133 ** das Meer ** Sa. 11.4.2020

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Erst, als mir vom vielen Stillsitzen kalt wird, löse ich mich etwas von Max

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Erst, als mir vom vielen Stillsitzen kalt wird, löse ich mich etwas von Max. Er muss mir schon wieder Taschentücher anreichen.
„Wollen wir reingehen?"
„Na klar. Du, sag mal. Warst du eigentlich schon so richtig am Meer? Wie weit ist das denn zu laufen?"
„Bisher bin ich immer nur bis in die Dünen gelaufen und habe mir ein windstilles Plätzchen gesucht. Oder ich hab mal über die Kante gelunzt. Aber da war grade Ebbe und kein Wasser zu sehen. Weißt du was? Ich denke schon die ganze Zeit, dass ich gerne mal in einer sternenklaren Nacht am Meer wäre. Und das ist gar nicht sooo weit weg. Das geht gut zu Fuß."
„Dann machen wir das heute Nacht. Oder?"

Max googelt schnell nach den Gezeiten und dem Wetter heute Nacht.
„Bingo. Um 22.00 Uhr ist Hochwasser, und die Nacht soll sternenklar werden. Wir ziehen uns warm an und gehen Sterne- und Wellen-Kucken."
Max versucht, aufmunternd zu klingen, greift nach seiner Materialkiste und schiebt meine Kiste mit dem Fuß zu mir. Ich lasse mich ein wenig anstecken, greife danach, und wir gehen rein. Im Gruppenraum sind nicht viele Leute.

Ich setze mich einen Moment auf einen Stuhl und starre in meine Materialkiste. Da setzt sich in mir drin was in Bewegung. Was hatte Max gesagt?
Warum kannst du die Kontrolle an mich abgeben, solange du nicht merkst, dass du es tust?" Oder so ähnlich ... Aber genau das ist der Knackpunkt. Da muss ich dran bleiben!

Dann stehe ich plötzlich energisch auf und tausche meine beiden kurzen Bretter gegen zwei auch relativ kurze Knüppel. Ich greife mir einen roten Stoffrest, reiße lange schmale Streifen davon ab und verbinde damit die beiden Knüppel. Ich kann aufatmen und fühle sowas wie Neugierde, was daraus wohl wird. Da wendet Max sich seiner eigenen Kiste zu, überlegt nochmal und arbeitet an seinem eigenen Kreuz weiter. Ich bin erleichtert, denn das heißt, dass er sich jetzt wieder auf sich konzentrieren kann. Außerdem ist Sabine hier, sie wird ein Auge drauf haben, was ich mache.

Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf.
Die Kontrolle abgeben. Das heißt: zulassen, dass Dinge geschehen, die ich nicht geplant oder vorhergesehen habe. Das heißt: auch mal anderen die Entscheidung überlassen, was gut oder schlecht für mich ist. Das heißt: aushalten, wenn etwas nicht nach Plan läuft.
Das Denkmal einreißen. Das heißt: nicht mehr Misstrauen und Angst als Mittelpunkt meines Handelns zu sehen sondern ... ja, was? Ist es ... Im Moment sind Misstrauen und Angst der Mittelpunkt meines Lebens. Also kann ich keine Menschen, keine Pläne, keine Zukunft an diese Stelle lassen. Ich kann ganz rational ein Ziel definieren und drauflos marschieren. Studium und Referendariat habe ich problemlos durchgezogen, weil ich ein Ziel hatte. Aber jemand anderen machen lassen ... für mich mit! Uff ...
Jetzt bleibt nur noch die unbedeutende Frage, wie ich das mit dem Einreißen und Austauschen hinkriegen soll. Ich fühle mich so gefangen in dem ganzen Trigger- und Gedankenwust.

Wie von allein fangen meine Hände an zu arbeiten. Sie bilden diesen Gedankenwust – indem sie aus den Kreuzesbalken die Basis für ein Netz machen. Schwarze Wolle windet sich um und um im Kreis, bis es aussieht, als hielte ich ein tückisches Spinnennetz in den Händen.

Was sich neckt, das hasst sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt