Kapitel 72: Der Morgen danach

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Für diesen Song hatte ich den größten Spaß überhaupt. Greta und ich sprangen auf und ab, ich spürte meine offenen Haaren wippen, die mir dabei ins Gesicht fielen. Automatisch fing ich an zu lächeln und genießte diesen Moment. Wer konnte schon wissen, wann ich das nächste Mal so unbeschwert sein würde?

Als hätte ich geahnt, dass diese Unbeschwertheit bald ein jähes Ende nehmen würde, denn ich merkte, dass nicht nur meine Haare nach oben wippten, wenn ich sprang, sondern mir bald auch etwas ganz anderes hoch kam.

So schnell ich konnte, sprang ich reflexartig und ziemlich abrupt vom Couchtisch und rannte in einer mordsmäßigen Geschwindigkeit in den Garten, wo ich es gerade rechtzeitig zum nächsten Busch schaffte, bevor ich mich übergeben musste.

"Oh Gott, Mialein.", meinte Greta sofort besorgt, die mir scheinbar hinterhergelaufen war und mir nun die Haare aus dem Gesicht strich und hinter meinem Kopf zusammenhielt, während sie mir mit der anderen Hand fürsorglich über den Rücken strich.

Ungefähr so verbrachte ich die restliche Nacht und es ging mir so ziemlich von Minute zu Minute schlechter. Ich bemerkte gar nicht, wie Lina mir mein Handy abnahm und irgendetwas dort eintippte. Ich bekam auch nicht mit, wie Greta und Lina sich von Tom und Leo verabschiedeten und mich irgendwie zu Greta schleiften, weil der Weg zu mir nach Hause einfach zu weit gewesen wäre und keiner von uns Geld für ein Taxi dabei hatte.

Bei Greta wurde ich dann mit einem Handtuch auf dem Kopfkissen und einem vorsorglichen Kotzeimer neben dem Bett versorgt und nachdem ich mich selbst noch einigermaßen in eine Jogginghose und ein T-Shirt von Greta umziehen konnte, fiel ich geradezu ins Bett und damit auch in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Das war wahrscheinlich einer der wenigen Vorteile, die es hatte, wenn man viel zu viel Alkohol getrunken hatte: schlafen konnte zumindest ich dann immer wie ein Stein.

Am nächsten Morgen trat dieser furchtbare Zustand der Ernüchterung ein, obwohl Ernüchterung in diesem Fall rein gar nichts mit nüchtern zu tun hatte, so sehr wie mein Kopf pochte.

"Wie geht's dir?", fragte Greta mich besorgt, als sie bemerkte, dass ich aufgewacht war. Lina und sie saßen neben mir in Gretas riesigem Bett und schienen einen Film oder eine Serie auf Gretas Laptop zu gucken. Dass die beiden sich überhaupt getraut hatten mit mir in einem Bett zu schlafen und keine Angst gehabt hatten, dass ich sie vollkotzen würde, wunderte mich ziemlich. Auch, dass sie es hier so neben mir aushielten, ich musste stinken wie die schlimmste Schnapsleiche. Okay, das war ich zu diesem Zeitpunkt schließlich auch.

"Ganz gut.", log ich. Gerade als ich mich aufsetzte, schoss ein so schlimmer Schmerz durch meinen Kopf, dass ich am liebsten aufgestöhnt hätte, aber ich konnte es gerade noch so unterdrücken.

"Sicher?", fragte Greta besorgt und krauste die Stirn. Ich nickte, obwohl mir noch immer schlecht war. Und mir war nicht nur schlecht, ich fühlte mich auch so, physisch und auch psychisch.

Ich ließ mich einfach zurück ins Kissen fallen, und schaute auf den Bidschirm, auf dem ich Gossip Girl erkannte. Meine Freundinnen fragten zum Glück nicht weiter nach, sondern ließen mich in Ruhe und richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Laptop.

Und obwohl ich eigentlich lieber nach Hause gegangen und mich in meinem Bett in Ruhe ausgenüchtert hätte, blieb ich einfach liegen, denn um mich umzuziehen, nach Hause zu laufen und Felix, der mich sicherlich komplett auseinander nehmen würde, weil ich a) viel zu viel getrunken hatte und b) nicht nach Hause gekommen war und das auch noch ohne Bescheid zu sagen, zu begegnen. Ich hoffte einfach nur es war meiner Mutter noch nicht aufgefallen, dass ich fehlte, denn normalerweise konnte sie es gar nicht ausstehen, wenn ich einfach irgendwo schlief oder irgendwo hinging und ihr nicht einmal eine SMS schrieb.

Aus diesem Anlass fragte ich nun nach meinem Handy, das Lina mir ohne einmal mit der Wimper zu zucken aushändigte. Ich entsperrte es und ging direkt auf WhatsApp, um zu sehen, ob meine Mutter mich schon mit besorgten Nachrichten zugespammt hatte.

Doch das einzige, was ich auf WhatsApp vorfand, war Felix' Chat, der ganz oben stand und darunter der Gruppenchat von Greta, Lina und mir, in den Lina wohl irgendwelche Fotos gesendet hatte, die ich mir sogar schon angesehen haben sollte, obwohl ich mich absolut nicht daran erinnern konnte. Doch ich öffnete erst einmal den Chat von Felix und mir.

"Schlaf bei Greta", hatte irgendjemand wohl für mich getippt, doch mein Bruder hatte nicht einmal geantwortet. Lediglich zwei blaue Haken waren zu sehen.

"Danke, dass ihr Felix geschrieben habt.", murmelte ich. "Klar.", sagte Lina einfach nur und ich scrollte weiter durch mein Handy. Das hatte sie also gemacht, als sie mir das Handy aus der Hand genommen hatte. Daran konnte ich mich gerade noch so erinnern.

Anschließend schloss ich WhatsApp wieder und ging stattdessen auf Instagram, um zu sehen, was es dort so Neues in der Welt gab. Die Fotos, die Lina anscheinend geschickt hatte und an die ich mich nicht mehr erinnern konnte, hatte ich schon wieder vergessen.

Ich scrollte ein wenig rum und entdeckte schließlich zwischen all diesen gestellten Bloggerposts ein ganz anderes Foto. Von Jonas.

Eigentlich hatte ich weiterscrollen wollen, doch dann war ich doch irgendwie an dem Bild hängen geblieben. Jonas, wie er Fußball spielte. Kein besonderes Bild, irgendjemand müsste es beim Training aufgenommen haben, doch ich konnte trotzdem einfach nicht den Blick von dem Foto wenden.

„don't stop until you're proud", hatte er darunter geschrieben. Es klang zwar unfassbar gemein, aber es macht mich fast traurig, dass er so eine gute Zeit zu haben schien und es bewies mir noch ein Mal mehr, wie wenig unser Streit und der darauffolgende Kontaktabbruch ihm ausmachte.

„Ach Mia, jetzt guck dir das doch nicht so lange an, das kann man ja gar nicht mit ansehen.", meinte Lina fast tadelnd zu mir.

„Ich weeeeiiiiß.", jammerte ich und verbarg mein Gesicht im Kopfkissen. „Eigentlich interessiert mich das ja auch gar nicht.", beteuerte ich, obwohl sowieso schon alles verloren war.

„Jaja, interessiert dich gar nicht und ich bin Madonna oder was?", erklärte Greta ironisch, doch ich hörte gar nicht hin.

„Ich meine, guckt euch das doch mal an. Das Bild hier zeigt doch nur, dass das viel mehr was für ihn ist, als hier mit uns rumzuhängen. Guckt mich doch mal an, gerade lieg ich komplett verkatert nach meiner Absturzparty im Bett rum."

„Vielleicht jetzt, aber das sieht er ja nicht. Guck mal in deiner Instastory.", forderte Lina mich mit einem freudigen Lächeln auf. Und ich tat, was sie von mir verlangte und was ich fand, war ein Bild von Greta und mir, wie wir auf dem Couchtisch standen und tanzten mit tausend Leuten um uns herum. Der Blitz, mit dem das Bild aufgenommen wurde, brachte mein Top zum Strahlen und Greta und ich sahen wirklich so aus, als hätten wir die beste Zeit überhaupt. Ich lächelte zufrieden und Greta und Lina schienen das zu bemerken.

„Was meinst du, warum wir dir extra noch die Haare geföhnt haben?", fragte Greta.

„Du meinst wohl eher, warum wir das versucht haben.", lachte Lina und so lachten wir alle zusammen.

Plötzlich machte auch alles Sinn. Meine besten Freundinnen hatten vorgehabt, Jonas eifersüchtig zu machen und ich hatte es nicht einmal mitbekommen.

Der letzte SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt