038 ** soll ich? Soll ich nicht? ** Mo. 9.9.2019

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„Hast du dir die Aufnahme inzwischen angesehen?"Schweigen

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„Hast du dir die Aufnahme inzwischen angesehen?"
Schweigen.
„Ne, ich hab mich noch nicht getraut. Ich sollte das wirklich tun, weil das ja mein Thema ist. Aber ich fürchte mich davor, wissenschaftlich zu sezieren, was da seelisch mich selbst betrifft. Wenn ichs einmal angekuckt hab, dann kann ich das nicht rückgängig machen."
Nachdenklich zieht er meinen Stick aus seiner Hosentasche und schaut lange darauf.

Ich staune.
„Trägst du den immer bei dir?"
Max nickt.
„Das ist ... das ist wie ... Ich hab das Tanzen gebraucht wegen des Streits. Und ich hab ja selbst getanzt. Aber irgendwie war ich auch nicht selbst dabei, weil ich mich nicht erinnern kann. Und ... und wenn ich grade mal das Gefühl habe, ich muss mich vergewissern, dass dieser irrsinnige Sommer tatsächlich stattfindet und ich mir das nicht nur einbilde, dann fass ich kurz den Stick in meiner Tasche an und rufe das Gefühl dazu ab. Denn DAS kann ich gut erinnern."

Sein Blick fällt auf seinen Schulrucksack. Zurück zum Stick. Wieder zum Rucksack. Ich frage mich grade, wieso, da fällt mir ein, dass er ja heute morgen wegen der Facharbeit sein Laptop dabei hatte – und also auch jetzt noch hat. Plötzlich schließt er seine eine Hand fest um den Stick, beugt sich runter, macht mit der anderen Hand den Reißverschluss auf und zieht sein Laptop raus.
„Könnten Sie sich das erst ohne mich ansehen?"
Ich bin verblüfft.
„Ja, klar."
Er fährt das Gerät hoch und ruft eine Textseite auf.
„Erst lesen, dann kucken. ... Ähm, wo kann ich solange hin?"

Ich staune nur kurz. Max überrascht mich immer wieder mit der inneren Kraft, die ihn trägt, ohne dass es ihm bewusst ist. Ich lächele ihn an, drücke ihm sein Saftglas in die Hand und schiebe ihn auf den Balkon.
„Da lang."
Er lässt sich in den nächsten Stuhl plumpsen und schaut auf die Gärten mit ihren alten Bäumen, an denen sich schon die ersten Blätter gelb färben. Indian Summer – die kürzeste und vielleicht die schönste Jahreszeit, wenn das Licht plötzlich so weich ist, dass man meint, man könne es anfassen und streicheln.

Ich lege Max die Hände auf die Schultern und habe plötzlich das Gefühl, dass er sich unter meinen Händen vollkommen entspannt.
„Genieße die Luft und den Blick. Ich bin gleich wieder da. Und danach beantworte ich nur deine Fragen und passe gut auf dich auf. Versprochen."
Er lehnt sich zurück und schließt die Augen.
Entspannt wie hingegossen. Wie sehr er mir vertraut!

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und lese als erstes seinen Text. Es ist der Entwurf für Vorwort und Einleitung, wo er beschreibt, was ihm das Tanzen bedeutet und warum er sich genau für dieses Thema entschieden hat. Ich kriege eine Gänsehaut. Ob ihm bewusst ist, dass das nicht nur ich lesen werde sondern auch noch irgendein anderer Sportlehrer? Und vor der praktischen Prüfung noch zwei Menschen, von denen einer vom RP sein könnte? Max kehrt sein Innerstes nach außen und verknüpft es schon hier vorausschauend mit den Sachinhalten, für die er sich entschieden hat.
Wahnsinn!
Er seziert sich selbst. Wenn schon das Vorwort so intensiv ist, wie soll dann der Rest der Arbeit aussehen?
Das hier ist herausragend. Aber ob es gesund für ihn selbst ist?
Maximilian berührt etwas in mir, das ich noch nicht fassen kann. Es ist fast wie eine Mission. ich möchte nicht, dass er scheitert. Ich möchte nicht, dass er gebrochen wird. Hinterfragen kann ich das nicht.

Was sich neckt, das hasst sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt