch am nächsten Morgen, nachdem ich die halbe Nacht wach gelegen hatte. Ein Montag, wie passend. Gerade an Montagen ist man immer super motiviert, gut gelaunt und steht mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf, weil man sich so sehr auf die Schule freut. Natürlich.
Der Wecker war schon viel zu oft auf Schlummern gestellt worden, bevor ich mich schließlich noch total verschlafen und vollkommen übermüdet ins Bad schleppte. Den Blick in den Spiegel hätte ich wohl besser vermeiden sollen, denn meine Haare standen in alle möglichen Richtungen ab und und man sah mir meine Müdigkeit deutlich an.
Doch da ich nicht wirklich in der Stimmung war, mich groß herauszuputzen, klatschte ich nur ein wenig Schminke auf mein Gesicht und versuchte meine abstehenden Haare irgendwie zu bändigen. Als dieser Versuch aber eher weniger erfolgreich war, machte ich mir einfach einen Dutt. Das passt schon, muss ja niemanden beeindrucken.
Eine halbe Stunde später holte ich mein altes Fahrrad aus der Garage. Es hätte wirklich schon bessere Tage gesehen. Sonst hatte mein Bruder Felix mich immer mit dem Auto zur Schule mitgenommen, doch da er sich seit den Osterferien nur noch zuhause auf seine Abiturprüfungen vorbereiten musste, die er mittlerweile alle hinter sich gebracht und bestanden hatte, hatte ich wieder das Glück jeden Morgen und jeden Mittag mit dem Fahrrad fahren zu dürfen, bis ich endlich achtzehn werden würde. Meinen Führerschein hatte ich zwar schon gemacht, aber mein Geburtstag war erst im Januar.
Draußen vor der Garage warteten schon Greta und Leo auf mich, mit denen ich immer zusammen zur Schule fuhr, weil wir in der gleichen Gegend wohnten und so den gleichen Weg hatten.
"Wie siehst du denn aus!?", sah Leo mich verurteilend an, woraufhin Greta gleich mahnend gegen seinen Arm haute und böse Blicke in seine Richtung warf.
Doch anstatt verletzt zu sein, zuckte ich nur mit den Schultern. Ich wusste ja schon vorher, dass ich heute nicht besonders hübsch aussah.
Zehn Minuten bevor der Unterricht beginnen sollte, betraten Greta, Leo und ich das Klassenzimmer. Leo lief ein bisschen weiter vorn, also hielt Greta mich zurück, bevor ich in den Raum hineingehen konnte und sagte: "Hey Mia, warte mal. Was ist los mit dir? Du siehst echt nicht gut aus heute. Hast du schlecht geschlafen? Ist irgendetwas passiert?"
Ich konnte in ihrer Stimme hören, dass sie sich Sorgen machte, doch ich wollte ihr einfach nicht erzählen, was los war. Ich wusste, dass ich mit meinen Freunden über alles reden konnte und sie mich sicher verstehen würden, doch es ging um meinen Vater, wenn er auch nicht wirklich viel damit zu tun hatte, er war trotzdem ein Teil der ganzen Sache und über ihn sprach ich nicht gern. Meist vermeidete ich jegliche Unterhaltungen über ihn ganz. Außerdem war es mir fast ein bisschen unangenehm, dass mich diese Kleinigkeit so sehr mitnahm. Ich sollte diesem Menschen nicht die Macht geben, mich unglücklich zu machen. Das hatte er nicht verdient.
Also erzählte ich Greta einfach, dass ich schlecht geschlafen hätte. "Ich hatte 'nen Albtraum und konnte dann ab halb vier nicht mehr schlafen.", log ich. Ich hasste es meinen Freunden nicht die Wahrheit zu sagen, aber das musste jetzt sein.
Greta schien die Lüge mehr oder weniger zu schlucken und ging nun in die Klasse und steuerte geradewegs auf die letzte Reihe zu, in der wir mit Lina, Jonas, Leo und Tom saßen.
"Drei Wochen noch", begrüßte Tom uns.
"Dann sind endlich Ferien.", stimmte Lina fröhlich mit ein.
"Unsere letzten richtigen Sommerferien, ist das nicht krass?", bemerkte Greta.
