Kapitel 78: Rechtfertigung

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Wer auch immer sich jetzt herausnahm, mich von der Tanzfläche zu ziehen, konnte jetzt sein blaues Wunder erleben. Da war ich mir ziemlich sicher. Ich war schließlich heute hier um mich zu amüsieren und einen Kater für morgen anzutrinken, nicht um mich von irgendwem davon abhalten zu lassen.

Ein ganz kleiner Teil in mir war der mysteriösen Hand vielleicht auch ein ganz kleines bisschen dankbar, dass sie mich aus Jonas' Blick befreit hatte, aber das würde ich dieser garantiert nicht unter die Nase reiben. Zunächst galt es ja eh erst einmal herauszufinden, um wen es sich dabei handelte.

„Tom?", rief ich verblüfft, während ich mich schwungvoll umdrehte und bestimmt seine Hand von meinem Arm abschüttelte. „Was soll so n Scheiß denn?", wollte ich ein bisschen pissiger als bedacht, wissen.

Doch auch Tom sah alles andere als so aus, als würde er Scherze machen. „Das fragst du mich?", bluffte er mich an und ich zuckte kurz zusammen. In diesem Tonfall hatte er noch nie mit mir gesprochen, generell hatte ich ihn noch nie so mit irgendjemandem reden hören.

Verwirrt krauste ich die Stirn. „Was soll das denn jetzt?", fragte ich diesmal eher durcheinander, als noch total aufgebracht wie eben. Nun war ganz klar Tom der, der die Fassung verlor.

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst, oder Mia?", wollte er wissen. Doch ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon er sprach. Und mein ahnungsloses Gesicht schien ihn nur noch mehr auf die Palme zu bringen.

„Wirklich Mia, wir haben eigentlich abgemacht, dass wir als eure Freunde uns da nicht einmischen und keine Seiten einnehmen, aber du scheinst mal ein bisschen gesunden Menschenverstand zu brauchen, denn das, was du da abziehst, ist echt mehr als asozial. Das ist einfach nur... da fällt mir nichtmal ein passendes Wort für ein.", schrie er nun schon. Langsam dämmerte mir, was er von mir wollte.

Aber selbst obwohl, oder gerade weil, ich komplett nüchtern war, brachte mich das ganze noch mehr auf die Palme. Natürlich hatte ich Fehler gemacht, aber Jonas hatte das nach einer Woche ja schon wieder vergessen gehabt. Und mich gleich dazu. Wieso ich jetzt diejenige war, die hier das Arschloch ist, war mir auch nur schleierhaft. Ich wollte gerade dazu ansetzen, Tom genau das entgegenzuwerfen und meine Position zu erklären, doch dazu kam ich gar nicht erst.

„Nein, lass mich ausreden, Mia.", forderte er mich auf. „Ich will mich nichtmal mit dir streiten. Du hast da nur was in Ordnung zu bringen."

„Wieso denn ich, meine Güte?!", war ich kurz davor die Fassung zu verlieren und hätte mich sicherlich auch um Kopf und Kragen geredet, wenn da nicht Tom gewesen wäre, der in Sekundenschnelle auf meine Frage geantwortet hatte.

„Na, das fragst du noch? Also Mia mal ganz ehrlich, was sollte das? Zuerst machst du ihm Hoffnungen und das brauchst du gar nicht erst abstreiten. Wir haben alle gemerkt, was da zwischen euch läuft. Und dann wirfst du ihm all diese Dinge an den Kopf und lässt ihn einfach so zurück zur Schule fahren. Und dann kommst du nichtmal auf die Idee, dich zu entschuldigen. Nein, stattdessen gehst du auf irgendwelche Partys und postest Bilder, wie du auf Wohnzimmertischen tanzt und Jonas denkt sich sonst was und fühlt sich ja sowieso noch nicht scheiße genug." Ich wollte einhaken, um mich zu verteidigen. Das mit dem Entschuldigen war schließlich einfach nicht richtig, aber Tom hob reflexartig seine Hand, als er bemerkte, dass ich dazu ansetzte etwas zu sagen und gab mir damit zu verstehen, dass ich warten und ihn nicht unterbrechen sollte.

„Aber als ob das noch nicht alles wäre. Dann gehst du natürlich auch noch gerade zu der gleichen Party, wie er, wenn er einmal zuhause ist. Das nehm ich dir auch gar nicht übel, du gehörst auch dazu, Mia. Aber dein Verhalten zerstört hier auch unseren Freundeskreis. Mir geht's hier gerade aber nur um Jonas. Denn anstatt dich mal ein bisschen zusammenzureißen und vielleicht einmal nicht irgendeinen Scheiß zu machen, machst du hier auf ner Party vor Jonas' Augen fast mit irgendeinem beliebigen Typen rum, wenn ich dich nicht davon abgehalten hätte. Das kann doch nicht dein Ernst sein, Mia. Ich dachte eigentlich ich würde dich kennen und die Mia, die ich kenne, macht so einen Scheiß nicht."

„Also bitte mal.", begann ich mich zu verteidigen. Langsam wurde ich trotzig. Mir hier vorzuwerfen, ich wäre diejenige, die hier Schuld an allem hatte. Vielleicht hätte ich auch meinen Beitrag zu diesem ganzen Schlamassel geleistet, aber auf keinen Fall trug ich hier die alleinige Verantwortung.

„Erstmal hab ich nicht mit Jan rumgemacht und ich sag dir, das wird bei meinem Alkoholpegel auch ganz sicher nicht passieren, dafür bin ich viel zu nüchtern. Aber selbst wenn ich das hätte, glaube ich eher weniger, dass das Jonas auch nur das kleinste bisschen interessiert hätte. Als ich nämlich angerufen habe, um mich zu entschuldigen, weil ich wirklich dachte ich hätte Mist gebaut, schien es zumindest nicht so zu wirken, als würde er noch einen Gedanken an mich oder unseren Streit verschwenden.", erklärte ich Tom so ruhig es mir möglich war. Ohne zu schreien und auch ohne in Tränen auszubrechen, denn das Ganze nahm mich doch mehr mit, als ich mir eingeredet hatte. Den Teil mit der Entschuldigung betonte ich besonders, schließlich sollte Tom ruhig wissen, dass ich diejenige war, die sich wenigstens für ihren Fehler entschuldigen wollte. Aber daran hatte Jonas wohl ziemlich wenig Interesse gehabt.

„Warte, du hast bei ihm angerufen?", fragte er verwundert und kräuselte die Stirn.

"Ja, hab ich.", antwortete ich selbstbewusst. „Schließlich weiß ich manchmal auch, dass ich einen Fehler gemacht habe. Dann stehe ich auch dazu und Versuch das wieder in Ordnung zu bringen. Vielleicht bin ich ja doch gar nicht so asozial, wie du dachtest, Tom." Langsam wurde ich verletzend, was ich eigentlich gar nicht beabsichtigt hatte, zumindest nicht Tom gegenüber, obwohl seine Anschuldigungen in meine Richting mich auch verletzten. Ich wusste gar nicht, dass er so schlecht von mir dachte.

„Aber im Endeffekt hat sich ja rausgestellt, dass ich sogar Recht hatte. Also war's am Ende wohl doch 'ne ziemlich dumme Idee, mich entschuldigen zu wollen. Hab mich eh nur blamiert.", fuhr ich fort.

Der letzte SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt