Kapitel 98: Überraschungsgast

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"Ihr seid doch verrückt!", sagte ich lachend, als ich die Haustür öffnete und meine Freunde rein ließ, die mit einem gigantischen Karton den Flur betraten. Leo und Tom, die das riesige Paket trugen, bedeutete ich, dass sie es im Wohnzimmer abstellen konnten, während ich Greta und Lina zur Begrüßung umarmte. Die beiden lächelten mich verschwörerisch an. Zuerst vermutete ich, dass es wegen des Geschenks war, doch dann erinnerte ich mich an die merkwürdig gute Laune der Jungs heute Morgen und hegte langsam den Verdacht, dass irgendetwas in der Luft lag. Ich wollte ihnen gerade einen fragenden Blick entgegnen, doch sie waren schon damit beschäftigt ihre Jacken auszuziehen und anschließend den Jungs ins Wohnzimmer zu folgen.

Ich erblickte Felix, der sich am Türrahmen angelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt hatte, während er mit belustigtem Ausdruck auf dem Gesicht die Situation beobachtete. „Willst du nicht auspacken, Mia?", fragte Leo nun an mich gewandt und sah mich herausfordernd an. Irgendetwas in seinem Blick gefiel mir ganz und gar nicht. Ich nickte nur und machte mich an dem riesigen Karton zu schaffen.

Ich kniete mich vor ihn auf das Laminat und zog an der roten Schleife, die das Paket umschloss. Anschließend öffnete ich es und als mir die Heliumballons entgegen schossen, hellte sich mein Gesicht wie von selbst auf. "Die sind ja toll!", stieß ich begeistert aus und sah ihnen dabei zu, wie sie Richtung Decke flogen. Danach widmete ich mich dem restlichen Inhalts des Geschenk. Dort fanden sich Unmengen an Süßigkeiten, Sektflaschen und Shots. Ich musste lächeln, denn das würde uns für heute Abend definitiv noch etwas zu tun geben. Doch etwas anderes erweckte meine Aufmerksamkeit. Es war ein Buch, nein eher ein Album. Vorsichtig nahm ich es aus dem Konfetti.

"Das ist von Greta.", erklärte Leo und warf einen kurzen Blick in ihre Richtung. Diese lächelte nur schüchtern. "Ich hoffe es gefällt dir."

Ich strich behutsam über den Einband, der mit einem Foto von ihr, Lina und mir beklebt war, das auf dem Abiball im letzten Jahr geschossen worden sein musste. Ich schlug es auf und betrachtete mit leuchtenden Augen all die Erinnerungen, die sie eingeklebt hatte. Fotos aus der Grundschulzeit, der Unter- und Mittelstufe, aber auch des letzten Jahres. Bilder von Toms Hauspartys, vom Color Run, witzigen Momenten in der Schule und eins von dem Tag, an dem wir Jonas besucht hatte, um bei seinem Spiel dabei zu sein. Unwillkürlich durchfuhr mich ein Kribbeln, als ich an unseren Kuss dachte und an seine Worte danach. Ich knutsch ja nicht mit irgendwelchen Mädchen rum, sondern mit dir. Das ist ja wohl schon ein Unterschied, Mialein.

Ich blickte zu Greta auf und strahlte sie an. "Das ist so ein tolles Geschenk. Danke.", sagte ich ehrlich und stand auf, um sie in die Arme zu nehmen. Es folgten die drei anderen, die sich auch bereitwillig von mir in die Arme schließen ließen, obwohl Lina auflachte. "Du hast das beste doch noch gar nicht ausgepackt.", sagte sie lachend und deutete auf das Paket.

"Da ist noch mehr?", fragte ich ungläubig und warf noch einmal einen genaueren Blick hinein, bis ich einen rosafarbenen Umschlag fand. Gespannt öffnete ich ihn und konnte nicht glauben, was ich dort sah. "Nein, oder?", ungläubig sah ich sie alle der Reihe nach an. Meine Freude konnte ich wohl nicht länger verstecken. "Ihr habt mir nicht wirklich Karten für Jonas' nächstes Spiel geschenkt?", entfuhr es mir. "Doch", erklärte Lina mit diesem wissenden Ausdruck in ihren Augen, bevor dieser zu einem überraschten wechselte, da ich ihr nun aufgeregt in die Arme fiel.