"Schon irgendwie.", meinte Jonas nun.
"Ach Leute, wir haben noch einen ganzen Sommer und ein ganzes Jahr vor uns. Jetzt kommt doch mal runter. Wir haben noch genug Zeit, um irgendwas zusammen zu machen. Meinetwegen auch zelten, wenn das für euch der Himmel auf Erden ist, selbst wenn ich das immernoch bescheuert finde. Erinnert mich dran, dass ich Greta als erstes in den See schmeiß'. Für diese Schnapsidee gehört sie bestraft.", äußerte Leo genervt.
"Das wagst du sowieso nicht.", lachte Greta nun.
"Das werden wir sehen, wenn du mich im kalten Wasser schreiend anflehst dir zu helfen.", drohte Leo, woraufhin Greta ihm nur einen Vogel zeigte.
"Bevor du mir hilfst, ertrink' ich lieber.", Greta versuchte ernst zu bleiben, doch es gelang ihr nicht wirklich und schließlich endete diese Unterhaltung in Gelächter.
Ein paar Minuten später begann auch schon der Unterricht. In der ersten Stunde hatten wir Englisch mit Herrn Wiesner. Er war ein älterer Lehrer, der bald in Rente ging, worüber die gesamte Schülerschaft sehr traurig war, was wahrscheinlich daran lag, dass er nie Hausaufgaben aufgab und falls er es doch einmal tat, dann hatte er es am nächsten Tag wieder vergessen. Also hatte sowieso keiner sie jemals gemacht.
Dieser Schultag verlief wie jeder andere. Zuerst hatten wir eine Doppelstunde Englisch, dann eine Stunde Sport, Deutsch und schließlich Geschichte und darstellendes Spiel.
Ich hasste darstellendes Spiel und um ehrlich zu sein, hatte ich es auch nur gewählt, weil alle meine Freunde es auch getan hatten. Ok, nicht alle. Jonas hatte Sport-Theorie gewählt, aber auch nur, weil er sich für Fußball und Sport und so Zeugs interessierte. Ich liebte es zwar laufen zu gehen, aber dann lief ich einfach und machte mir keine Gedanken darum, in welchem Winkel mein Fuß am Boden aufkommen musste, damit ich ihn dann mit dem optimalen Schwung wieder heben konnte.
Trotzdem hasste ich darstellendes Spiel. Ich hasste dieses Verstellen, dieses ständige Vortäuschen jemand Anderes zu sein. Ich war niemand anderes. Ich war nunmal ich. Was sollte ich daran ändern? Und selbst wenn ich es gekonnt hätte, würde ich es nicht wollen. Ich war nicht gut darin jemand anderes zu sein. Da blieb ich lieber ich selbst.
Lina konnte mich in dieser Hinsicht überhaupt nicht verstehen. Sie liebte darstellendes Spiel und war auch bis vor Kurzem noch in der Theater AG gewesen, doch dann hatte sie von dem einen auf den anderen Tag beschlossen damit aufzuhören und seitdem sprach sie nie mehr über das Schauspielern, obwohl es früher immer ihr Traum gewesen war, dadurch ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Sie war auch wirklich gut darin sich in andere Rollen hineinzuversetzen und sie glaubwürdig zu verkörpern. Das wurde ihr auch immer wieder von allen Seiten bestätigt. Hoffentlich würde sie ihre Meinung doch noch ändern und doch noch versuchen etwas aus ihrem Talent zu machen.
Heeeyy:)
Nach etwas längerer Zeit endlich mal wieder ein neues Kapitel. Ich bin gerade mit zwei Freundinnen in England (Besondere Grüße an Hannah😂😂💗) und wir haben wirklich viel Spaß zusammen. Leider habe ich hier nicht so viel Zeit zum Schreiben, aber ich hoffe, dass das okay ist.
Rückmeldungen wie immer gerne in die Kommentare :)
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Der letzte Sommer
Novela Juvenil"Du bist so wunderschön, wenn du glücklich bist.", hatte er gesagt und dabei in die Ferne geguckt. So, als würde er garnicht mit mir reden, sondern mit dem Universum, dem Himmel oder der ganzen restlichen Welt. Für Mia und ihre Freunde steht das le...