"Sie spielen halt bald hier in der Nähe und da dachten wir, das müsste passen. Wir kommen natürlich alle mit.", erklärte Greta mit einem Lächeln. Sie schien ernsthaft gerührt davon, zu sehen, wie ich mich freute.





Obwohl es Januar war und damit eigentlich entschieden zu kalt für ein Lagerfeuer, hatte Felix sich nicht davon abhalten lassen, die Feuerschale im Garten anzumachen. Nachdem ich eigentlich schon viel zu viel von dem Raclette gegessen hatte, saß ich nun ein paar Stunden später in eine dicke Decke gewickelt vor den knisternden Flammen und ließ mich von der wohligen Wärme umhüllen. Unwillkürlich musste ich an unseren Campingausflug im Sommer denken, von dem es mir mittlerweile fast vorkam, als wäre er vor Ewigkeiten gewesen.

Damals war ich so optimistisch gewesen und hatte mich auf das letzte Schuljahr gefreut. Ich hatte noch nicht wissen können, dass Jonas nicht mehr da sein würde und dass es jetzt auf einmal so kompliziert zwischen uns war. Ich seufzte und starrte zu Lina, die neben mir gerade einen der Marshmallows aus meiner Geburtstagsbox ins Feuer hielt. Dann nahm ich einen weiteren Schluck aus dem Sektglas, das ich in der Hand hielt und blickte durch die Runde. Ich bemerkte, dass Greta rechts von mir schon fast eingeschlafen war. Ich schmunzelte und sah kurz zu Leo, dessen Blick auf ihr lag. Als er bemerkte, dass ich zu ihm geschaut hatte, wendete er ihn schnell ab, nahm einen hektischen Schluck aus seiner Bierflasche und holte dann sein Handy hervor, dass er jedoch gleich wieder wegsteckte, nachdem es einmal kurz aufgeleuchtet war. Er stieß Tom in die Seite, der ihn nur ratlos ansah.

Ich war im Inbegriff zu fragen, was es zwischen den beiden zu besprechen gab, doch wurde von Lina abgelenkt, die auf einmal ihren Stock aus dem Feuer zog und den Marshmallow von ihm abzog. Meine Aufmerksamkeit lag jetzt wieder auf den Flammen, die fast den Eindruck machten, als würden sie um das Holz herum tanzen. Ich betrachtete wie sie kleine Funken sprühten, die in der Luft verglimmen und mir fast hypnotisierend vorkamen. Ich fühlte mich fast wie in einem Traum und dieses Gefühl verstärkte sich nur, als ich meinte auf der anderen Seite des Feuers, hinter Leo und Tom eine Person zu entdecken. Ich stutzte, als ich bemerkte, wer diese Person sein musste. Jonas. Jetzt dachte ich sogar schon in meinen Träumen an ihn.

Ich schüttelte langsam den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Doch er stand dort immer noch. Und jetzt lächelte er auch noch. Das musste ich mir doch einbilden. Ich warf einen panischen Blick zu Lina, die bereits breit grinste. Dann sah ich wieder Jonas an, der mich noch aus seinen blauen Augen betrachtete. "Jonas", sagte ich überrascht und so leise, dass es wahrscheinlich niemand verstanden hätte, wenn das Knistern des Feuers nicht das einzige Geräusch im Garten gewesen wäre. Er war wirklich hier. Hier in meinem Garten. An meinem Geburtstag.

Ich stand auf und lief langsam auf ihn zu. "Hast du deswegen nicht geschrieben?", fragte ich, als ich kurz vor ihm stehen blieb und ihm nun direkt in die blauen Augen sehen konnte. Sie waren in den letzten Monaten ein ganz kleines bisschen dunkler geworden und irgendwie gefiel es mir, weil sie ihn, durch alles, was er in der letzten Zeit erlebt hatte, reifer wirken ließen.

"Überraschung", wisperte Jonas, während sein Blick fest auf meinen gerichtet war, bevor er mich umarmte. Ich hatte seine Nähe so sehr vermisst, ich hatte ihn so sehr vermisst, dass ich diesen Moment nun ganz in mich aufsog. Seinen Geruch. Das Gefühl seiner Arme um meine und dieses elende Kribbeln in meinem Körper.

"Alles Gute zum Geburtstag, Mia.", flüsterte er und drückte mich kurz noch näher an ihn heran, bevor er mich losließ, obwohl er mich eigentlich schon einen Moment zu lange umarmt hatte.

Der letzte SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt